Zum Tod von Milan Kundera

Romane mit ironischem Lächeln

12:16 Minuten
Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera schaut über seine gefalteten Hände in die Kamera. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme stammt aus dem Jahr 1981.
In Kunderas berühmtestem Buch steckt all das, was die Romankunst des Schriftstellers ausmacht: Die Verknüpfung von großer Weltgeschichte mit dem kleinen persönlichen Schicksal und philosophischen Einsichten. © picture-alliance / Leemage / Grossetti
Von Martin Peter Becker · 12.07.2023
Audio herunterladen
Milan Kundera wurde mit „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ weltberühmt. Der in der Tschechoslowakei geborene Schriftsteller lebte seit den 70er-Jahren in Frankreich. Von dort aus schrieb er über das Schwere und Leichte der menschlichen Existenz.
„Wo die Ideologien ihre simplifizierenden Wahrheiten in die Welt hinausposaunen, zeigt der Roman mit einem ironischen Lächeln auf den Lippen die Relativität der Dinge und bezeugt sein Einverständnis mit den menschlichen Irrtümern. Seiner Struktur nach, seinem Wesen nach ist der Roman vehement anti-ideologisch eingestellt.“
In seiner vielleicht bekanntesten Romanfigur hat Milan Kundera das umgesetzt, was er in einem Interview aus dem Jahr 1976 vorweg nahm. Tomáš, ein Prager Klinikarzt, der keine festen Bindungen mehr eingeht und stattdessen eine unüberschaubare Zahl an Liebschaften pflegt, hadert mit sich selbst. Die Zeiten sind politisch aufgeladen, auf den „Prager Frühling“ wird dessen brutale Niederschlagung folgen. Doch die Sorgen des Arztes sind so persönlich wie gravierend: Soll er sein Leben radikal ändern und mit dieser einen Frau namens Teresa zusammen leben, die er durch zahlreiche Zufälle getroffen hat? Ist das Gewicht einer solchen Entscheidung nicht unendlich schwer – oder doch unerträglich leicht? Der allwissende Erzähler führt seine Figur selbst in die Geschichte ein.
Zum Tod von Milan Kundera

Milan Kundera wurde mit „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ weltberühmt

12.07.2023
09:18 Minuten
Eine schwarz-weiß Aufnahme zeigt Milan Kundera in sinnierender Pose.
Eine schwarz-weiß Aufnahme zeigt Milan Kundera in sinnierender Pose.
„Seit vielen Jahren schon denke ich an Tomas, aber erst im Licht dieser Überlegungen habe ich ihn zum ersten Mal klar vor mir gesehen. Ich sehe ihn, wie er in seiner Wohnung am Fenster steht, über den Hof auf die Mauer des gegenüberliegenden Wohnblocks schaut und nicht weiß, was er tun soll.“

Das Schwere und das Leichte

Mit seinem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ wurde Milan Kundera weltbekannt. Generationen von Leserinnen und Lesern kennen die unglückliche Liebesgeschichte von Tomáš, Teresa und ihrem Hund Karenin, die zwangsläufig in der Katastrophe enden muss. In Milan Kunderas berühmtestem Buch, 1984 veröffentlicht und von Hollywood verfilmt, steckt all das, was die Romankunst des Schriftstellers ausmacht: Die Verknüpfung von großer Weltgeschichte mit dem kleinen persönlichen Schicksal und das Unterfüttern des Romanstoffs mit philosophischen Einsichten.
„Es ist unmöglich zu überprüfen, welche Entscheidung die richtige ist, weil es keine Vergleiche gibt. Man erlebt alles unmittelbar, zum ersten Mal und ohne Vorbereitung. Wie ein Schauspieler, der auf die Bühne kommt, ohne vorher je geprobt zu haben. Was aber kann das Leben wert sein, wenn die erste Probe für das Leben schon das Leben selber ist? Aus diesem Grunde gleicht das Leben immer einer Skizze. Auch 'Skizze' ist nicht das richtige Wort, weil Skizze immer ein Entwurf zu etwas ist, die Vorbereitung eines Bildes, während die Skizze unseres Lebens eine Skizze von nichts ist, ein Entwurf ohne Bild.“

Romanschriftsteller, kein Ideologe

Exil und die Fremde – das sind die großen Themen dieses berühmten Romans. Auch Milan Kundera musste schließlich sein Heimatland aus politischen Gründen verlassen. Danach sieht es aber in der Jugend des 1929 in Brünn geborenen Schriftstellers noch nicht aus: Er wächst in einem bürgerlich-musischen Umfeld auf, sein Vater ist Pianist und leitet viele Jahre die Musikhochschule in Brünn. Milan Kundera findet früh zur Literatur: Er übersetzt Gedichte aus dem Russischen und veröffentlicht noch als Jugendlicher seine erste Lyrik in Zeitschriften.
Mit 18 Jahren tritt er aus Überzeugung in die Kommunistische Partei ein – um bereits zwei Jahre später wieder ausgeschlossen zu werden. Da lebt er schon in Prag und studiert – zunächst an der Karlsuniversität und schließlich an der angesehenen Filmhochschule FAMU, wo er nach dem Studium auch unterrichtet. Bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts kann der Schriftsteller unbehelligt veröffentlichen.
Nach seinem Ausschluss tritt er letztlich wieder in die Kommunistische Partei ein, erhält sogar im Jahr 1963 für eines seiner Theaterstücke den tschechoslowakischen „Klement Gottwald“-Staatspreis für Literatur. Ein unbequemer Geist ist der Schriftsteller damals schon. Sein „Buch der lächerlichen Liebe“ sowie sein erster Roman „Der Scherz“ beschäftigen sich mit intimen und turbulenten Lebens- und Liebesgeschichten – und thematisieren zugleich das Leiden der Menschen am totalitären System. Nur eben mit den komplexen Mitteln der Literatur und ohne explizit politisches Ansinnen:
„Ich war und ich bin stets gegen jene, die von ihrer allzu vereinfachten Wahrheit überzeugt sind und sie den anderen aufoktroyieren wollen. Kurz gesagt, ich bin kein Politiker, ich bin kein Ideologe, ich bin Romanschriftsteller.“

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

In den Jahren nach dem Einmarsch der Sowjettruppen im August 1968 und dem Beginn der sogenannten Normalisierung ändern sich die Bedingungen für Milan Kundera: Er wird erneut aus der Partei und aus dem tschechoslowakischen Schriftstellerverband ausgeschlossen und erhält Publikationsverbot. Als er 1975 die Gelegenheit bekommt, an der Universität Rennes zu unterrichten, verlässt er sein Heimatland und geht nach Frankreich. Es wird ein endgültiger Abschied sein. Die in einem Interview ein Jahr nach seiner Ausreise aus der Tschechoslowakei formulierte Hoffnung auf Rückkehr wird sich nicht erfüllen.
Der tschechische Schriftsteller Milan Kundera sitzt mit einer Zigarre in der Hand in einem Sessel. Dahinter ist eine Malerei zu sehen. Das schwarz-weiße Foto wurde im Mai 1968 aufgenommen.
Der Schriftsteller Milan Kundera erhielt in seiner Heimat 1968 Publikationsverbot© Imago / CTK Photo / Pavel Vacha

Aberkennung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft

„Wissen Sie, ich habe das Recht, in die Tschechoslowakei zurückzukehren. Und das ist für mich außerordentlich wichtig. Weil die Existenz eines Daueremigranten deprimierte mich. Dennoch kann ich mich nur dort aufhalten, wo ich arbeiten kann. Und momentan ist das eher in Frankreich möglich als in der Tschechoslowakei.“
Auf die Veröffentlichung des „Buchs vom Lachen und Vergessen“ im Jahr 1978, ein Roman über Liebe und Vergänglichkeit, der ebenfalls kritisch mit den politischen Verhältnissen in seinem Heimatland umgeht, reagiert das Regime mit dem endgültigen Bruch: Die Tschechoslowakei erkennt Milan Kundera die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft ab. Kurze Zeit später wird er Franzose.
„In unserem dümmlicherweise völlig politisierten Jahrhundert verstehen die Leute nicht mehr, einen Roman wirklich als einen Roman zu lesen, sie wollen vielmehr im Roman die Illustration vereinfachter, politischer Thesen sehen. Und auch deshalb muss der Romanschriftsteller auch von Zeit zu Zeit schweigen können, um seine Romanschöpfungen gegen vereinfachende und politisierende Interpretationen zu schützen.“

Die Kunst des literarischen Spiels

Der nun in der Tschechoslowakei zur unerwünschten Person erklärte Kundera lebt damals in Paris – und bleibt fortan dort. Mit seinem 1988 veröffentlichten Roman „Die Unsterblichkeit“ wendet er sich schließlich vom literarischen Schauplatz der Tschechoslowakei ab. Das Buch thematisiert den Roman und die Rolle des Erzählers an sich. Kundera treibt sein literarisches Spiel geradezu auf die Spitze, wenn er im Rahmen der fiktiven Handlung selbst auftritt und ganz unverblümt erklärt, wie seine Hauptfigur namens „Agnes“ angeblich entstanden ist.
„Wie Eva aus einer Rippe Adams stammt und Venus aus dem Schaum des Meeres geboren wurde, so ist Agnes aus der Geste jener sechzigjährigen Dame entstanden, die dem Bademeister am Schwimmbecken zugewunken hat und deren Züge in meiner Erinnerung bereits verblassen. Diese Geste rief damals in mir eine grenzenlose, unverständliche Wehmut wach, und aus dieser Wehmut wurde die Frauenfigur geboren, die ich Agnes nenne. Ist aber der Mensch, und eine Romanfigur vielleicht noch mehr, nicht als einzigartiges, unwiederholbares Wesen definiert?“

Berühmtester Schriftsteller Tschechiens

Mit dem Roman „Die Identität“ beginnt der Schriftsteller Mitte der Neunziger, seine Bücher auf Französisch zu verfassen – nach Tschechien reist er im Laufe der Jahre wenn überhaupt noch, dann inkognito. 2008 verdüstert sich Kunderas ohnehin schwieriges Verhältnis zu seinem Heimatland noch weiter: Tschechische Medien beschuldigen ihn, als Student in den Fünfzigern einen Wohnheimmitbewohner bei der Polizei angezeigt zu haben – wegen angeblicher Westkontakte. Der junge Mann wird verhaftet und kommt als Spion für viele Jahre ins Gefängnis.
Kundera bestreitet die Vorwürfe, die sich tatsächlich nicht erhärten lassen. 2018 will Premierminister Andrej Babiš dem Schriftsteller die tschechische Staatsbürgerschaft zurückgeben, weil er ihn für den berühmtesten Schriftsteller des Landes halte – doch Kundera reagiert nicht auf die Geste. Seine melancholischen Bücher werden unsterblich bleiben. Es sind Versuche über die pure Qual und die reine Freude der menschlichen Existenz, über die allzu leichte Schwere des Seins. Eine nicht immer einfache, aber immer bereichernde Prosa – so stur, so entschlossen wie ihr Autor selbst:
"Wissen Sie, ich liebe es nicht, wenn mir irgendjemand eine Lehre erteilen will, was meine Pflichten wären, und so weiter, und so weiter. Seit meiner Jugend versuchte man, mich immer wieder zu manipulieren – die einen wie die anderen. Ich liebe es nicht. Ich weiß selbst, was ich tun soll."
Mehr über Literatur