Bernardine Evaristo: „Blondes Herz“

Das Unbekannte erforschen

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Cover des Buches "Blondes Herz" von Bernadine Evaristo
© Klett-Cotta

Bernardine Evaristo, Aus dem Englischen von Tanja Handels

Blondes HerzTropen Verlag, Stuttgart 2025

238 Seiten

25,00 Euro

Von Meike Feßmann |
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Bernardine Evaristo liebt das Abenteuer beim Schreiben. Also hat sie die historischen Verhältnisse einmal umgekehrt. In „Blondes Herz“ wird eine junge weiße Engländerin versklavt und nach „Aphrika“ gebracht. Kann das gutgehen?
„Mädchen, Frau etc.“ heißt der vielstimmige und kraftvolle Roman, für den Bernardine Evaristo 2019 als erste Schwarze Frau den renommierten Booker Prize erhielt. Er erzählt von elf Frauen und einer non-binären Person im London der Gegenwart und fächert lustvoll ein breites Spektrum von Verschiedenheiten auf.
Große Preise bringen es mit sich, dass auch frühere Bücher ins Scheinwerferlicht geraten. Das gilt besonders für Preise mit internationaler Ausstrahlung, die zu Übersetzungen führen. So erscheint nun ein Roman auf Deutsch, den die 1959 in London geborene Schriftstellerin schon 2008 unter dem Titel „Blonde Roots“ in ihrer Muttersprache publizierte. Hören wir doch gleich in den Roman hinein, der in der Übersetzung von Tanja Handels „Blondes Herz“ heißt:


„Tief im Innern war mir klar, dass jene, die mit Versklavten Handel trieben, diese Geldquelle niemals aufgeben würden. Schließlich handelte es sich dabei um den lukrativsten internationalen Wirtschaftszweig aller Zeiten, der nicht zuletzt groß angelegte Menschentransporte umfasste: Millionen von uns Waißen wurden vom Kontinent Europa auf die sogenannten Westjapanischen Inseln verschifft, die so genannt wurden, weil der ach so große Entdecker und Abenteurer Chinua Chikwuemeka sie auf seiner Suche nach einem neuen Seeweg nach Asien gefunden und geglaubt hatte, er sei auf den sagenumwobenen Inselstaat Japan gestoßen.“

Wer spricht hier? Man mag es kaum glauben, aber es ist Doris, eine junge weiße Engländerin, aufgewachsen als Tochter eines leibeigenen Bauern, die auf ein Sklavenschiff gebracht und auf einen anderen Kontinent, „Aphrika“ mit „ph“, verschleppt wurde. Und so geht es weiter:

„Da saß ich nun also, im Vereinigten Königreich von Großambossanien (VK oder GA sind die gängigen Abkürzungen), das zum Kontinent Aphrika gehört. Das Festland liegt gleich jenseits des Ambossa-Kanals und ist auch als Sonniger Kontinent bekannt, weil es hier immer so brüllend heiß ist.“

Die Geschichte der Sklaverei anders erzählen

Bernardine Evaristo wollte die Geschichte eines versklavten Menschen anders erzählen, als man es erwartet. Doch sie dreht die kolonialen Ausbeutungsverhältnisse einfach um. Die Heldin wird aus dem rückständigen Europa entführt, ins industrialisierte „Aphrika“ gebracht und schließlich in die Karibik verschifft. Topografie und klimatische Verhältnisse bleiben gleich, nur die Namen werden kalauernd verfremdet. In ihrem Memoir „Manifesto“ spricht sie von ihrem – so nennt sie es– „Experimentiergen“. Aber ist das schon ein Experiment? Sie selbst hat eine englische Mutter und einen Vater, der 1949 aus Nigeria eingewandert ist. Im Großbritannien ihrer Jugend wurde sie immer als Schwarze Person gelesen, obwohl ihre Vorfahren, wie ein Gen-Test zeigte, aus verschiedenen afrikanischen und europäischen Ländern stammen mussten. In „Manifesto“ schreibt sie:

„Mein kreativer Geist ist abenteuerlustig, er möchte das Unbekannte erforschen, hat den Drang, Gewohntes in Neues zu verwandeln. Ich schreibe, weil es mich dazu treibt, Geschichten zu erzählen, auch wenn ich nie weiß, zu was diese Geschichten noch werden und was sie schließlich offenbaren, wenn sie fertig sind.“

Ihre Freude am Geschichtenerzählen führte oft zu gelungenen Romanen, neben „Mädchen, Frau etc.“ etwa auch zu ihrem Roman „Mr. Loverman“. In „Blondes Herz“ gerät die Heldin jedoch zwischen die Klippen eines nicht zu Ende gedachten Projekts. Offenbar war der Roman als eine Mischung aus Satire und Tragödie geplant, doch das geht auf Kosten der Plausibilität. Einerseits soll Doris vom Land kommen, hineingeboren in geradezu mittelalterliche Feudalverhältnisse, andererseits reflektiert sie auf einem Niveau über Versklavung, das durch die Debatten des Postkolonialismus hindurchgegangen ist. 

Toxische Überlegenheit und Rassismus

Manches ist durchaus erhellend. Was man hier weißen Körpern antut – etwa der Transport auf einem Sklavenschiff in grauenhafter Enge unter unvorstellbaren körperlichen Strapazen – ist in den kulturellen Codes unseres Geschichtsbilds so sehr mit schwarzen Körpern verbunden, dass man sich die Versuchsanordnung immer wieder vor Augen führen muss. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, dass die „schwaarzen“ Kolonialherren – „schwaarz“ als Kunstwort mit doppeltem a – all die toxischen Eigenschaften der Überheblichkeit und des Despotismus aufweisen, die zur Vorstellung einer „White Supremacy“ gehören, die eine weiße Vorherrschaft behauptet. Die rassistischen Erklärungen „schwaarzer“ Überlegenheit hören sich dann so an:

„Über die Jahrtausende hinweg hat dieser geräumige negride Schädel das Wachstum eines auffallend großen Gehirns in seinem Innern befördert. Dies wiederum begünstigte die Herausbildung einer hoch entwickelten Intelligenz. (...) Mehr noch, die Negriden gehören zur Gattung der ‚Menschheit‘, während die Mongoliden sowie die Europiden den breiter gefassten ‚Menschlichen‘ angehören, die alles von der voll ausgebildeten Spezies ‚Mensch‘ bis hin zu den unterentwickelten ‚Neo-Primaten‘ einschließt.“

Fazit der Lektüre: Erschütternd bieder - und mäßig einfallsreich

Drei Kinder bringt Doris als Sklavin zur Welt, die ihr allesamt weggenommen werden. Auch ihre Eltern und die drei Schwestern wurden versklavt. Mit Hilfe einer Widerstandgruppe gelingt ihr nach Jahren der Qualen die Flucht, nur um alsbald in eine Falle zu geraten und zurückgebracht zu werden. Es ist dann wie ein Wunder, als ihr eine der verlorenen Schwestern, aufgestiegen als Mätresse eines Kolonialherrn, erneut zur Flucht verhilft. „Blondes Herz“ ist mäßig einfallsreich, zuweilen erschütternd bieder und trotz der gelegentlich Erkenntnis stiftenden Verwirrung von Kategorien so schwerfällig, dass man sich nach all den anderen – wirklich guten – Büchern von Bernardine Evaristo sehnt.
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