August Modersohn: "In einem neuen Land"
© Propyläen Verlag
Neue Perspektiven auf alte Probleme
05:30 Minuten

August Modersohn
In einem neuen Land: Eine deutsche ReportagePropyläen Verlag, Berlin 2025240 Seiten
24,00 Euro
35 Jahre nach der Wiedervereinigung reist "Zeit"-Journalist August Modersohn quer durch Deutschland. Begegnungen mit Cowboys, ehemaligen Pazifistinnen und AfD-Politikern mit Migrationsgeschichte zeigen ihm: Es ist nichts mehr, wie es einmal war.
Als stellvertretender Ressortleiter des Leipziger Büros der „Zeit“ beobachtet August Modersohn schon lange die bundesdeutsche Politik vom Osten aus. Mit der gleichen Neugier und Selbstironie wie in seinen Reportagen blickt er in seinem Buch auf die Umbrüche, die Deutschland seit der Wiedervereinigung erlebt hat.
Fernab vermeintlicher Gewissheiten
Modersohn besucht Orte, an denen sich die zentralen Fragen zeigen, mit denen Deutschland heute ringt: Wie umgehen mit dem Aufstieg der AfD? Wie sollen wir uns gegen Russland verteidigen? Und was machen wir bloß aus unserer Beziehung zu den USA?
Die Antworten sucht er fernab typischer "Brennpunkte" und vermeintlicher Gewissheiten. Sondern auch in Cowboydörfern, Duisburger Kneipen oder in ehemaligen NS-Erholungszentren. "In einem neuen Land" ist lehrreich und unterhaltsam. Es schafft neue Perspektiven auf alte Probleme.
In seinem Buch reisen wir mit dem Journalisten etwa in eine AfD-Hochburg, die nicht in Sachsen oder Thüringen, sondern mitten in Baden-Württemberg liegt. In Pforzheim trifft er auf AfD-Politiker, die selbst eine Migrationsgeschichte haben, aber darin keinen Widerspruch zur Politik ihrer Partei erkennen. Wir lernen, dass natürlich auch im Westen Deutschlands die Bindung an alte Parteien längst am Bröckeln ist.
Im bayerischen Westerndorf "Pullman City" trifft Modersohn auf Cowboys und geht der Frage nach, wie sich unser Verhältnis zu den USA verändert hat. Dafür spricht er nicht nur mit dem ehemaligen Vizekanzler Sigmar Gabriel, sondern auch mit einem Bürgermeister, der sich um den Abzug amerikanischer Truppen sorgt.

Cowboys im Harz. Auch in der Westernstadt "Pullman City" war August Modersohn unterwegs.© picture alliance / dpa / Matthias Bein
In einem anderen sehr eindrücklichen Kapitel begleiten wir Modersohn nach Rügen. Während die AfD dort neue Wahlerfolge feiert, verbringen Touristen dort wieder ihren Urlaub im ehemaligen NS-Ferienort Prora. Die Leiterin der Gedenkstätte in der Anlage beklagt einen schwierigen Umgang mit der Erinnerung an die NS-Zeit.
Neugierig und selbstironisch
Mit dem Personal aus seinem Buch hätte Modersohn vermutlich mehrere Wochenzeitungen füllen können. Zu Wort kommen neben den Soziologen Steffen Mau und Raj Kollmorgen etwa auch der Historiker Patrice Poutrus oder die ehemalige Verfassungsrichterin Susanne Baer. Der besondere Charme entfaltet sich aber vor allem durch die vielen Begegnungen mit Kneipengängern, Cowboys und Passanten.
Modersohn stellt viele Fragen neu und dreht gewohnte Perspektiven um: Müssten wir nicht eigentlich darüber diskutieren, warum der Osten nicht links ist, statt immer nur zu klagen, warum er rechts ist? Wie blicken ehemalige Vertragsarbeiter auf die Wiedervereinigung? Oder was verbindet Pforzheim mit dem Erzgebirge?
Die größte Stärke dieses Buches ist, dass es die Wiedervereinigung nicht nur im Osten verortet. Denn als Westberliner im Osten weiß Modersohn: Auch der Westen Deutschlands hat eine Wiedervereinigungsgeschichte.
Modersohn begegnet seinen Protagonisten mit Neugier, Augenzwinkern und etwas Selbstironie: Da kommt es schon mal vor, dass gemütliche Hotelbesitzer in der Lausitz ihm durch die Haare wuscheln und ungefragt Nachtisch servieren. Oder dass der Autor auf seiner Recherche in einer Kneipe im Duisburger Hafen versackt. Wer August Modersohns „Zeit“-Reportagen mag, wird dieses Buch lieben.