Pippi Langstrumpf

Stark, fantasievoll, chaotisch und im besten Sinne respektlos

Filmszene aus dem ersten Pippi Langstrumpf-Film 1969.
Inger Nilsson als stärkstes Mädchen der Welt mit dem Affen "Herr Nilsson": Filmszene aus dem ersten Pippi Langstrumpf-Film 1969 © picture alliance / Keystone
Pippi Langstrumpf ist mehr als eine weltweit populäre Kinderbuchfigur. Mit ihrer Lebenslust und einem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl ist sie eine Inspiration für viele Menschen geworden. Vor 80 Jahren erschienen ihre Abenteuer erstmals in Schweden.
Sie ist unglaublich stark, verdammt mutig, maßlos fantasievoll, extrem chaotisch, respektlos gegenüber Autoritäten und in der Summe schlicht einzigartig: Pippi Langstrumpf. Vor 80 Jahren erschienen ihre Abenteuer erstmals als Buch in Schweden, ein paar Jahre später dann auch in Deutschland. Erfunden wurde die fröhlich-freche Göre von der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren (1907-2002).

Der Popstar unter den Kinderbuchfiguren

Pippi wurde weltweit bekannt und zum Popstar unter den Kinderbuchfiguren. Sie ist so originell, wie man nur sein kann, ihr Esprit verlockt den Leser dazu, selbst sofort ein bisschen sinnvollen Unsinn machen zu wollen, denn das Leben ist schließlich ernst genug. Gemeinsam mit einem Äffchen und ihrem Pferd lebt die neunjährige Pippi in der Villa Kunterbunt - ohne Mutter und Vater, dafür aber mit einem Koffer voller Goldstücke. Nebenan wohnen Tommy und Annika, ihre Freunde.
1941 hatte Lindgren die freche Romanheldin auf Wunsch ihrer siebenjährigen Tochter Karin erfunden, die krank im Bett lag und sich langweilte. Und als drei Jahre später Lindgren selbst nach einem Sturz mit verstauchtem Fuß das Bett hüten musste, nutzte sie die unfreiwillige Pause, um die Geschichten endlich aufzuschreiben.
Die schwedische Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren in ihrem Landhaus in Furusund in Schweden im Sommer 1987.
Die schwedische Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren in ihrem Landhaus in Furusund in Schweden im Sommer 1987© picture alliance / dpa / Jörg Schmitt
 Am 21. Mai 1944 bekam Tochter Karin das ordentlich abgetippte Manuskript von "Pippi Langstrumpf" zum zehnten Geburtstag überreicht - samt einer Zeichnung, die die schlaksige Pippi mit den langen, verschiedenfarbigen Strümpfen zeigte. Halb Kind, halb Clown.

Anarchischer Witz und Freiheitsdrang

Lindgren hatte eine kleine Punkerin mit anarchischem Witz, Freiheitsdrang und einer flexiblen Haltung zur Wahrheit in die Welt gesetzt, und misstraute ihrer Erfindung selbst ein wenig: "Ich selber fand, dass Pippi eine gefährliche Sache war“, sagte die Schriftstellerin einmal, sicher nicht in vollem Ernst. Das Manuskript schickte sie an einen Verlag mit der Bemerkung: „in der Hoffnung, dass Sie nicht das Jugendamt alarmieren“.
Das passierte glücklicherweise nicht. Dennoch gab es die Sorge, die Geschichte könne einen negativen Einfluss auf Kinder haben, und der Verlag lehnte ab. Erst in einer überarbeiteten Version erschien „Pippi“ dann 1945 bei Rabén & Sjögren. In der Folge wiesen auch fünf deutsche Verlage das Buch als jugendgefährdend zurück, bevor der Hamburger Verleger Friedrich Oetinger es 1949 nach Deutschland holte.
Nach der Veröffentlichung hierzulande urteilte die bibliothekarische Fachzeitschrift „Bücherei und Bildung“, das Buch sei für Kinder unter 14 Jahren nicht geeignet. Die Grenzen von Fantasie und Wirklichkeit würden so verwischt, dass das Kinder verwirre.

Unsterblichkeit und Weltruhm

„Als das Buch in Deutschland erschien, war der Aufschrei groß“, sagt die Germanistin und Astrid-Lindgren-Kennerin Inger Lison. „In vielen Zeitungen erschienen negative Besprechungen, Eltern weigerten sich, das Buch zu kaufen. Ein Mädchen wie Pippi hatte es so vorher nicht in Büchern gegeben. Die meisten weiblichen Figuren waren lieb und angepasst. Abenteuer erlebten zumeist nur die Jungen.“
Es gab allerdings auch positive Stimmen: „Da müssen die Schweden daherkommen und uns zeigen, wie man das köstlichste Kinderbuch der Welt macht“, lobte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ überschwänglich: „Wir sagen Pippi Langstrumpf Unsterblichkeit und Weltruhm voraus.“
Die FAZ behielt Recht. Die drei Pippi-Bände wurden verfilmt, in 80 Sprachen übersetzt und 66 Millionen Mal verkauft - davon allein 8,6 Millionen Mal in Deutschland. Auch eine Rassismus-Debatte über die Bücher konnte Pippis Popularität nicht viel anhaben. Ihr Vater, Kapitän Langstrumpf, ist inzwischen „Südseekönig“ auf der Taka-Tuka-Insel, ursprünglich war das rassistische N-Wort Teil seiner Bezeichnung.

Pippi Tat Dai und Pipi Pikksukk

„Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt“, heißt es in einem von Pippis Liedern, und das gilt tatsächlich für die gesamte Welt. In Vietnam kennt man sie als Pippi Tat Dai, in Estland heißt sie Pipi Pikksukk und in Frankreich Fifi Brindacier. Die Japaner haben Nagakutsushita no Pippi ins Herz geschlossen, die US-Amerikaner Pippi Longstocking. Wer mag, kann die Geschichten auf Schottisch-Gälisch, Schlesisch und Elsässisch lesen.
Mit ihrer Lebenslust, der Empathie für Schwächere und ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl entwuchs Pippi Langstrumpf der Kinderbuch-Sphäre und wurde zu einer inspirierenden Figur für Menschen in jedem Lebensalter. Michelle Obama sagte einmal der „New York Times“, sie habe nicht nur Pippis körperliche Stärke, sondern auch ihre Souveränität bewundert.
Die Kinderbuch-Autorin Cornelia Funke findet: „Pippi hat uns schon als kleine Mädchen beigebracht, dass Frauen einfach alles können.“ Und der deutsch-schwedische Autor Micke Bayart lobt Pippi als lebenden Beweis dafür, „dass man niemals zu klein ist, um großartig zu sein und im allerbesten Sinne Regeln zu brechen“.

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