Solidarität und Zurückhaltung

Wie die deutsche Kulturszene mit dem Angriff auf Israel umgeht

Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin Mitte, fotografiert in der Dämmerung.
Die Akademie der Künste verurteilte als eine der ersten deutschen Kulturbetriebe den Angriff der Hamas auf Israel. © imago / Schöning
17.11.2023
Nach dem Terrorangriff auf Israel hat es vonseiten einiger deutscher Kulturinstitutionen und Künstler Solidaritätsbekundungen mit Israel gegeben. Andere, die sonst laut politische Standpunkte vertreten, haben damit offensichtlich Schwierigkeiten.
Die aktuelle Situation im Nahen Osten beeinflusst auch die Kultur. Dies zeigt sich beispielhaft auf der Frankfurter Buchmesse, etwa im Streit um die Eröffnungsrede des slowenischen Philosophen von Slavoj Žižek oder in der Debatte um die Preisverleihung an die palästinensische Autorin Adana Shibli. Einige deutsche Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturinstitutionen haben bereits Stellung bezogen, während andere auffällig schweigen.

Welche Künstler und Institutionen haben sich zu dem Angriff auf Israel geäußert - und wie?

Der Deutsche Musikrat, die GEMA, das Forum Musikwirtschaft und die GVL, also die deutsche Verwertungsgesellschaft für ausübende Künstler und Produzenten, haben sich in einer gemeinsamen Erklärung mit den Menschen in Israel solidarisiert. "Die deutsche Musikbranche steht an der Seite der Jüdinnen und Juden gegen jede Form von Antisemitismus", heißt es in der Erklärung.
Die Akademie der Künste erklärte außerdem, sie trete für ein Verbot jeglicher Unterstützung der palästinensischen Hamas in Deutschland ein.
Kämpfer der radikalislamischen Terrororganisation waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten mehr als 1300 Menschen getötet, vornehmlich Zivilisten. Auch andere deutsche Kulturorganisationen und -institutionen wie der Deutsche Kulturrat, das Deutsche Historische Museum in Berlin, die Münchener Kammerspiele positionierten sich klar - teilweise auch gegen die antisemitischen Taten in Deutschland nach dem Terrorangriff der Hamas.
Prominente Persönlichkeiten aus der klassischen Musikwelt, wie beispielsweise der deutsche Pianist Igor Levit, verurteilten den Hamas-Terror ebenfalls.
Aufsehen erregte die Rede des slowenischen Philosophen Slavoj Žižek auf der Frankfurter Buchmesse. Er verurteilte den Terror der Hamas, erinnerte aber zugleich daran, dass man die palästinensische Zivilbevölkerung schützen müsse.
Es werde keinen Frieden in Nahost ohne eine Lösung der Palästina-Frage geben können. Weil er aber zugleich davon sprach, es gebe ein "Analyse-Verbot" des Nahostkonflikts, verließen aus Protest einige Gäste während Žižeks Rede den Saal.

Gibt es uneingeschränkte Solidarität mit Israel in der Kulturszene?

In der deutschen Kulturszene gibt es kein einheitliche Haltung zu dem Konflikt in Nahost. Besonders aus der Techno- und Club-Szene gibt es sehr vielfältige Reaktionen auf die Hamas-Angriffe in Israel. Sven Väth, einer der populärsten deutschen DJs und Produzenten, lud auf Instagram ein Bild mit Israel-Flaggen hoch und bezeichnete den Terrorangriff als einen Akt der Barbarei.
Es gibt jedoch auch Stimmen, die den antisemitischen Terror der Hamas als palästinensischen Freiheitskampf bezeichnen. Dabei hat die palästinensische Terrororganisation Hamas bei ihrer Attacke am 7. Oktober auch ein Technofestival in der Negev-Wüste überfallen und mindestens 260 Menschen getötet und zahlreiche weitere entführt.
Die Berliner Clubcommission äußerte sich spät und ihr Statement lässt nicht eindeutig erkennen, dass die Hamas gezielt Juden ins Visier nahm und Antisemitismus der treibende Faktor hinter dem Angriff war. Ein Mitglied des Leitungsteams veröffentlichte einen Story-Post, der auf einen Text verlinkte, in dem geschrieben steht: "Guten Morgen Palästina. Der Widerstand gegen Besatzung und Apartheid ist ein durch internationales Recht und das menschliche Gewissen garantiertes Recht, und der Widerstand gegen die israelische Besatzung ist eine Pflicht".
Die Techno-Szene ist gespalten in der Frage, wo legitime Kritik am Staat Israel aufhört und die Grenze zum Antisemitismus erreicht ist. „Die Clubkultur ist sehr stark darin, Rassismus und Sexismus zu reflektieren. Aber wenn es um Antisemitismus geht, dann sehe ich da eine große Leerstelle“, sagt Elisabeth Steffen vom Berliner Club „About Blank“.
Das liegt auch an den Ursprüngen der Clubkultur, die sich in den 1970ern in New York als Gegenkultur etabliert hat, in der sich alle frei entfalten konnten, unabhängig von ihrer Herkunft oder Sexualität. Natürliches Feindbild waren die Kolonialmächte, die sich über andere Länder erhoben und Menschen abgewertet haben.
Die vom Bundestag als antisemitisch eingestufte propalästinensische Boykott-Bewegung BDS oder auch die DJs for Palestine sehen sich in dieser Tradition und übertragen den postkolonialen Diskurs auf den aktuellen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, ohne die Geschichte der Judenverfolgung zu berücksichtigen. Beide Bewegungen haben großen Einfluss in der internationalen Techno-Szene.

Warum fehlen klare Statements?

Es fällt auf: Im Vergleich zu dem Zeitpunkt, als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann oder nach dem Terroranschlag auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" sind die Solidaritätsbekundungen in den sozialen Netzwerken verhalten, auch bei den Kulturinstitutionen, die damals eifriger mitzogen.
Möglicherweise liegt diese Zurückhaltung auch an der Befürchtung, trivial zu wirken, wie Raphael Gross, Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin anmerkt. Stella Leder vom „Institut für Neue Soziale Plastik“, das Antisemitismus im Kulturbetrieb entgegentreten will, ist dagegen wenig überrascht und spricht sogar von einem "lauten Schweigen". Es gebe Künstler und Institutionen, die sich nie äußern, weil sie es nicht als ihre Aufgabe sehen.
Dann gebe es aber noch den Teil, der stets aktivistisch unterwegs sei und für den die Solidarität mit den Palästinensern eine große Rolle spiele, so Leder. Dieser Teil äußere sich gerade nicht. „Anscheinend fehlt die Empathie, wenn Israelis oder Juden ermordet werden", vermutet Leder.
Konkret in dieser Situation gehe es allerdings nicht um die Palästinenser im Allgemeinen, sondern darum, sich von einer Terrororganisation zu distanzieren, die in ihren Statuten das Töten von Juden aufführe und das Land Israel dem Boden gleich machen wolle. "Selbstverständlich ist das antisemitisch", betont Leder.
Dem Vorwurf, die Kulturszene schweige zu den Ereignissen in Israel, widerspricht der Autor und Journalist Denis Yücel. Das entspreche nicht der Realität in Deutschland, sagt der Sprecher der Schriftstellervereinigung PEN Berlin. Zudem gebe es einen "Bekenntniszwang" nur in totalitären Regimen, nicht aber in Demokratien: "Zur Demokratie oder zur Meinungsfreiheit gehört auch das Recht, die Klappe  zu halten."

Wie ist die Situation in der deutschen Kulturbranche beim Thema Antisemitismus?

Immer wieder wurde in der Vergangenheit von einem wachsenden Antisemitismus im Kulturbetrieb gesprochen. Beispiele hierfür sind die Diskussionen rund um Konzerte von Roger Waters und die documenta fifteen in Kassel. Auch die kommende documenta wird schon weit vor dem Start von einem Antisemitismus-Eklat überschattet.
Nach einer Diskussion um Antisemitismus-Vorwürfe ist die gesamte Findungskommission für die künstlerische Leitung der Weltkunstausstellung documenta in Kassel zurückgetreten. Zuvor hatten bereits zwei Mitglieder ihren Rücktritt erklärt.
Die Findungskommission sollte bis Ende 2023 oder Anfang 2024 einen Kurator, eine Kuratorin oder ein Kollektiv für die kommende Ausgabe im Jahr 2027 vorschlagen. Nun soll der Findungsprozess vollständig neu aufgesetzt werden.
Der Arbeitsprozess der Kommission sei unter dem Eindruck der Terrorattacken der Hamas, dem zunehmenden Antisemitismus in Deutschland und den polarisierten Debatten darum immer mehr unter Druck geraten, teilte die documenta mit. Es sei erwogen worden, nach den ersten beiden Rücktritten mit den verbliebenen Mitgliedern der Kommission weiterzumachen, die Kommission aufzustocken, die Arbeit auszusetzen oder ganz neu aufzulegen. In „einer äußerst schwierigen Entscheidungsfindung“ hätten sich die vier verbliebenen Mitglieder entschlossen, nicht mehr teilhaben zu wollen.
Tatsächlich sind antisemitische Vorfälle in Kultur und Bildungseinrichtungen 2022 laut dem Jahresbericht des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) im Vergleich zu den Vorjahren stark angestiegen: 170 solcher Fälle wurden 2022 gemeldet, über 70 mehr als im Vorjahr.

Welche Rolle können deutsche Kultureinrichtungen nach dem Angriff auf Israel spielen?

Einige Kultureinrichtungen sehen es als ihre moralische Verpflichtung und Aufgabe, zu informieren und aufzuklären, beispielsweise die Akademie der Künste. Deren Präsidentin Jeanine Meerapfel erklärte: "Das ist das, was wir machen, sowohl mit unseren Künsten wie mit unserer Sprache. Wir sind eine kulturelle deutsche Institution. Und wenn wir uns nicht äußern, wer soll das sonst machen?"
Es gebe eine ganze Reihe von Gesprächsangeboten, zum Beispiel zur Situation in Deutschland mit dem Rechtsruck, so Meerapfel, die sehr gut besucht seien. "Die Menschen sehnen sich nach einer Erklärung dessen, was sie jetzt im Moment erleben." Daher sei die Arbeit von Kulturinstitutionen in Deutschland so wichtig.

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