Rechts vor Links

Junge Nazis in Deutschland

Die Neonazi-Gruppe "Jung und Stark" (JS) demonstriert im März 2025 schwarz gekleidet und Reichsflaggen tragend in der Essener Innenstadt für Abschiebungen von Ausländern.
Der deutschen Neonazi-Szene ist es in den vergangenen Jahren gelungen, junge Menschen zu mobilisieren und zu radikalisieren. © picture alliance / Jochen Tack / Jochen Tack
Rechte Gewalt nimmt kontinuierlich zu. Die Verhaftung von Mitgliedern der "Letzten Verteidigungswelle" zeigt: Die Täter werden immer jünger. Was könnte rechtsextreme Jugendliche stoppen?
Fünf Mitglieder der rechten Terrorgruppe „Letzte Verteidigungswelle“ wurden im Mai nach einer Razzia in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen festgenommen. Die meisten von ihnen sind noch Jugendliche, der jüngste Beschuldigte ist erst 14 Jahre alt. Die Mitglieder sollen mehrere Brandanschläge geplant und teilweise durchgeführt haben.
Ist Rechtsextremismus wieder zu einer populären Jugendkultur geworden, wie er es einst in den ostdeutschen Bundesländern in den 1990er-Jahren und frühen nuller Jahren war, als in den so genannten Baseballschlägerjahren die rechte Gewalt eskalierte?

Nehmen rechte Einstellungen unter jungen Menschen zu?

Rund zehn Millionen Menschen haben bei der letzten Bundestagswahl die AfD gewählt, eine Partei, die vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird. Unter den 18- bis 24-Jährigen war die AfD mit einem Stimmenanteil von 21 Prozent nach den Linken (25 Prozent) mit Abstand die zweitstärkste Kraft.
Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) kommt in ihrer Analyse zu politischen Einstellungen und zum Wahlverhalten junger Menschen zu dem Schluss, dass es „deutliche Anzeichen für Frustration, Politikverdrossenheit und einen ‚Rechtsruck‘ bei einigen jungen Wähler:innen, insbesondere in Ostdeutschland und bei jungen Männern“ gebe.
Zugleich nimmt die Zahl der rechtsextremen Straftaten seit Jahren zu. 2024 verübten Rechte laut BKA-Statistik mehr als 42.000 Delikte. Dazu zählen unter anderem Körperverletzung, Propaganda im Internet, Angriffe auf CSDs, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte oder Jugendeinrichtungen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Straftaten aus dem rechten Spektrum um knapp 48 Prozent angestiegen. BKA-Präsident Holger Münch sagte bei der Vorstellung der Fallzahlen, dass sich bei Teilen der jungen Menschen ein „Rechtsruck in der Ideologie feststellen“ ließe.

Warum driften Jugendliche nach rechts?

Junge Menschen seien besonders offen für politische Meinungsbildung, erklärt die Sozialpsychologin Beate Küpper. Daher versuchen rechte Parteien, Influencer und Organisationen gezielt, Jugendliche anzusprechen. Wenn Jugendliche immer wieder von rechtsextremer Propaganda erreicht würden, normalisieren sich die Aussagen und die rechtsextreme Einstellung festige sich. Politische Einstellungen könnten sich zwar ändern, aber das sei ein langer Prozess.
Einige der jungen Rechten sind geprägt von ihren Eltern, die in den 1990er-Jahren selbst Teil der rechtsextremen Jugendkultur waren. Junge Rechtsextreme nehmen zunehmend auch äußerlich wieder Bezug auf die Neonazis der 1990er-Jahre. Sie tragen Springerstiefel und Bomberjacke, Glatze oder Seitenscheitel und propagieren so eine „Ästhetik der Härte“, wie es Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung beschreibt.

Sind die Baseballschläger-Jahre zurückgekehrt?

„Rassistische Gewalt hat nie aufgehört“, sagt der Theologe und Soziologe David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg. Trotzdem unterscheide sich die aktuelle Lage von der Situation in den 1990er-Jahren in Ostdeutschland, den sogenannten Baseballschlägerjahren. Rassistische Massengewalt wie in Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda gebe es heute nicht mehr. Vergleichbar sei aber die ununterbrochene Abfolge von rassistischen Straftaten durch einzelne oder kleine Gruppen.
Es herrsche ein gesellschaftliches Klima, in dem rassistisch motivierte Gewalt wieder stärker möglich sei. Das liegt David Begrich zufolge auch an der AfD, die eine mediale und öffentliche Reichweite hat, wie keine rechtsextreme Partei vor ihr seit Gründung der Bundesrepublik. Das habe dazu geführt, dass rechtsextreme Positionen eine Normalisierung erfahren hätten.
Der gewaltbereiten Neonazi-Szene ist es gelungen, bundesweit junge Menschen, insbesondere Jungen und Männer, zu mobilisieren und die demokratische Gesellschaft zu stören, zum Beispiel mit Gegendemonstrationen bei CSDs. Solche Gemeinschaftserfahrungen würden die Teilnehmenden zusammenschweißen und ihnen ermöglichen, sich stark zu fühlen und ihrer Wut freien Lauf zu lassen.
In Ostdeutschland werde der Rechtsruck in einigen Regionen von weiten Teilen der Gesellschaft befürwortet, sagt Hannes Püschel, Berater bei der Opferperspektive Brandenburg. Begonnen habe alles mit dem Widerstand gegen die Unterbringung von Geflüchteten in den Jahren 2015/2016. Seit drei Jahren entwickle sich eine militante rechte Jugendszene.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien?

Die sozialen Medien befeuern den Rechtsextremismus. Sie helfen Menschen, sich mit anderen Rechtsextremen zu vernetzen und werden von rechten Gruppen zur Agitation genutzt. In Kurzvideos werde Gewalt ästhetisiert, sagt David Begrich. Das fasziniere Jugendliche und junge Erwachsene. Zugleich sei die Ausübung von Gewalt auch eine politische Selbstermächtigung. „Wer Gewalt ausübt, ermächtigt sich selbst dazu, im Grunde genommen soziales Verhalten zu sanktionieren, also zu sagen, wer darf sich auf einer Straße bewegen und wer nicht.“
Doch nicht das Internet oder die sozialen Medien allein tragen Schuld an dem Erstarken des Rechtsextremismus unter jungen Menschen. Es seien die tiefen Spannungen in der Gesellschaft, die dazu führten, dass junge Menschen orientierungs- und hoffnungslos seien, sagt der Soziologe Matthias Quent. Rechte Bewegungen griffen die Angst junger Menschen vor dem Niedergang Deutschlands auf und eröffneten ihnen die Chance, die empfundenen Miseren und diejenigen, die sie dafür verantwortlichen machen, beispielsweise Geflüchtete, Ausländer, Schwule oder Linke, radikal zu bekämpfen.

Wie normal sind junge Nazis auf deutschen Schulhöfen?

Wie stark rechte Einstellungen bei Jugendlichen verfangen, ist von Region zu Region unterschiedlich. In manchen ländlichen Regionen gebe es inzwischen „regelrechte Hegemonien“, sagt der Soziologe Matthias Quent. Mitschüler und Lehrer würden von rechten Jugendlichen und deren Eltern bedroht und eingeschüchtert. Oft spiele das Bildungsniveau eine Rolle. Je niedriger das Bildungsniveau, desto höher sei die Rechtsextremismus-Belastung.
Doch auch an Grundschulen und Gymnasien kam es bundesweit in den vergangenen Jahren immer wieder zu rechtsextremistischen Vorfällen. Rechtsextreme Symbole sind an Schulen und im außerschulischen Raum viel alltäglicher geworden.

Wie gefährlich sind rechtsextreme Jugendgruppen?

Der Soziologe Matthias Quent bezeichnet rechtsextreme Jugendgruppen als „eine ernstzunehmende Gefahr für Leib und Leben“. Hinzu kommt, dass Einschüchterung und Pöbeleien, Drohungen und körperliche Gewalt bei Betroffenen dazu führen können, dass sie Angst haben, sich unsicher fühlen und sich nicht mehr trauen, sich den Rechten entgegenzusetzen. Manche verlassen ihren Wohnort, weil sie den „rechtsextremen Dauerdruck“ nicht mehr aushalten.
Ein Teil der Menschen, die rechte Gewalt erfahren, ziehen sich aus dem öffentlichen Raum zurück. Ein anderer Teil der Bevölkerung steht hinter dieser Gewalt. Und wenn sie unwidersprochen stattfinden kann, fühle sich dieser Teil der Bevölkerung ermutigt, warnt Hannes Püschel, der Opfer rechter Gewalt berät.

Lehren aus den Baseballschlägerjahren: Was tun gegen rechte Gewalt?

Mehr Polizei, härtere Strafen und strengere Gesetze würden die Gewalt nicht stoppen, sagt Hannes Püschel. „Was wir in den 1990ern und frühen 2000ern gelernt haben, ist, dass es wichtig ist, Gegenkulturen zu stärken, also dass man sich nicht nur auf die Täter fokussieren darf.“ Politik und Gesellschaft sollten sich fragen, wie demokratische und inklusive Jugendkulturen gestärkt werden könnten. „Die werden gerade bedroht, die werden gerade gejagt, die werden gerade geschlagen und unsere Aufgabe ist es, denen beizustehen und sie zu schützen“, so Püschel.
Dafür müssten Demokratie- und Präventionsprogramme, Familien- und Jugendberatungsstellen, Jugendzentren und Aussteigerprogramme dauerhaft gestärkt werden. Häufig werde unterschätzt, so Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung, „dass Prävention eben keine Einmalmaßnahme ist, sondern ein sehr langfristiger und vernetzter Prozess, bei dem es vor allem eins braucht: Haltung und Ressourcen sowie eine klare gesellschaftliche Ab- und Ausgrenzung von Menschenfeindlichkeit und rechtsextremen Weltbildern.“
Die Politik suche nach Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, die möglichst wenig kosten, aber viel bringen, kritisiert Ina Bösefeldt, Geschäftsführerin des Landesjugendrings Mecklenburg-Vorpommern. Sie fordert finanzielle Sicherheit für Initiativen, die sich für eine demokratische Gesellschaft einsetzen. Stattdessen aber muss die Kinder- und Jugendarbeit vielerorts immer wieder um Förderung kämpfen.

rey
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