Online-Spiele

Wie Rechte die Gaming-Szene unterwandern

53:53 Minuten
Ein Gamer spielt am PC ein Computerspiel
Viele Gamer spielen online und treffen dort auf andere Spieler: Manchmal sind Rechtsextremisten darunter, denen es weniger ums Spielen, sondern vielmehr um die Verbreitung von Hassbotschaften geht © IMAGO / Westend61 / IMAGO / Elena Helade
29.04.2024
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Weltweit spielen mehr als drei Milliarden Menschen Videospiele. Und sie plaudern miteinander in Chats oder auf Plattformen wie Twitch und Discord. Das macht sich die Neue Rechte zunutze, um Hass zu schüren und ihre Ideologie unter Gamern zu verbreiten.
Games sind das größte Unterhaltungsmedium unserer Zeit. Die Branche macht mehr Umsatz als die Musik- und Filmindustrie zusammen. Viele Gamer spielen nicht nur gemeinsam, sondern kommunizieren währenddessen miteinander und sind weltweit stark vernetzt. Inzwischen ist eine neue rechte Bewegung entstanden, die versucht, ihr Gedankengut in der Gaming-Szene zu verbreiten und Menschen zu radikalisieren.

Wie sind die Rechten in die Gaming-Szene vorgestoßen?

Unter dem Hashtag Gamergate kam es 2014 zu einer gesteuerten Hasskampagne gegen Spieleentwickler und Spielende. Im Fokus der Hetze stand unter anderem die Journalistin Anita Sarkeesian, die versucht hatte, auf Sexismus in Videospielen hinzuweisen. Gamergate wurde zum Sammelbecken für rechte Trolle, Nationalisten, Antifeministen, Incels und Rechtsradikale. Es gilt als Geburtsstunde der Alt-Right-Bewegung und führte dazu, dass sich eine internationale Bewegung der Neuen Rechten formierte.
„Misogynie ist ein Teil der Neo-Nazi-Ideologie. Manche haben was gegen den Staat. Manche sind Rassisten. Aber Sexismus ist die Sprache, die alle verbindet“, erklärt Jessica White, die am britischen Royal United Services Institute zu Extremismus und Gaming forscht.
Zentraler Stratege der Kampagne war der rechtsextreme Publizist und Trump-Berater Steve Bannon. Er hatte das enorme Potenzial von Online-Gaming früh erkannt und nutzte Gamergate als Experimentierfeld für medienpolitische Strategien, die er später im Wahlkampf nutzte, darunter Dogpiling, Meme-Wars und Desinformation.

Warum ist die Gaming-Szene interessant für Rechtsextreme?

Über drei Milliarden Menschen weltweit spielen Videospiele. Fast die halbe Menschheit kann also über dieses Hobby erreicht werden. Das macht es für rechte Agitatoren reizvoll, in die Communities einzudringen. Zudem treffen sie dort auf frauenfeindliche männliche Spieler, die ihr angestammtes Territorium in Gefahr sehen. Die Gaming-Szene war lange ein männerdominierter Ort, doch inzwischen ist nach Angaben der Organisation „women in games“ etwa die Hälfte der Spielenden weiblich.
Ein bisschen herrscht in der Gaming-Szene eine Stimmung wie im „Wilden Westen“. Eigentlich sind die Online-Communities kein rechtsfreier Raum, aber in der Realität wird nicht so genau hingeschaut. Eine Analyse von ADL, einer Organisation, die sich gegen Hass engagiert, kam zu dem Ergebnis, dass Hass und Hetze in der Gaming-Szene sehr präsent sind, zunehmen und insbesondere Frauen und gesellschaftliche Minderheiten treffen.
Fehlverhalten hat oft keine Konsequenzen, und wenn doch, erst mit zeitlicher Verzögerung. Für Betroffene kann das schmerzhaft sein. Die Streamerin Shurjoka hat in einem Fall mal eine einstweilige Verfügung gegen einen anderen Streamer erwirkt. Doch bis zur Zustellung der Gerichtsentscheidung konnte er weiterhin ungehindert Unwahrheiten über sie erzählen.
„Es gibt derzeit in unserer Rechtsstaatlichkeit keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Weil die Geschwindigkeit, in der Desinformation verbreitet wird, so schnell ist und Plattformen wie Twitch und Youtube nicht kooperieren“, sagt Shurjoka.

Welche Strategien nutzen die Rechten?

Gaming eignet sich aufgrund seiner Reichweite und der narrativen- und identitätsprägenden Möglichkeiten besonders gut für Metapolitik. Metapolitik ist ein Instrument der sogenannten Neuen Rechten und bezeichnet die Absicht, in vorpolitische Räume einzudringen und dort die Diskurse zu bestimmen. Vorpolitische Räume sind zum Beispiel Gaming-Communities.
Der Medienstratege Steve Bannon prägte die Redewendung „Flood the Zone with Shit“. Das beschreibt recht eindrücklich, wie die rechte Bewegung online um Aufmerksam buhlt: Sie flutet die Kommentarspalten, Foren und Chats mit Hass und Hetze, mit Desinformationen und rassistischen Memes. Diese Strategie wurde erstmals in Gamingkontexten im großen Stil angewendet – Stichwort Gamergate.

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Es gibt vereinzelt Spiele mit rassistischen und antisemitischen Inhalten, doch die sind den meisten Menschen gar nicht bekannt und werden nur von sehr wenigen Menschen gespielt. Hinzu kommen Modifikationen von Games. Dadurch können in eigentlich harmlose Spiele problematische Inhalte implementiert werden. So war es zum Beispiel möglich im Kinderspiel „Roblox“ den Anschlag von Halle „nachzuspielen“, bei dem ein Rechtsextremist versuchte, in eine Synagoge einzudringen, um Juden zu töten.
Zwar hat sich seit langem in der Wissenschaft die Meinung durchgesetzt, dass Spiele oder bestimmte Spielmechaniken nicht zu mehr Gewalt oder Rechtsextremismus führen. Dennoch können Spiele Narrative prägen und Desinformation verbreiten. Das machen sich autoritäre Staaten wie China, Russland und Saudi-Arabien zunutze, die aktiv in die Branche und in Influencer investieren.

Warum ist es gefährlich, Hetzern das Feld zu überlassen?

Hass und Hetze in den Online-Communities provoziert manche dazu, tatsächlich gewalttätig zu werden. Die Wissenschaft bezeichnet dieses Phänomen als stochastischen Terrorismus.
Die rechtsextremen Attentäter von Christchurch und Halle waren in Incel-Foren unterwegs und haben sich in ihren Manifesten als solche bezeichnet. Beide haben ihre Anschläge als Spiel inszeniert.
Der Halle-Attentäter streamte seine Tat live auf Twitch, einer Online-Plattform, auf der Menschen normalerweise anderen Menschen beim Videospielen zuschauen und kommentieren können. Er sprach davon den „Breivik-Highscore“ knacken zu wollen, also mindestens 78 Menschen zu töten. Darüber hinaus stellte er eine Liste mit Achievements zusammen. Das sind Spielerfolge, die man in einem Game erreichen kann. Beide Attentäter wählten eine Kameraperspektive, die sie wie Protagonisten eines First-Person-Shooters aussehen ließ.

Was tun gegen rechte Propaganda in Gaming-Communities?

Gaming-Plattformen müssten stärker in die Pflicht genommen werden, Inhalte zu beobachten, zu löschen und Personen zu schützen, die Hass und Hetze erfahren.
Spieleentwickler Jörg Friedrich fordert eine „Kultur des Eingreifens oder des Widerspruchs“, wenn sich Menschen rassistisch oder sexistisch äußern und sich gegenseitig beleidigen.
Der Soziologe Manouchehr Shamsrizi glaubt nicht, dass die Szene das selbst lösen kann: „Ich bin absolut davon überzeugt, dass die Communities nicht in der Lage sind, sich gegen orchestrierte Desinformation, gegen Cognitive Warfare durch Autokratien, durch Terrororganisationen zu Wehr zu setzen.“ Es sei die Aufgabe der Kulturpolitik, sich einzumischen, sich gegen Rechtspopulismus zu engagieren und Betroffene zu stärken.
Autokratische Staaten, Terrororganisationen und rechtsextreme Netzwerker haben bereits erkannt, dass Gaming ein wichtiger Raum für Diskurse ist und diesen für ihre Zwecke genutzt. Deshalb ist es an der Zeit, dass Gaming als Kulturmedium ernster genommen wird.

rey
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