Kunstfestival Rohkunstbau

Kindliche Lebenswelten zwischen Krieg und Katastrophen

Syrische Schulkinder in der von Rebellen gehaltenen Stadt Jobar.
Auch die Situation syrischer Kinder wird beim Kunstfestival Rohkunstbau thematisiert. © AFP / Amer Almohibany
Von Barbara Wiegand · 06.07.2016
Das Kunstfestival "Rohkunstbau" im brandenburgischen Roskow trägt diesmal den Titel "Zwischen den Welten". Die ausgestellten Werke zeigen die Kindheit als Übergangsphase und verletzliche Welt. Aber auch, wie Kindheit durch Krisen und Kriege bedroht wird.
Das Sonnenlicht spiegelt sich in sieben rechteckigen Acrylglasscheiben, die vor der Flügeltür zum Schlosspark ausgebreitet liegen. Tritt man näher heran, erkennt man die Silhouette eines schlafenden jungen Mannes in den rechteckigen Scheiben. Blass sieht er aus, so weiß wie Decke, die ihn bedeckt. Mal liegt er gekrümmt, mal gestreckt auf dem Rücken, so dass es eher wirkt wie aufgebahrt.
Der Künstler Anthony Goicolea hat sich hier in Morpheus armen liegend gezeichnet. Als Jugendlicher, irgendwo zwischen Traum und Tiefschlaf, zwischen dem was morgen kommen mag und gestern war. Eben "Zwischen den Welten"- wie es im Titel der Ausstellung heißt. Marc Gisbourne, Kurator der Schau
"Ja, wir haben die Ausstellung 'Zwischen den Welten' genannt. Bezogen auf das Thema Kindheit bedeutet das, dass es da ein Dazwischen gibt. Eine Übergangsphase zwischen dem Kindsein und dem Erwachsenwerden. Uns geht es in der Schau also nicht nur um Kindheitserinnerungen, sondern um die Entwicklung von Kindern. Also, zum einen um das, was wir uns erträumen als Kinder, um unsere Vorstellungen von der Welt. Zum anderen geht es um die Realität.
Für viele Kinder heute ist die ja sehr schwierig, weil sie eben gar nicht Kind sein können. Und diese Arbeit von Goicolea ist eine zentrale Arbeit in dieser Ausstellung, weil sie uns im Bild dieses schlafenden Jugendlichen auch dessen Verletzlichkeit vor Augen führt."
So spielen Gefühle, Erinnerungen, Träume- und Albträume, aber auch die oft bedrohliche Wirklichkeit eine Rolle beim diesjährigen Kunstfestival Rohkunstbau. Die Kunst zum Thema Kindheit ist persönlich, aber auch politisch. Denn die Kuratoren sehen die Ausstellung durchaus auch als Appell, das Leben von Kindern zu schützen und ihre Rechte anzuerkennen.

Bombenhimmel über Damaskus

Wobei der moralische Zeigefinger unten bleibt. Dafür sind die multimedialen Arbeiten viel zu ambivalent. Ammar al-Beik etwa macht in seinem 27 Minuten langen Film die Situation der Kinder in seiner Heimat Syrien zum Thema - und geht dabei weit über eine Dokumentation des Bürgerkrieges hinaus. Bei YouTube eingestellte Bilder des Bombenhimmels über Damaskus mischt er mit Fellini-haften Szenen einer Zirkusaufführung in Aleppo.
"Vor Jahren kam ein italienischer Zirkus nach Aleppo und da habe ich an Fellini gedacht. Wie würde er heute reagieren auf die Situation in Syrien? Welche Bilder würde er finden? Und dann ist da noch der Löwe - als Zirkustier, aber auch als Anspielung auf den Syrischen Präsidenten: Al Assad - das bedeutet Löwe. Und er ist der Löwe, der dabei ist, die Menschen in Syrien zu verschlingen- also es gibt den Löwen im, aber auch außerhalb des Zirkus."
So bunt auf den ersten, so beklemmend auf den zweiten Blick wirkt auch die Arbeit der Chinesin Jia. Sie hat einen kleinen Laden im Schloss eröffnet, mit Süßigkeiten und kleinen Tierfiguren - handgeknetet von Kindern aus der südchinesischen Provinz, die ohne ihre Eltern aufwachsen müssen. Weil diese als Wanderarbeiter durch das riesige Land ziehen, weil sie an den illegal im Süden der Republik angebauten Drogen zu Grunde gingen - oder im Gefängnis sitzen.
"Ja, ich nenne es Mini-Shop. Das ist eine Erinnerung auch an meine Kindheit, wenn wir auf dem Rückweg von der Schule dort vorbeigingen und uns Süßigkeiten kauften. Und dieser Shop soll auch ein Ort des Austauschs sein, zwischen den Kindern in China und den Besuchern hier. Sie können sich also eine Kleinigkeit aus dem Regal nehmen - aber bitte, geben Sie etwas zurück. Als Geschenk für diese Kinder."

Vage Erinnerungen an die Vergangenheit

Jias Kaufladen ist also Teil eines Konzepts, aber auch voller persönlicher Anteilnahme. Wuchs die Künstlerin doch selbst bei ihren Großeltern auf und genoss die kleinen Momente süßen Glücks - als Trost für Zurückgelassensein.
Überhaupt fließt bei vielen Geschichten, die im brandenburgischen Schloss Roskow erzählt werden, die des Künstlers mit ein. Arne Schreiber etwa hat Standbilder alter Acht-Millimeter-Filme vergrößert, die ihn als Kind beim Baden in der Ostsee zeigen. Übermalt mit schwarz grauen Streifen, taucht der Künstler schemenhaft aus dem Dunkel auf - als Sinnbild einer vagen Erinnerung, die vielleicht nicht nur ein Badespaß war.
"Man erinnert sich an das Schöne, und an das nicht so Schöne. Und wie nahe das beieinander liegt. Was man ganz gut sehen kann an den Bildern, in den Zwischenräumen, die eigentlich das Bild verdecken oder freilegen, das bleibt so ein bisschen offen. Woran möchte man sich erinnern, was drängt sich nach vorn, was vergisst man?"
So lässt die Ausstellung Raum auch für eigene Erinnerungen und geht einem damit vielleicht näher, als es manch museale Ausstellung tut. Zumal die Kunst in den Salons, den kleinen Zimmern, Foyers und Fluren so klug wie sinnlich angeordnet ist.
"Zwischen den Welten" von Kindheit und Erwachsen sein auf künstlerische Spurensuche gehend, schafft man auf Schloss Roskow westlich von Berlin recht gut den Spagat zwischen aktuellen politischen Bezügen und individuellen Interpretationen.

22. Rohkunstbau "Zwischen den Welten"
10. Juli 2016 – 18. September 2016, Schloss Roskow
Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag, 12-18 Uhr
Eröffnung: 09. Juli 2016, 15.00 Uhr

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