Götterdämmerung vor barocker Kulisse

Von Barbara Wiegand · 09.08.2013
Weil es kein Geld vom Land Brandenburg gab, musste das Projekt Rohkunstbau ein Jahr pausieren. Nun geht es weiter im barocken Schloss Roskow im gleichnamigen Ort. Zehn Künstler zeigen Arbeiten zum Thema Moral - angelehnt an Wagners "Ring der Nibelungen".
Nein, es hat keinen großen Auftritt dieses Schloss Roskow im kleinen Dorf Roskow im Havelland. Wenn man nicht aufpasst, übersieht man gar die unscheinbare Auffahrt die zum Haupteingang führt. Im kleinen Park dahinter stehen Eichen und Trauerweiden, am Rande einige Plattenbauten. Von der Fassade mit ihren verzierten Risaliten und Gesimsen bröckelt hier und da der Putz: Es ist sichtlich ein Haus mit Vergangenheit. Rau und romantisch zugleich, bietet es das passende Ambiente für den Rohkunstbau, meint dessen Initiator Arvid Boellert:

"Das ist es auf jeden Fall. Weil wir hier den großen Vorteil haben, dass der Eigentümer sich für das Projekt interessiert. Ähnliche Überzeugungen hat auch in ästhetischer Form. Was etwa die Sanierung angeht, die sehr behutsam stattfindet. Und das Dorf steht dahinter das Amt, der Gemeinderat, die Feuerwehr. Das heißt es gibt hier auch einen Kontrast in der Besucherschaft. Das Gebäude war ja zu DDR Zeiten eine Schule. Das heißt viele ehemalige Schüler werden sich die Ausstellung anschauen. Und das sind nicht immer Besucher die jeden Tag in eine Ausstellung gehen und die treffen sich mit internationalem Publikum. Und das ist was ganz Besonderes. Das kriegt man in Potsdam und in Berlin schon gar nicht."
Anfang des 18. Jahrhunderts wurde Schloss Roskow als Landsitz derer von Katte errichtet. Ob allerdings Hans Herrmann von Katte - der als finaler Akt einer grausamen Erziehungsmaßnahme vor den Augen seines Jugendfreundes Friedrich des Großen hingerichtete Sohn der Familie -, jemals hier war, ist nicht klar.

Lara Croft im Renaissance-Stil
Zum dramatischen Teil der Geschichte dieses Adelsgeschlechts jedenfalls passt die drastische Fotoserie, mit denen Zlatko Kopljar den Besucher empfängt. Auf den im Foyer gehängten Bildern wäscht ein Mann seine Hände in Blut statt in Unschuld. Einen krassen Gegensatz dazu bilden nebenan Annelies Strbas geisterhaft entrückte Madonnenbilder. Voll heiterer Ironie dann die Tapisserien von Margret Eicher im ersten Stock, in denen Lara Croft als digitale Heldin in Renaissanceartigen Bildern erscheint – mit dem stürzenden Superman als rahmendes Ornament. So umkreisen die Künstler auf verschiedenste Weise das diesjährige Thema Moral, erklärt Kurator Mark Gisbourne:

"Im ersten Teil des Ausstellungszyklus nach Wagners Ring ging es ja um Macht. Jetzt also Moral – und der zweite Teil des Zyklus, die Walküre, bietet da ja jede Menge Stoff. Es geht um Verrat, Mord, Intrigen Inzest. Aber es geht nicht so sehr um Wagner, sondern vielmehr darum, dass seine Themen auch heute noch ganz aktuelle Themen sind."

Das mit Wagners Ring als Grundlage für den Ausstellungszyklus ist also nicht zu eng zu sehen – und wenn, dann muss es in diesem zweiten Teil auch nicht die Walküre sein. Philip Fürhofer etwa kommt in seinen Objekten gleich zum Ende, zur Götterdämmerung. Bei normalem Tageslicht erkennt man auf dem so betitelten Plexiglas-Objekt einen romantisch anmutenden Abgesang auf die Götter. Knipst man das eingebaute elektrische Licht an, erscheint in den aufgemalten und abgekratzten Ebenen dahinter das Bild einstürzender Prachtbauten und eine abgründige Vielschichtigkeit

Die Kunst wirkt durch den Ort
Ein Stockwerk höher dann ist man wieder weit weg von Wagner. Und doch nah dran an seinen immer währenden Dramen: Hier hat Ming Wong Roman Polanskis finstren Thriller Chinatown neu bearbeitet – auf seine ganz eigene Art.

"Ja, ich spiele alle Rollen selbst. Den Bösewicht, die undurchsichtigen Charaktere, ja auch die Rolle von Faye Dunaway habe ich gern übernommen. Und was die Handlung angeht – also es geht da um Inzest, Mord, Vergewaltigung. Das alles tue ich mir selbst an. Ich ermorde mich, vergewaltige mich. Und indem ich all diese Rollen übernehme, wird das, was den Film ausmacht noch deutlicher: dieses Haltlose, Ungewisse, Instabile."

Rechts und links eines langen, schmalen dunklen Ganges flimmern Bilder dieses neuen Chinatowns zeitgleich über verschiedene Monitore. Unheimlich wirkt das: die Wortfetzen, das Bildgeflacker, die Reste von Kindertapete, die man hier und da neben den Bildschirmen entdeckt…

Dabei wird einem klar, was den Rohkunstbau ausmacht – auch in diesem Jahr. Mehr noch als im Museum wirkt die Kunst hier durch den Ort, an dem sie gezeigt wird. Denn frei von historisierendem Pomp und Prunk offenbart Schloss Roskow die Spuren seiner vielschichtigen Vergangenheit und lässt den Werken dabei auf seine Art Raum, sich zu entfalten. Und auch, wenn manche Arbeit trotzdem blass bleibt. Man spürt, welches Potential im Rohkunstbau in Roskow steckt – und hofft auf mehr davon. Auch in den kommenden Jahren.
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