Atlantis in Brandenburg

Von Barbara Wiegand · 03.07.2010
Dreidimensionale Traumvisionen, fantastische Meerestiere, verlorene Ideale: Neun internationale Künstler zeigen ihre Assoziationen zum Mythos Atlantis in einer Ausstellung nahe Potsdam.
Atlantis und der Mythos der versunkenen Stadt ist auch in diesem Jahr das Thema auf Marquardt. Und so märchenhaft verwunschen wie das neobarocke Gebäude am Ufer des Schlänitzsees liegt, mit seinen Türmchen und Erkern, dem von Sträuchern umwachsenen, verträumten Wintergarten, so sehr passt das Thema zum Ausstellungsort. So dient die Atmosphäre des Hauses den neun Künstlern gewissermaßen als Steilvorlage, um sich damit auseinanderzusetzen – auf verschiedenste Weise. Kurator Mark Gisbourne:

"Das Faszinierende an dem Thema Atlantis ist ja, dass es ganz egal ist, ob die Stadt jemals existiert hat oder nicht. Die Vorstellung von ihr, die existiert in jedem Fall. Und das ist auch das, was die Künstler so anzieht – was sie inspiriert – ja, es geht um verlorene und um mögliche Welten. Das trifft auch auf diese Ausstellung zu. Da spielt Vergangenes eine Rolle, aber auch Visionäres. Es ist ein Thema, das viele Möglichkeiten eröffnet."

Die Fotoleuchtkästen von Elisa Sighicelli zeigen zum Beispiel verlassene, in Bergen von Sand versinkende Räume als dreidimensionale Traumvision eines vielleicht hinter den Schlossmauern verborgenen Atlantis. Nebenan braucht man nur lange genug in einen schnörkelig gerahmten, düsteren Spiegel zu gucken, dann tauchen unter der Oberfläche dieser Installation von Mat Collishaw fantastische Meerestiere und Vanitas-Symbole der Vergänglichkeit auf. Nicht zu übersehen ist dagegen die achteckige weiße Kunststoffsäule, die Johanna Smiatek in der holzgetäfelten Eingangshalle aufgestellt hat. Betritt man das sperrige Konstrukt durch eine kleine Tür, wähnt man sich zunächst in einem Spiegelkabinett. Doch bald erscheint hinter dem achtfachen Abbild des eigenen Ichs eine überwältigende Tempellandschaft

"Das sollte eigentlich ein geschlossener kleiner Raum sein, der ziemlich intim ist. Mit vielen Spiegeln in denen man sich immer wieder spiegelt. Dadurch bekommt das auch so einen Labyrinth Charakter, weil man gar nicht weiß, wo man steht. Und nach einer Weile setzt dieser Mechanismus ein, der Lichtmechanismus ein, dass das Bild kommt, steht und langsam wieder zurückgeht."

...erläutert die Künstlerin. Das vervielfältigte Ich steht auch im Mittelpunkt von Niklas Goldbachs Spurensuche nach Atlantis. Allerdings führt ihn sein Weg nicht hin zu verlassene Tempellandschaften, sondern in die kühle Wirklichkeit unserer globalen Welt. In seinem in der Luxussuite eines Berliner Hotels gedrehten Video tritt er als zehnfacher Klon seiner selbst auf. Zehn Business-Men, im schwarzen Anzug und weißen Hemd, die mit ihren reglosen Mienen perfekt in die perfekt gestylte Umgebung passen.

"Die zehn Figuren sind inspiriert durch diesen Kritias-Text von Platon, der Grundlage ist für den zweiten Teil der Ausstellung. Atlantis hat der Sage nach zehn Könige gehabt. Und die waren Brüder. Und da ich in meinen Arbeiten mit Duplikationen von Protagonisten arbeite oder mit Klonen, habe ich das zum Anlass genommen, die Brüder sich gleichen zu lassen. Das ist eigentlich eine Übertragung auf heute, weil heute treffen sich die Mächtigen in Luxushotels."

Einen Raum weiter hat Stefan Roloff eine Art Kathedrale errichtet. Doch der sakrale Raum entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Fernsehzimmer, die bunt bemalten Kirchenfenster sind an die Wand projizierte Videos. Darin erkennt man die Silhouetten von Menschen, die alle gleichzeitig reden, so dass ihre Stimmen zum Teil einer brabbelnden Geräuschkulisse werden – als Teil einer farbenprächtigen Inszenierung…

"Ich habe immer gedacht, dass Kirchenfenster und Fernseher eigentlich das Gleiche sind. Das ist so eine Sache vor der man andächtig sitzt und wo man sich zu Hause wohlfühlt. Die gibt uns viel. Kraft, Identitätsfiguren, alles. Ich habe mir gedacht, dass ich 30 Leute in verschiedenen Sprachen reden lasse. Die haben einen Raum und für die ist es möglich, über ihre Fantasien, Träume und so zu sprechen. Alle gleichzeitig. Und natürlich ist es sehr schwer, so etwas unter einen Nenner zu bringen. Das ist die absolute Freiheit und die absolute Unmöglichkeit zugleich."

So löst sich der Videokünstler vom einzigartigen Mythos des Ausstellungsmottos und entdeckt ein Stück Atlantis in jedem von uns. In unserem Streben nach oft verloren geglaubten Idealen, die zwar auf verschiedene Art, aber eben nur in unserer Vorstellung Wirklichkeit werden. Die Arbeit ist beispielhaft für die sinnliche, oft hintersinnige Weise, mit der sich die Künstler mit dem Thema auseinandersetzen. In der meist sehr ästhetischen Machart ist das schön anzusehen. Zu schön vielleicht. Denn anecken, wirklich aufwühlen, das tut keine der Arbeiten. Dennoch, in seinem immer wieder perfekten Zusammenspiel mit dem "Geist" des Hauses ist dieser Rohkunstbau allemal eine Reise nach Schloss Marquardt wert.

Links bei dradio.de:
Auf der Suche nach verlorenen Welten
Rohkunstbau im Schloss Marquardt *


Freiheit unterm Deckel
Die XIII. Rohkunstbau-Ausstellung in Groß Leuthen *


Ein albtraumatischer Trip
"Kinderszenen" im Rohkunstbau *
Mehr zum Thema