Auf der Suche nach verlorenen Welten

Von Barbara Wiegand · 11.07.2009
Die sogenannte Rohkunstbau-Ausstellung legt einen besonderen Fokus auf den Ausstellungsort - sei es eine alte Fabrikhalle oder eine Burg. Dieses Jahr gastiert das Ausstellungsprojekt Rohkunstbau am Schlänitzsee im Schloss Marquardt und widmet sich dem Thema Atlantis.
Am Ufer des Schlänitzsees, inmitten eines nach Plänen von Lenné gestalteten Parks steht Schloss Marquardt. Mit seinen Türmchen, den Erkern und den Efeu umrankten Wänden, von denen hier und da der Putz bröckelt, wirkt das neobarocke Gebäude märchenhaft verwunschen. Innen zeugen eine mit Schnitzereien verzierte holzgetäfelte Treppenhalle, Salons mit Stuckdecken und freiliegenden Rohren sowie schmale, in tristen Farben gestrichene Gänge von der bewegten Vergangenheit des einstigen Gutshauses.

Das wurde zunächst zum stilvollen Herren- und Sommersitz und dann zum Hotel aus und umgebaut, war später Kriegslazarett und dann Kinderheim. So hat das unbewohnte Schloss schon ohne die Kunst viel zu erzählen. Mit ihr gemeinsam aber wird das Ganze zum beeindruckenden Erlebnis; zumal das Thema der diesjährigen Rohkunstbauausstellung passenderweise "Atlantis" lautet - Arvid Boellert, künstlerischer Leiter des Rohkunstbaus.

"Das ist sehr passend zum Thema Atlantis, weil dieses Schloss schon in bestimmten Teilen etwas verschlafen ist, etwas versunken. Was zwar weiter erhalten wird durch den Eigentümer. Aber es ist kein wunderbar saniertes Schloss. Und insofern passt es sehr zum Thema einer versunkenen Insel, eines versunkenen Landes."

So werden die meisten der zehn beteiligten Künstler dem Rohkunstbau-Anspruch gerecht, sowohl auf das Thema, als auch den Ausstellungsort einzugehen. Unter dem Titel "Atlantis I - Hidden Histories - New Identities" spüren sie nicht nur Mythos und Legenden eines untergegangenen, vielleicht nur als Idee existenten Atlantis nach. Vielmehr setzen sie sich mit der Geschichte der Räume auseinander. Beziehen sich - 20 Jahre nach dem Mauerfall und dem Ende der Sowjetunion - direkt auf jüngst zerfallene Staatssysteme und neu gewonnene Identitäten - oder indirekt auf Sinnbilder von Verlust und Wiederentdeckung. Das tun sie immer wieder erfrischend haptisch und lebendig, mal melancholisch, mal humorvoll.

Der Tscheche Robert Barta etwa macht verzweifelte Klopfzeichen hinter verschlossenen Türen zum augenzwinkernden Symbol einer weggesperrten und vergessenen Vergangenheit. Und der von Dennis Feddersen installierte schwarze Riesenwurm, der sich wie ein aufgeplatztes Gedärm durch die Zimmer und Flure wälzt, nimmt dabei alles mit sich, was vom Leben im einstigen Schloss Marquardt bis heute übrig blieb - Tische, Stühle, Schubladen; vielleicht ja, um damit ein neues Atlantis aufzubauen. Wie ein Mausoleum hat Martin Assig einen verlassenen Bienenstock in einem lichtdurchfluteten Erkerzimmer platziert - zum Gedenken an einen gewesenen Staat. Und im ersten Stock hat Gregor Hildebrandt einen wundersam glitzernden Teppich verlegt - eine aus Dutzenden von alten Kassettenbändern zusammen gehäkelte Verbindung zum Atlantis Thema.

"Für mich ist die Verbindung, dass man nie genau weiß, ob es diese Stadt wirklich gab - und wo sie ist. Und ebenso weiß man in meiner Arbeit nicht, ob wirklich eine Information enthalten ist, ob ein Lied aufgenommen ist, und indem Fall weiß man auch zum Teil nicht mehr, welches. Dennoch finde ich auch, dass dieser Teppich an die Oberfläche des Meeres erinnert, wo ja theoretisch die Stadt darunter liegen könnte."

Sehr persönlich dagegen ist das Atlantis, in das Lisa Junghanß eintaucht. In ihrem auf Schloss Marquardt gedrehten und nun auf mehreren Leinwänden projizierten Film irrt sie als ihr eigener Geist durch die Räume. Wie in einer Geschichte von Edgar Allen Poe ist sie gefangen in den Mauern dieses Hauses und gleichzeitig in sich selbst und ihrer Einsamkeit.

"Ich war ja eine Woche lang hier vor Ort und habe das ganze Haus erkundet. Und letztendlich ist eine Arbeit herausgekommen, in der ich als Person, ein bisschen geisteskrank kommt das vielleicht rüber ... Wo man nicht genau weiß, ist die hier verlassen worden, ist die hier als einzige übrig geblieben? Oder was macht die hier? Ja, man weiß nicht, sucht sie was, sucht sie was aus der Vergangenheit, ist sie gerade hier gelandet?"

Während Junghanß das Schloss auf so beklemmende wie beeindruckende Weise als Kulisse für diese Geschichte eines verlorenen Selbst nutzt, geht Katarzyna Kozyra heiterer mit dem Ambiente um. Ihr ebenfalls auf Schloss Marquardt entstandener Film ist ein an das Märchen von Schneewittchen angelehntes Splattermovie, in dem sieben Zwerginnen transsexuellen Prinzen ein übles Ende bereiten.
Der für sich genommen etwas platt effektheischende Beitrag ist Teil einer sinnlich inszenierten Ausstellung, in der das Schloss mit seinem morbiden Charme zweifellos die rühmliche Hauptrolle spielt, in der die Kunst sich aber fast durchweg in sehenswerten Nebenrollen hervortut. Der Rundgang durch die diesjährige Rohkunstbau-Schau ist eine Erlebnisreise durch ein vielseitig interpretiertes Atlantis, die manchen Gimmick und manch blass bleibendes Werk vergessen macht und auf mehr Rohkunstbau an diesem Ort hoffen lässt.