Folge 6

Heilung aus der Natur

54:10 Minuten
Blick in ein altes Buch. Das Foto wird von einer Grafik aus organen Punkten überlagert.
Dieses alte Buch ist ein Ausstellungsstück im geogischen Nationalmuseum in Tiflis. © Yannic Hannebohn / Grafik: Deutschlandradio
Von Fabian Federl und Yannic Hannebohn · 29.08.2022
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Benjamin Kunath hat sich mit multiresistenten Keimen infiziert. Kann ihm eine alte Therapie aus Georgien helfen? Und was hat das alles mit der Erde aus dem Grab des irischen Priesters zu tun?
An einem Sonntagabend im März 2022 sind wir mit Benjamin Kunath am Münchner Flughafen verabredet. Kunath ist über TV-Dokumentationen auf das Eliava-Institut in Tiflis gestoßen, das eine ganz besondere Art der Therapie gegen multiresistente Keime anbietet. Die Phagentherapie.

In Kunaths Körper wüten die Keime

Für Kunath ist die Reise die letzte Chance auf Heilung. Gegen die multiresistenten gramnegativen Keime, die er sich in einem deutschen Krankenhaus eingefangen hat. Sein Zustand ist seit vier Monaten gleichbleibend, schlecht. Sein rechtes Ohr ist entzündet, in seiner Mundhöhle sind kleine Knubbel gewachsen, seine Haut am Oberschenkel aufgekratzt. In seinem Körper wüten die Keime.
Für uns ist die Reise die Suche nach einem Hinweis: dass Gerry Quinns Arbeit am Ende doch nicht so verrückt ist, wie sie uns die ganze Zeit vorkam.

"Phagen sind das bessere Antibiotikum"

Phagen waren früher das einzige Antibiotikum, das die Menschheit kannte. Sie stammen aus der Natur und sie waren wirksam. Während Antibiotika mit ihrer Wirkung ein weites Spektrum an Bakterien zum Ziel haben, richten sich Phagen spezifisch gegen ein bestimmtes Bakterium, das zuvor analysiert wird.
Bakteriophagen, so sagt es uns Institutsleiterin Mzia Kutateledze, seien also besser, weil sie weniger Nebenwirkungen als Antibiotika besitzen. Weil sie spezifisch wirken und so nicht ungewollte Resistenzen aufkommen.
Phagen sind also das bessere Antibiotikum. So sieht es zumindest Mzia Kutateledze. Das klingt zu schön um wahr zu sein. Kutateladze behauptet: 85 % aller Patienten in ihrem Institut würden geheilt. Und auch wenn die Therapieform in Westeuropa nicht zugelassen ist, habe sie sich hier, in Gerogien, durchgesetzt.

Nicht weit entfernt von Gerry Quinns Theorie

Erster Tag. Kunath hat heute noch keine Phagen bekommen. Erstmal steht ein umfangreicher Checkup an. Erst am dritten Tag bekommt er seine erste Dosis Breitband-Phagen. Alle Phagen, die im Eliava-Institut kultiviert und zur Behandlung freigegeben werden, stammen aus der Natur, sie werden aus ihrem natürlichen Umfeld isoliert. So wie bei Antibiotika zu Beginn des antibiotischen Zeitalters.
Bei der Therapie in Tiflis sucht man keinen neuen Wirkstoff, sondern einen natürlichen Gegner für genau das eine Bakterien, das man bekämpfen will.
Auf einem Tisch liegt eine Tablettenpackung, die den Namen Benjamin Kunath trägt
Diese Packung mit Phagen wurde eigens für Benjamin Kunath hergestellt.© Yannic Hannebohn
Was wir hier hören, klingt nicht so weit von dem entfernt, was Gerry versucht zu tun. Er sucht in der Erde nach einem Organismus, der den passenden Wirkstoff für einen multiresistenten Keim in sich trägt. Es ist das, was schon Selman Waksman, der Nobelpreisträger, gemacht hat. Das, woraus er später Streptomycin isolieren sollte, war eine Erdprobe, gesammelt von seinem Assistenten Albert Schatz, direkt vor der Labortür.

Die stille Pandemie ist da

Wieso aber muss jemand wie Benjamin Kunath quer durch Europa fliegen, bis in den Kaukasus, um diese Therapie zu bekommen? Weil Phagen weder durch die deutsche noch die europäische Arzneimittelagentur zugelassen sind. Mittlerweile aber haben viele große westeuropäische Forschungsinstitute die Forschung an Phagen wieder aufgenommen. Denn allen, die daran forschen, egal ob in Georgien oder Westeuropa ist klar: Die Stille Pandemie ist da. Und das, was wir haben – zum Beispiel die Reserveantibiotika – wird nicht reichen.
Wir sind nach Georgien geflogen, um Gerrys Suche besser zu verstehen und einzuordnen. Und erfahren jetzt, dass sie in Tiflis nicht nur ganz ähnliche Ansätze haben, sondern ihren Anspruch auch ähnlich formulieren. Sie suchen nach „The Cure“. Nach der Heilung für die größte Bedrohung der menschlichen Gesundheit. Und auch hier suchen sie in der Natur. In Hinterhöfen, Erdproben und Abwässern.

Die Phagentherapie schlägt an

Wieder kommt diese Frage auf, die wir uns schon bei Peter Bayer, von der WHO, gestellt hatten: Ist es wirklich so banal? Fehlt es nur an einer Zulassung? An einem Anreiz? Ist die Heilung der Stillen Pandemie wirklich nur eine Frage des Geldes? Oder besser, der Möglichkeit, Geld daran zu verdienen?
Zwei Monate später, Anruf bei Benjamin Kunath. Der erzählt uns von seiner Heilung: Das rechte Ohr sei fast vollständig in Ordnung, nur noch selten spürt er Unterdruck. Die kleinen Hügelchen im Hals sind verschwunden. Seine Verdauung sei "nicht toll, aber okay". Die Rest-Befunde aus der Klinik kamen nicht mehr an, wohl alles okay, vermutet er. Einen Monat später will er wieder einen Marathon laufen, sagt er.
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