Folge 3

Das antibiotische Zeitalter

37:48 Minuten
Zwischen zwei Grabsteinen liegen Löffel auf einer Wiese. Die Fotografie wird überlagert von einer Grafik aus orangen Punkten.
Pilger kommen mit Löffeln, um Erde aus dem Grab von Father McGirr zu nehmen. © Fabian Federl / Grafik: Deutschlandradio
Von Fabian Federl und Yannic Hannebohn · 29.08.2022
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Immer mehr Bakterienstämme bilden Resistenzen gegen Antibiotika. Weil sie sich an die Waffen gewöhnen, mit denen wir sie angreifen. Jedes Jahr sterben deshalb über eine Millionen Menschen an multiresistenten Keimen. Tendenz steigend.
Benjamin Kunath war frühmorgens auf seinem Rennrad unterwegs, um zur Arbeit zu fahren. „Wer denkt denn, dass da schon Dreiviertelfünf oder so jemand dort auf der Straße ist“, sagt Benjamin über diesen folgenreichen Morgen.
Ein junger Mann sitzt mit Maske auf einem Behandlungsstuhl.
Benjamin Kunath hat sich mit multiresistenten Keimen infiziert und befindet sich in Behandlung im Eliava-Institut in Tiflis. Hierhin begleiten wir ihn in Folge 6.© Yannic Hannebohn
Doch es waren Menschen auf der Straße und er überschlug sich mit seinem Rennrad. Er wird ins Krankenhaus eingeliefert. Diagnose: ein Knochenbruch, aber nichts Lebensbedrohliches.
Die Behandlung seines Schlüsselbeins ist allerdings erst der Anfang einer Krankengeschichte, die ihn zu dutzenden Ärzten und sogar bis in eine Spezialklinik im Kaukasus führt. Er hat sich im Krankenhaus mit multiresistenten Keimen infiziert.
Benjamin Kunaths Fall ist kein Einzelfall. Laut WHO sterben jedes Jahr etwa 700.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Keimen. Laut einer „Lancet“-Studie vom Januar 2022 sind allein 2019 mehr als 1,2 Millionen Menschen an Infektionen mit multiresistenten Keimen gestorben.

Zufallsfunde in der Medizin

Erzählen wir die Geschichte der Medizin, dann erzählen wir sie oft als Erfolgsgeschichte. Und als Geschichte zufälliger Entdeckungen.
So geht die Entdeckung des Penicillins darauf zurück, dass der Bakteriologe Alexander Fleming 1928 aus den Sommerferien in sein Labor zurückkam. Auf seiner Werkbank lag noch eine Petrischale mit einer verschimmelten Bakterienkultur; die Schale war ungewaschen stehen geblieben. Es stellte sich raus: Ein Schimmelpilz hatte die Bakterien zerstört.
Penicillin war eine Wunderwaffe. Aber eine mit begrenzter Wirkung. Denn es gibt Bakterien, denen Penicillin nichts anhaben kann. Um diese zu töten, brauchte es: Streptomycin.

Nobelpreis für Streptomycin-Entdeckung

Selman Waksman und sein damals 23-jähriger Student Albert Schatz entdeckten 1943 den Wirkstoff an der Rutgers University in New Jersey. Schatz hat das Bakterium weniger Meter vor der Labortür entdeckt. Eher gefunden als erfunden. In der Erde.
Seit Streptomycin ist die wohl desaströseste Infektionskrankheit der Zivilisationsgeschichte plötzlich heilbar: die Tuberkulose. 1952 bekam Selman Waksman den Nobelpreis für seine Entdeckungen.
Mit Waksmans Streptomycin beginnt das antibiotische Zeitalter.

Antibiotika helfen nicht mehr

Wer eine bakterielle Entzündung hat, bekommt Antibiotika. Das gilt seit ihrer Erfindung vor rund 100 Jahren. Doch die Antibiotika, die Benjamin Kunath gegen seine Keime bekam, wirkten nicht.
Über die Jahrzehnte haben immer mehr Bakterienstämme Resistenzen gegen unsere Antibiotika gebildet. Weil sie sich an die Waffen gewöhnen, mit denen wir sie angreifen.
Heute ist die Situation an einigen Orten so weit, dass Krankheiten wieder auftauchen, die noch vor 40 Jahren als besiegt galten. Und, dass einst heilbare Infektionen heute nahezu unheilbar sind: Eine Blasenentzündung, je nach Keim, kann banal oder lebenslang chronisch sein. Wir haben nichts mehr im Schrank. Nicht nur für Kunath.

Ins Herz der Pharmaindustrie

Das Problem, so wird uns gesagt, ist die Wirtschaft und nicht die Wissenschaft. Denn viele Pharmaunternehmen sind in erster Linie dazu da, ihren Profit zu maximieren.
Wir sind deshalb ins Zentrum der europäischen Pharmaindustrie gefahren. Nach Basel. Zum größten Pharmaunternehmen der Welt.
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