Indisches Kino

Bollywood – Filmträume mit versteckten Botschaften

Tanzszene in dem indischen Film "Kabhi Khushi Kabhie Gham".
Wie sich eine Tochter zu verhalten hat, wie ein Mutter reagieren sollte: Bollywood hat die bewährte Ordnung im Blick © imago / Everett Collection
Glitzernde Tanzszenen, Liebe, Melodrama und Action: Das indische Kino ist eine Mischung sehr großer Gefühle. Dahinter stecken viele gesellschaftliche und politische Aussagen.
Die Superreichen tun es, die Angehörigen der Mittelklasse, Banker, Bauern oder Obdachlose: Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten in Indien schauen indische Filme und sie alle finden sich darin wieder, sagt Filmproduzent Manoj Srivastava.
Es sei Entertainment, reines Mainstreamkino, räumt er ein, mit dem Ziel, die Menschen zu unterhalten. Die Menschen im Kino tanzten, wenn eine der zahlreichen Musicalszenen auf der Leinwand erscheint – und sie gingen auch bei Kampf- und Actionszenen körperlich mit. Sie werden also zu einem Teil der Geschichte. Indischer Film sei sehr bewegend und interaktiv, er entfalte einen Sog, so Manoj Srivastava.
Doch die Wirkung der Geschichten geht weit über unmittelbares Miterleben im Kinosaal hinaus. Sie spiegelt und formt auch die gesellschaftlichen und politischen Strukturen Indiens.

Bollywood – Was ist das eigentlich?

Die Filmindustrie in Indien mit Sitz im ehemaligen Bombay – heute Mumbai – gilt als die produktivste der Welt. Die meist kommerziell orientierten Filme sind mindestens drei bis vier Stunden lang, enthalten mehre Musicalszenen, melodramatische Elemente, komische sowie Action-Szenen und erzählen oft Familiengeschichten. Sie werden Bollywood- oder Masalafilme genannt – auch da die Filme meist ein Potpourri verschiedener Genres sind: Romanze, Drama, Action, Komödie, Musical oder Thriller.
Die australische Filmkritikerin Adrienne McKibbins weist allerdings darauf hin, dass viele Leute aus der Hindi-Filmindustrie den Begriff ablehnen. Es sei eine abwertende Bezeichnung, die impliziert, dass es sich bei den Produktionen um eine Art minderwertigen Hollywood-Stoff handelt. In jedem Fall sind es aber Filmprodukte von hohem Erkennungswert. Doch noch etwas anderes fällt auf: Die Filme sind durchsetzt von einer Vielzahl traditioneller Werte, die zumeist dem Hinduismus entlehnt sind.

Bollywood, hinduistische Epen – und die Ordnung der Gesellschaft

Viele Filmerzählungen lehnen sich an bekannte hinduistische Epen an. Zum Beispiel an das Ramayana, in dem Prinz Ramas Frau Sita von einem Dämonenkönig entführt wird. Prinz Rama – eine Verkörperung des Hindugottes Vishnu – rettet seine Gattin Sita nach vielen Hindernissen schließlich mithilfe des Affengottes Hanuman. Er besiegt den Dämonenkönig und triumphiert somit über das Böse. Zugleich hat er für Gerechtigkeit gesorgt und dem Dharma, dem kosmischen Verhaltenskodex, Geltung verschafft und die religiöse und soziale Ordnung wiederhergestellt.
Analog zu diesem religiösen Rahmen und den Figuren aus dem Epos entwickeln viele Filmproduzenten in Indien ihre Geschichten. Die Charaktere aus den Epen dienen ihnen als Vorbilder.
Im Action-Film "Singham Again" etwa ist ein Super-Cop die moderne Version Ramas. Seine Frau wird entführt und mit seiner toughen Crew gelingt es dem Polizisten, sie wieder in den Schoß der Familie zurückzubringen.
Ein Schauspieler als Polizist auf einem Werbemotiv für den indischen Film "Singham Again" von Rohit Shetty Ranveer Singh.
Singham und sein Team stellen sich dem Kampf gegen das Böse - in Anlehnung an das Epos Ramayana© picture alliance / Jio Studios / Ajay Devgn Films

Wie die Götter Shiva und Parvati die Kastenregeln verletzen

In Familienmelodramen dagegen weisen Handlungsstränge immer wieder auf die Verpflichtung des Einzelnen gegenüber seiner Familie hin, auf die Unterordnung unter den Willen des Vaters und die schicksalhafte, unausweichliche Bestimmung eines jeden. So wie in dem sehr erfolgreichen Film "Kabhi Khushi Kabhie Gham" von 2001. Hier wird ein Sohn vom Vater verstoßen, weil er nicht die richtige, von der Familie ausgewählte Frau heiratet.
In der indischen Überlieferung waren es Gott Shiva und die Göttin Parvati, die sich als Erste über die Kastengrenzen hinweggesetzt und miteinander verbunden haben. Parvati kam aus einer oberen, Shiva aus einer der untersten Kasten. Weder ihre Familien noch ihre Freunde waren mit ihrer Entscheidung einverstanden. Aus dieser Verbindung stammt ihr Sohn Ganesha. Dennoch sind kastenüberschreitende Ehen in Indien bis heute verpönt.
Viele der Filme geben also die auf den Hinduismus fußende soziale Ordnung wieder, die religiösen Epen und Gebräuche – aber manchmal eben auch den Widerstand gegen starre Konventionen, gerade wenn es um Eheschließungen geht.
Szenenfoto aus dem Film "Kabhi Khushi Kabhie Gham" aka "Sometimes Happy Sometimes Sad" mit der Schauspielerin Kajol und dem Schauspieler Shahrukh Khan
Haltlos verliebt, aber sie kommt aus der falschen sozialen Schicht – was ein Familiendrama auslöst© imago / Everett Collection

Denn wenn es um die Ehe geht, sollten die Kasten und die Religion der Eheleute übereinstimmen. Das meinen zumindest die meisten der konservativen hinduistischen Inder – im wahren Leben wie im Film.

Muslime als Feindbilder im Kino

Mehr als achtzig Prozent der indischen Bevölkerung sind Hindus. Mit etwa vierzehn Prozent stellen die Muslime die größte Minderheit des Landes – eine Minderheit, die es in Indien nicht leicht hat.
Denn Indien wurde 1947 zwar als säkularer Staat gegründet und grenzte sich damit auch vom islamisch geprägten Pakistan ab. Doch mit der hindu-nationalistischen Regierung von Premier Modi wurde der Säkularismus in den vergangenen Jahren immer weniger wichtig. Die muslimische Minderheit in Indien sieht sich heute marginalisiert und verfolgt.
Diese Entwicklung ist auch eine Folge des 26. November 2008 – für Indien das, was der 11. September 2001 für die westliche Welt ist. Mehr als 170 Menschen starben damals bei der Anschlagsserie in der Metropole Mumbai, für den eine islamistische Terrorgruppe aus Pakistan verantwortlich gemacht wird. Es war einer der schwersten Terroranschläge weltweit und ein Schock für ganz Indien.
Die Filmbranche Indiens galt lange als unpolitisch. Doch vor allem, seitdem der hindunationalistische Narendra Modi Premierminister ist, wird sie politisch instrumentalisiert. Indiens Regierung empfiehlt öffentlich Filme, in denen Muslime besonders schlecht wegkommen: Sie werden als Terroristen dargestellt, als Schurken, als Verlierer, als Frauenschläger – und als Sand im Getriebe einer Ideologie, die Indiens Hindus als überlegen darstellt. Bollywood-Filme bilden also nicht nur die religiöse, sondern auch die politische Landschaft Indiens ab.

Küsse und Religionskritik sind Tabu – oder nicht?

Ob Hindu, Muslim, Sikh oder Christ – einig sind sich die Bollywood-Fans darüber, dass allzu freizügige Darstellungen nicht gern gesehen werden. Das betrifft vor allem das Frauenbild: So sollten zum Beispiel die Schauspielerinnen nicht allzu keck und bestimmend erscheinen. Lange Zeit waren auch Kussszenen verpönt, dieses Tabu wird jedoch behutsam gelockert.
Die Schauspielerin Aishwarya Rai am Set des indischen Films Devdas
Wie Sita im Ramayana? Anmutig und sexy geht, aber allzu freizügig dürfen die Frauenrollen nicht ausfallen© IMAGO / had fotos / Rajesh Vora / Dinodia Photo
Ein weiteres Tabu wurde durch die 2014 erschienene Science-Fiction-Satire "PK" zwar nicht gebrochen, aber doch heftig touchiert. Darin landet ein Alien mit dem Namen „PK“ in Indien. Dort sucht PK überall nach Gott, findet aber nur Religionsgemeinschaften, die miteinander verfeindet sind – und religiöse Führer, die PK als "Manager" bezeichnet, weil sie seltsame Rituale durchführen, Gläubige nicht ernst nehmen, bestechlich sind und sich die Taschen vollmachen.
“PK“ ist einer der erfolgreichsten Bollywood-Filme aller Zeiten, sorgte aber unter vielen Hindus für Unmut, wenn nicht gar Empörung. Sie empfanden die Darstellung der Hindu-Religionen, ihrer Gottheiten und des religiösen Personals als respektlos. Der Film gehöre verboten und müsse aus dem Verkehr gezogen werden, hieß es. Wieder andere fanden die Satire lehrreich, teilweise sogar ziemlich nahe bei der Wahrheit – und trotzdem amüsant.
Das bunt schillernde indische Kino lässt sich also letztlich nicht eindeutig festlegen – weder auf einen affirmierenden noch auf einen subversiven Effekt.

csh
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