Indien

Das Milliardengeschäft mit dem Sandraub

Eine Mann watet aus dem Wasser, auf dem Rücken trägt er einen Eimer voll Sand.
In Indien werden Flüsse und Seen auf der Suche nach Sand ausgegraben. © picture alliance / dpa
Von Jürgen Webermann und Anoop Saxena · 25.10.2014
Wer baut, braucht Sand. In einem Land wie Indien mit stets wachsenden Super-Metropolen ist illegaler Sandabbau ein lukratives Geschäft - und wird zum Problem für Mensch und Umwelt.
Guru ist gerade aufgetaucht. Er kaut Tabak und hat eine Alkoholfahne. Alkohol hilft, weil sich Guru vor dem dreckigen Wasser ekelt, in das er jeden Tag zigfach eintaucht. Die Abwässer der 20-Millionen-Stadt Mumbai fließen auch in diese Bucht, Thane heißt sie und befindet sich ganz in der Nähe der Megastadt. Bis zu 15 Meter tief taucht Guru hier, viele Male am Tag. Ohne Hilfsmittel. Jedes Mal könnte ein Trommelfell platzen. Oder Guru nicht mehr rechtzeitig an die Oberfläche kommen.
"Ich habe keine Angst. Ich wurde im Wasser geboren, und hier werde ich auch sterben. Warum sollte ich also Angst haben?"
Guru taucht nach Sand. Er nimmt einen Eimer mit in die Tiefe, füllt ihn, dann rüttelt er an einem langen Holzstab, damit die Männer auf dem Boot wissen, dass sie den Eimer hochziehen können. 40 Kilogramm Sand in einem Eimer.
"Ja, das ist gefährlich. Aber ich habe genug Luft. Es scheint so, dass Gott mir dieses Talent gegeben hat."
Kostbarer Rohstoff aus der Bucht
So furchtlos wie Guru scheint Sumaira nicht zu sein. Sie hat uns nach Thane geführt. Sie kennt die Stellen, an denen Taucher wie Guru den kostbaren Rohstoff aus der Bucht holen. Als aber ein Mann auf sie zukommt und danach fragt, was sie und ihre Begleiter hier zu suchen haben, wird sie nervös.
"Lasst uns lieber gehen. Es ist nicht mehr sicher. Der ist hier nicht für einen Spaziergang. Jemand muss ihm gesagt haben, dass Fremde hier sind."
Sumaira legt sich seit Jahren mit mächtigen Gegnern an: der Bau-Lobby. Städte wie Mumbai schießen in die Höhe und in jede Richtung. Dem Bauboom scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Aber wer baut, braucht Sand.
"Ich bin zum ersten Mal darauf aufmerksam geworden, als der Strand vor meinem Haus an der Küste verschwand. Ich dachte erst, das sei ein lokales Problem und habe mich beschwert. Dann habe ich aber gemerkt, dass es eine ganz andere Dimension hat."
Das Geld fließt schnell
Illegaler Sandabbau ist ein Milliardengeschäft. Das Geld fließt schnell. Alles, was notwendig ist, sind ein Lkw und ein paar Männer wie Guru, der Taucher. Der Oberste Gerichtshof hat 2011 festgestellt, dass der Abbau in Flüssen und Buchten ein extremes ökologisches Risiko sei. Aber die Vergabe von Abbaulizenzen ist meist Sache der lokalen Regierungen.
"Oft mischen die Lokalpolitiker aber selbst mit im Geschäft. Sie verdienen am Sand, entweder, weil sie selbst abbauen oder sich schmieren lassen. Das Geld fließt direkt in ihre Taschen."
Je mehr Sumaira der Sache nachging, desto gefährlicher wurde es für sie.
"Ich bin zweimal angegriffen worden. Ich ging zu einem Ort, wo sie Sand abbauen. Als ich die Verantwortlichen stellen wollte, wurde ich verprügelt. Ich verlor einen Zahn, sie brachen mir die Nase. Beim zweiten Mal fotografierten sie mich, erkannten mich und jagten mich mit zwei Jeeps und versuchten, mich von einer Brücke zu drängen."
Jedes Jahr sterben Taucher
Indiens Wirtschaft soll wachsen, um zehn Prozent in den nächsten Jahren. Sand wird immer lukrativer. Die Platzhirsche versuchen, ihre Reviere mit allen Mitteln zu verteidigen. Deshalb leben Menschen wie Sumaira gefährlich. Und deshalb muss Guru schon mehr als 15 Meter tief tauchen. Weil es an den flacheren Ufergegenden der Bucht keinen Sand mehr gibt. Jedes Jahr sterben allein hier in Thane bis zu zehn Taucher.
"Mein Leben ist nicht gut. Das Wasser ist dreckig. Wir müssen aber unser Essen bezahlen. Es kümmert sich ja niemand um uns, kein Minister, keine Behörde."
Guru sieht für sich keine Alternative zum Tauchen. Die Sand-Mafiosi dagegen hätten eine Alternative, nachhaltig und legal, sagt Sumaira.
"Sand ist natürlich wichtig für all die Baustellen. Wir können aber auch den Schutt alter Häuser wieder aufbereiten. Dann müssen wir nicht unsere Ufer und Strände abtragen."
Und so kämpft sie weiter. Sie dokumentiert den illegalen Sandabbau und zieht vor Gerichte. Die Verfahren dauern meist aber viele Jahre. Zeit, die Indien nicht hat, sagt Sumaira.
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