„Dieser Text enthält explizite Schilderungen psychischer und physischer Gewalt. Die Inhalte können belastend oder retraumatisierend auf Leser:innen wirken.“
Triggerwarnungen in der Literatur
Was bringen Triggerwarnungen in Büchern? © Getty Images / iStock / nuiiun
Überempfindlichkeit oder notwendiger Hinweis?
12:08 Minuten
In immer mehr deutschen Romanen findet sich die Warnung vor Schilderungen von Gewalt. In der Branche werden diese sogenannten Triggerwarnungen kontrovers gesehen. Sie wirkten sich auch auf die Wahrnehmung von Büchern aus, sagt Kritikerin Sonja Hartl.
Solche Triggerwarnungen finden sich immer häufiger in neu erschienenen deutschen Romanen.
Dabei müsse man aber aufpassen, betont Literaturkritikerin Sonja Hartl. „Es wird oft so dargestellt, als gehe es bei Triggerwarnungen um Überempfindlichkeiten, weil man auf etwas reagieren könnte.“ Tatsächlich beziehe sich der Begriff aber auf psychische Erkrankungen. „Es ist eine Warnung vor Reizen, die an ein zurückliegendes Trauma erinnern können.“ Hier spiegelten die Triggerwarnungen den offeneren Umgang mit diesen Erkrankungen wider.
Grenzen der Hinweise
Marlen Pelnys Roman „Liebe/Liebe“, in dem es um sehr drastisch geschilderten Missbrauch geht, gehört zu den Büchern mit Triggerwarnung. Die Autorin sagt, sie finde das gerade bei Themen wie sexuellem Missbrauch „wahnsinnig wichtig“. Es könne eine „total krass traumatische Erfahrung auslösen, wenn man schon auf der dritten Seite ist“. Und plötzlich werde man „umgeweht“.
Sie versteht aber auch die Frage nach der Grenze bei solchen Hinweisen. Denn es gebe sehr viele Aspekte, zu denen man Triggerwarnungen machen könne. Beispielsweise könnten auch Menschen mit Klaustrophobie oder Angst vor scharfen Kanten Probleme mit bestimmten Texten haben, so Pelny.
Auch Lea Draeger findet eine Triggerwarnung wichtig. Ihr Roman „Wenn ich euch verraten könnte“ enthält ebenfalls einen solchen Hinweis. In dem Buch erfährt eine Heldin schwerste Kindheitstraumata, die sich in der Psychiatrie bis zur Selbstverletzung fortsetzen. Das Tolle an einem Buch sei, dass man entscheiden könne, ob man an einer Stelle, an der potenziell Retraumatisierendes beschrieben werde, weiterlese oder das Buch zuklappe, sagt Draeger.
Veränderte Haltung einer Verlegerin
Draegers Buch habe einen Wandel bei der Verlagsleiterin von Hanserblau, Ulrike von Stenglin, bewirkt, erzählt Sonja Hartl. Von Stenglin habe selbst sehr heftig auf das Buch reagiert und sich gefragt, wie es dann traumatisierten Menschen gehe oder Menschen, die nicht mit solch krassen Bildern rechneten. (*)
Der Haymon Verlag, in dem Marlen Pelnys „Liebe/Liebe“ erschienen ist, sei einer der ersten Verlage in der deutschsprachigen Literatur gewesen, der Triggerwarnungen in Bücher einfügte, berichtet Hartl. Dort werde es als Entscheidungshilfe für Lesende gesehen und als Zeichen der Empathie gegenüber Kundinnen und Kunden. Der Hinweis beziehe sich auf große Themen wie Rassismus oder sexualisierte Gewalt.
Solche Triggerwarnungen können jedoch Folgen haben: Lea Draegers Roman werde jetzt sehr stark auf seine "krassen Themen" hin rezipiert, gibt Sonja Hartl die Verlegerin Ulrike von Stenglin wieder. Das Schöne oder auch Ermächtigende spiele weniger eine Rolle.
Hartl betont, Triggerwarnungen würden gewissermaßen zu einem weiteren Text, den Verlage einem Buch beigeben und mit dem sie die Wahrnehmung des Buches auch steuern könnten.
Triggerwarnungen auch bei Klassikern der Weltliteratur?
In Großbritannien enthalten manche Bücherkataloge Triggerwarnungen – selbst bei Klassikern der Weltliteratur. Maria-Sibylla Lotter, Professorin für Ethik und Ästhetik, findet das kontraproduktiv.
Beim Film kennt man solche Warnungen schon lange, auch auf Netflix oder Amazon haben sich viele bereits daran gewöhnt, auf drastisches Vokabular oder sexuelle Inhalte vorbereitet zu werden. Und bereits vor 30 Jahren wies auf Plattencovern meist martialischer Heavy-Metal-Bands das Parental-Advisory-Etikett Eltern darauf hin, was ihre Kinder zu hören bekommen.
Triggerwarnungen als Standard
Sie glaube und begrüße, dass Triggerwarnungen sich auch in der Literatur durchsetzen und Standard werden, so Sonja Hartl. Das sei auch eine Generationenfrage. Für jüngere Mitarbeitende in Verlagen seien solche Hinweise bereits "sehr normal".
Auch an Universitäten nehmen Triggerwarnungen zu.
Die Autorin Eva Berendsen warnt aber:
Es dürfe nicht darum gehen, sich überhaupt nicht mehr mit potenziell Verletzendem zu befassen.
(*)Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine Verlagsangabe korrigiert.
(abr)