Hinweise auf Büchern

Warnung vor der Triggerwarnung

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Auf gelbem Hintergrund klebt ein schwarz umrandetes weißes dreieckiges Schild mit einem Ausrufezeichen.
"Achtung, dieses Buch enthält ...": Manche Werke der Literatur enthalten Triggerwarnungen, in Großbritannien auch digitale Bücherkataloge. Maria-Sibylla Lotter hält nichts von solchen Beipackzetteln. © Unsplash / Markus Spiske
Maria-Sibylla Lotter im Gespräch mit Axel Rahmlow · 31.01.2022
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In Großbritannien enthalten manche Bücherkataloge Triggerwarnungen – selbst bei Klassikern der Weltliteratur: Kontraproduktiv findet das die Professorin für Ethik und Ästhetik, Maria-Sibylla Lotter.
Maria-Sibylla Lotter will nicht, dass bei Charles Dickens Büchern gewarnt wird, man müsse aufpassen, weil das Buch Sexismus enthalte, oder dass es bei Shakespeares "Julius Cäsar" um Mord gehe.

Problematisch für die Kunstrezeption

Die Hochschullehrerin an der Ruhr-Universität Bochum sagt, die digitalen Bücherkataloge aus Großbritannien mit den genannten Triggerwarnungen sollten Deutschland keinesfalls als Vorbild dienen: „Man liest das Buch dann nicht mehr unvoreingenommen, sondern hat von vornherein im Kopf: Da geht es also um Gewalt, um Missbrauch und dergleichen.“
Für die künstlerische Erfahrung sei das überhaupt nicht gut. Es sei viel besser, Inhalte im Zusammenhang der Form wahrnehmen könne, sagt Maria-Sibylla Lotter: „Denn in der Kunst geht es ja um die Form und nicht darum, ein Bedürfnis nach bestimmten Aufregern zu befriedigen. Das ist für die Kunstrezeption wirklich problematisch.“
Auf den Einwand, das Ziel von Triggerwarnungen sei nicht, manchen Menschen die Spannung zu nehmen, sondern bestimmte Menschen zu schützen, sagt die Professorin, sie halte das für unrealistisch: „Ich halte das für ein Scheinproblem", sagt sie.

Die Ausdehnung des Traumabegriffs

Das Problem sei durch die Ausdehnung von Begriffen entstanden, die sich auf Verletzlichkeiten, Schäden und menschliche Probleme bezögen: „Ganz typisch ist der Traumabegriff: Der wurde in den letzten 30 Jahren allmählich auf immer schwächere Phänomene angewendet. Beispielsweise, wenn jemand einen mit einem Telefonanruf morgens weckt. Ja, das hat mich aber traumatisiert."
Die übertragene Verwendung des Traumabegriffs für alles, was irgendwie unangenehm sei, habe sich verbreitert. "Sobald sich der Traumabegriff aber auf Erfahrungen von ‚unangenehm‘ bezieht, wird die alte Bedeutung, dass es um eine gefährliche Verletzung der Psyche geht, um etwas, was der einzelne gar nicht aus eigener Kraft bewältigen kann, um etwas, wirklich psychologisch schwierig wäre, mittransportiert – und das ist unrealistisch bei der Lektüre von Romanen."
Im Gegenteil, glaubt Lotter, habe die Kunst auch dank drastischer Inhalte therapeutisches Potenzial. „Schon Aristoteles hat festgestellt, dass eine Leiche, die gemalt ist, oder Gewalt, die in einer Tragödie vorkommt, auf eine völlig andere Weise erlebt wird als Gewalt, die man selbst erfährt oder beobachtet – das kann man überhaupt nicht vergleichen."

Therapeutische Möglichkeiten der Kunst

In der Kunst steht die Form im Vordergrund und deshalb habe gerade die Kunst sogar eine therapeutische Möglichkeit, sagt Lotter: Nietzsche und im Anschluss an ihn auch viele andere hätten darauf im 19. Jahrhundert hingewiesen.
„Nietzsche hat die Tragödien der Griechen besonders bewundert, weil sie eben gerade schreckliche, katastrophale menschliche Entwicklungen und Schicksalsschläge behandeln und es aber möglich machen, durch die ästhetische Form, sich genau damit auseinanderzusetzen, ohne selbst psychischen Leiden ausgesetzt zu sein."
"Genau das leistet ja die Kunst", sagt Lotter. "Wenn man das Vorkommen von Gewalt in der Kunst jetzt quasi mit einer Gewalterfahrung gleichsetzt, dann reduziert man das, was Kunst leisten kann, quasi auf das Leben. Und dann hat man es nicht mehr mit Kunst zu tun."

Hinweise bei Kinderbüchern

An einer Stelle findet Maria-Sibylla Lotter Warnungen unproblematisch: "Wenn ich jetzt Hinweise für Eltern geben möchte bei bestimmten Büchern, ob die schon für Kinder geeignet sind." Aber dann sollten die Hinweise in einer allgemeinen Form stehen, etwa dass es hier um Erfahrungen von Erwachsenen geht.
Wenn man es hingegen wie bei dem Beispiel aus England mit College-Studenten zu tun habe, müsse man sich klarmachen, wen man da warne: „Angehörigen einer Generation, die mit Computerspielen und Serien wie ‚Game of Thrones‘ aufgewachsen sind und also in einem Maß, wie es das vielleicht noch nie gab, mit der fiktiven Verarbeitung von Gewalt, Sex und allem richtig trainiert sind."
Lotters Fazit: „Gerade diese Gruppe hat Trigger-Warnungen mit Blick auf Bücher von Dickens, in denen Armut und zwischenmenschliche Bosheiten vorkommen, sicher nicht nötig.“
(mfu)

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