Meinung

Die falsche Bescheidenheit der Prominenz

Frau, die eine Dankesgeste mit Händen auf der Brust zeigt.
"Danke, dass ich hier sein darf": Prominente verkünden immer wieder ihre Freude und Dankbarkeit darüber, dass sie schreiben, spielen, musizieren und regieren dürfen. © picture alliance / imageBROKER / Isai Hernandez
Ein Einwurf von Heike-Melba Fendel |
Was steckt dahinter, wenn sich Fußballprofis oder Schauspielerinnen in TV-Shows dafür bedanken, dabei sein zu dürfen? Für die Autorin Heike-Melba Fendel geht es dabei nicht nur um Höflichkeitsfloskeln - sondern um die gute alte Arroganz der Macht.
In Gastronomie und Einzelhandel ist Unterwürfigkeit - mindestens rhetorisch - seit langem gang und gäbe. “Was darf es sein?” fragen - oftmals schlecht bezahlte - Servicekräfte, und “Wir freuen uns, Sie bald wieder als Gast begrüßen zu dürfen” ist auf Quittungen und an Ausgängen zu lesen. Der Kunde ist schließlich seit über hundert Jahren, gemäß dem vielzitierten Leitspruch des Kaufhausmagnaten Harry Gordon Selfridge, König. Obschon das hierzulande seit langem faktisch Quatsch ist - Stichwort Servicewüste Deutschland - ist devotes Gebaren weiterhin Teil einer gelernten Verkaufsfolklore.

Man freut sich, das Publikum begrüßen zu dürfen

Dieses Gebaren ist allerdings inzwischen auch in jene Sphären geschwappt, die die längste Zeit von Hybris und Herablassung geprägt waren: die der Macht, Prominenz und Leistungsträger nämlich. Hochbezahlte Moderatorinnen freuen sich permanent, ihr Publikum begrüßen und diese oder jene Persönlichkeit vorstellen zu dürfen. Sogenannte Edelfedern listen zum Jahresende in den diversen sozialen Medien auf, wen sie in den vergangenen zwölf Monaten porträtieren, worüber sie berichten und was sie sonst so veröffentlichen durften. Und gefeierte Skispringer oder Schauspielerinnen erklären in Interviews, wie dankbar sie sind, die Gelegenheit bekommen zu haben, ihre Ausnahmeleistungen abliefern zu dürfen.
Das ist natürlich genauso simuliert wie das Der-Kunde-ist-König-Gebaren der prekär Beschäftigten. Am Ende machen beide Fraktionen mal schlecht, mal recht einfach ihren Job, für den die einen eher schlecht, die anderen ziemlich gut bezahlt werden. Mit dürfen hat das also erstmal nichts zu tun, sondern die einen müssen es, die anderen wollen es. Warum bloß wird dann allerorten gedurft?
Vielleicht handelt es sich ja um eine bloße Höflichkeitsfloskel. Eine freundliche Geste an Kundschaft, Publikum und Wählerinnen. So harmlos wie austauschbar. Aber ist permanentes Dürfen zu verkünden wirklich so harmlos? Immerhin setzt es eine Autorität voraus, die diese Erlaubnis erteilt. Die, so scheint es, besonders gern erteilt wird, wenn und wo Unterwürfigkeit im Spiel ist.

Merkel und die Ära der Artigkeit

Am 30. Mai 2005 erklärte Angela Merkel angesichts ihrer Nominierung als Kanzlerkandidatin der CDU, sie wolle Deutschland dienen. Das durfte sie dann bekanntlich 16 Jahre lang und führte dieses Deutschland nicht zuletzt auch in eine Ära der Artigkeit. Die Helene-Fischerisierung der Popkultur wird seither flankiert von der Instagramisierung der Kommunikationskultur mit vielen Herz-Emojis und der Selbstergriffenheit von Vätern in sechswöchiger Elternzeit.
Geschult wird die Artigkeit bis heute in dem Kinderspiel “Kaiser, wie viele Schritte darf ich gehen?” Ein willkürlich benanntes Kaiserkind erlaubt den Mitspielerinnen eine ebenso willkürliche Anzahl an Schritten, die, je nach Gusto des Kaisers, gehüpft, gestakst oder gesprungen werden müssen. Wer aber vergisst “Darf ich?” zu fragen, muss zurück auf Anfang.
Wer aber sind die Kaiser all jener, die der Welt ihre Freude und Dankbarkeit darüber verkünden, dass sie schreiben und spielen, regieren und reüssieren dürfen? Sind es tatsächlich deren Verlage und Produzenten, das Wahlvolk und das sogenannte breite Publikum? Wohl eher nicht.
Die Kaiser dieser öffentlich agierenden Personen sind schlicht sie selbst. Hinter ihrer ostentativ zur Schau gestellten Bescheidenheit lauert die gute alte Arroganz der Macht. Wer sie erhalten will, verneigt sich gerne tief - vor der eigenen Bedeutung und der all jener, die diese Bedeutung aufrechterhalten.

Heike-Melba Fendel ist Künstler-/PR-Agentin und Inhaberin der Agentur Barbarella Entertainment. Sie arbeitet außerdem als Journalistin und Buchautorin. Fendel gehört zum Autorinnenkollektiv der Kolumne „10 nach 8 – politisch, poetisch, polemisch“ auf zeit.de. 2009 erschien ihr aus 99 Geschichten bestehender Roman „nur die“ bei Hoffmann und Campe. Ihr zweiter Roman „Zehn Tage im Februar“ (2017) spielt vor dem Hintergrund der Berlinale.

Die Autorin Heike Melba-Fendel
© Markus Nass
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