Kommentar zu KI

Der unverzichtbare Privatsekretär für jedermann

04:24 Minuten
Smartwatch am Handgelenk
Die Gefahr des algorithmischen Managements besteht in einer subtilen, paternalistischen Verhaltenssteuerung, meint der Politologe Adrian Lobe. © picture alliance / Shotshop / manaemedia
Ein Kommentar von Adrian Lobe · 05.01.2024
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Künftig wird künstliche Intelligenz uns viel Organisationsarbeit abnehmen und uns durch unser Alltagschaos navigieren. Das prognostiziert der Politikwissenschaftler Adrian Lobe. Doch dafür würden wir teuer bezahlen, mit unserer eigenen Autonomie.
Künstliche Intelligenz lernt schneller und besser als unsere Schulkinder. ChatGPT kann auf Knopfdruck Bewerbungsschreiben verfassen, und die Google-KI Bard soll sogar Reisen planen können. Keine stundenlange Internetrecherche mehr, der Algorithmus sucht einfach die passende Unterkunft und Anreise aus. Irgendwann könnte die KI den reservierten Tisch im Restaurant umbuchen, wenn der Flieger oder Zug Verspätung hat, und schon mal die Einkäufe erledigen, damit der Kühlschrank bei der Rückkehr voll ist. So ein virtueller Assistent kann jedem helfen und: Es lässt sich eine Menge Geld mit ihm verdienen.
Jetzt, wo sich nach der Personalposse um Sam Altman bei Open AI das kapitalistische Lager durchgesetzt hat, sind die Weichen endgültig auf Monetarisierung gestellt. Microsoft-Gründer Bill Gates prophezeit: Das KI-Wettrennen wird derjenige gewinnen, dem es gelinge, einen persönlichen Assistenten zu entwickeln. Deshalb hat Microsoft auch Milliarden in OpenAI gesteckt.
Zugegeben: Die Vorstellung eines KI-Piloten, der in den Turbulenzen des Alltags Kurs hält, klingt verlockend. Wer träumt nicht von einem persönlichen Assistenten, der automatisch einen Werkstatttermin vereinbart, wenn die Inspektionsanzeige im Auto aufleuchtet oder die Steuererklärung ausfüllt? Statt Belege zu sammeln und Formulare auszufüllen, würde der digitale Sekretär den ganzen Verwaltungskram autonom erledigen.

Ein Versprechen auf Entbürokratisierung

Digitalisierung ist ein – bislang nicht eingelöstes – Versprechen auf Entbürokratisierung: weniger Formulare, weniger Papier, weniger Friktionen. Doch damit so ein digitaler persönlicher Assistent reibungslos funktioniert, benötigt er Zugriff auf die Kalenderfunktion und jede Menge sensibler Daten: Arztbriefe, Kontoauszüge, Steuerbescheide. Und genau darauf haben es die Tech-Konzerne abgesehen.
Elon Musk und Mark Zuckerberg träumen schon länger von einer Super-App, die soziales Netzwerk, Bezahldienst und Online-Shop in einem ist. Denn die Integration dieser Funktionen in einer Plattform erlaubt tiefe Einblicke in die Privatsphäre: Was man verdient, wofür man sein Geld ausgibt, wie oft man zum Arzt geht. Nur: Muss man sich nackt machen, um die Kontrolle über sein Leben zurückzugewinnen? Ist der Verlust von Privatsphäre der Preis für mehr Komfort? Lebt man noch sein eigenes Leben, wenn die KI Herrin über den Terminkalender ist, oder das seines digitalen Doppelgängers?

Der Verlust der Autonomie

Die Gefahr des algorithmischen Managements besteht in einer subtilen, paternalistischen Verhaltenssteuerung: Der fürsorgende persönliche Assistent könnte der Umwelt und Gesundheit zuliebe Fleischprodukte von der Einkaufsliste streichen, Leihräder statt Mietwagen reservieren und prophylaktisch einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung beim Arzt buchen – auch wenn man das unter Umständen gar nicht möchte. Wem dient eigentlich ein digitaler Diener? Dem Nutzer? Der Softwarefirma? Dem Staat?
Das hängt auch davon ab, wo die KI entwickelt wird. Eine KI made in China wird nach anderen Zielen programmiert als eine KI aus den USA, und sie wird gegenüber dem Staat ganz andere Rechenschaftspflichten haben. So halten sich hartnäckig Gerüchte, dass das Regime in Peking auf Daten der populären App Tiktok zugreifen soll.
Ein elektronischer Helfer ist ja viel geschwätziger und indiskreter, als es die Dienstboten in großbürgerlichen Familien einst waren, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie ihre vermeintlichen Chefs bei der Versicherung oder der Polizei verpfeifen. Mag sein, dass der persönliche Assistent bei der Online-Buchung oder Steuererklärung ein paar Euro für seinen Nutzer herausschlägt. Doch der Preis für diesen Service ist ein hoher: Der Nutzer bezahlt den persönlichen Assistenten mit seinen Daten – und seiner Autonomie.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. „Die Zeit“, „NZZ“, „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2022 erschien bei C.H. Beck sein neues Buch „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“.

Adrian Lobe
© privat
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