Originalton

Ausgetrockneter Glaubens-Ozean

Der Autor Patrick Roth, aufgenommen vor der Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung am 22.6.2003 in Weimar. Der in Los Angeles lebende Schriftsteller wurde für seine Frankfurter Poetik-Vorlesungen "Ins Tal der Schatten" und für die "Christus-Trilogie" mit dem Preis in Höhe von 15000 Euro geehrt.
Der Schriftsteller Patrick Roth © dpa / picture alliance / Jan-Peter Kasper
Von Patrick Roth · 16.08.2014
Der Schriftsteller Patrick Roth hat viele Jahre in Los Angeles gelebt - im Zentrum der amerikanischen Filmindustrie. Filme haben schon immer sein Schreiben beeinflusst. Für die Lesart schlüpft der Autor in die Rolle des Filmkritikers. Eine Woche lang stellt er uns seine Lieblingsfilme vor.
Den ganzen Tag lang – bis in die Nacht: "House of Cards", die ganze erste Staffel gesehen. Power and pleasure, Macht und Genuss, diese beiden Prinzipien beherrschen seine Gestalten.
Gegen Ende kommt aber doch die Frage auf – Robin Wrights Figur, Claire Underwood, stellt sie -, was von ihnen, ihren Unternehmungen bleiben werde – und "für wen" sie das alles erlitten, ins Werk gesetzt hätten. Ihr Mann - Kevin Spacey spielt ihn - sagt darauf: "Für uns."
Jedenfalls ist Spacey dann noch in einer – zunächst absurd erscheinenden - Szene in der Kirche zu sehen: Er hat sich dem Altar genähert, ist kaum einen Schritt mehr davon entfernt, spricht – zynischen Ernstes - Gott an und sagt, er, Frank Underwood, habe alles nur "für sich" getan. Das erinnerte mich an Gottes Rede in Jesaja 48:"For my sake and my sake only have I acted". Und plötzlich erschien mir die Szene, das face to face vor dem Altar, nicht mehr absurd.
Die Serie beschreibt ein Gesellschaftsstadium ähnlich dem von Gibbon in "Verfall und Untergang des römischen Imperiums" beschriebenen. Gibbon sagt: "Die verschiednen Arten des Gottesdienstes, welche in der Römischen Welt üblich waren, wurden von dem Volk als gleich wahr, von den Philosophen als gleich falsch, und von den obrigkeitlichen Personen [das sind die Politiker] als gleich nützlich angesehen."
Im übrigen steht Frank Underwood dem Typ des shakespearschen Bösewichts in nichts nach, pflegt auch den "aside", das klassische "Beiseitesprechen", das man schon im englischen Original der Serie benutzt hatte, um dem Zuschauer zu erklären, was in einer Szene auf dem Spiel steht, was sie an Unüberschaubarem ausgelöst hatte.
Ich würde sagen, dass das "Beiseitesprechen" ursprünglich Ausdruck eines inneren Gedankens war, den das Publikum – gleichsam ohne Wissen des Protagonisten – "mitbekam", dessen es teilhaftig wurde. Hier, im aside, war Platz für einen kurzen Dialog mit den Inhalten eines Gewissens, dem "Gewissensbiss" vielleicht. Als Ersatz auch für das Gebet. Ein anderes ist es, wenn der aside-Sprechende sein Publikum kennt, ihm unmittelbar "ins kollektive Kamera-Auge" blickt, es voraussetzt, sich seiner Aufmerksamkeit sicher weiß. Dann gibt's keinen Gott mehr, es gibt nur die "Zuschauer..., die mir jeden großartigen Schachzug, jede parierte Aktion applaudieren".
Diese Psychologie des "Beiseitesprechens" wäre auch in der Facebook-Generation zu erkennen. Alles ist da und für alle "beiseitegesprochen", denn: "alle beobachten mich ja". Oder sollten es/könnten es wenigstens tun. Das ist die Sehnsucht nach dem Ersatz für das Auge Gottes, die "sea of faith", deren Verschwinden Matthew Arnold's "Dover Beach" beklagt: "The Sea of Faith/ Was once, too, at the full, and round earth's shore/ Lay like the folds of a bright girdle furled".
Dieser Glaubens-Ozean wurde rational ausgetrocknet, das Gefäß ist zerschollen. Bleibt: die Sucht, von allen GESEHEN zu werden bzw. alle zu SEHEN. Sie ist unbewusste Suche nach einem Gott, den ich erkenne und von dem ich erkannt sein will. Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei".
Nein, nichts davon bleibt in "House of Cards".
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