Originalton

Die Vermählung der Feinde

12.08.2014
Der Schriftsteller Patrick Roth hat viele Jahre in Los Angeles gelebt - im Zentrum der amerikanischen Filmindustrie. Filme haben schon immer sein Schreiben beeinflusst. Für die Lesart schlüpft der Autor in die Rolle des Filmkritikers. Eine Woche lang stellt er uns seine Lieblingsfilme vor.
Sah mir heute Abend zwei Filme an – einen unbekannten und einen, den ich schon mehrmals gesehen hatte: "Paths of Glory" / "Wege zum Ruhm" von Stanley Kubrick. Zunächst aber:
"The Snow Walker" (Regie: Charles Martin Smith). Die Geschichte spielt 1953. Ein junger Buschpilot, Veteran des Zweiten Weltkriegs, soll eine junge Inuit-Frau, die Tuberkolose hat, retten. Aber im Lauf der Geschichte ist es sie, sie, die ihn rettet, ihm zeigt, wie er in der Wildnis, im Schnee überlebt. Die Inuit-Frau stirbt dann am Ende, kurz bevor der Pilot, aus Schnee und Eis kommend, andere erreicht.
Das war leider abzusehen. Dabei hatte die Inuit-Frau sogar die Anima-Rolle in seinen Träumen übernommen. Im Traum – ein alptraumartiges Stück Erinnerung aus dem Weltkrieg - saß sie neben dem Bomberpiloten und hielt seine Hand zurück, als er den Entriegelungshebel bedienen wollte "to bomb the hell out of Mannheim", wie er sagt. Das gab dem Traum – und dem Alpträumer dann – unerwartete Lösung, Befreiung.
Aber warum sind die Filmemacher dann erzählerisch unfähig, diese Frau zu retten, sie überleben zu lassen? In ihren Augen muß die Anima offensichtlich geopfert werden, damit der Mann durchkommt - "überlebt". Das ist schwach. Nicht nur psychologisch betrachtet. Nein, man hatte es auch "erwartet", befürchtet: "Die Inuit-Frau wird wohl sterben..." – und gerade darin hätte die Arbeit bestehen, genau das hätten Schreiber und Regisseur leisten müssen – nicht der Zuschauer halber, sondern: um ihrer selbst willen.
Nach Kubricks "Paths of Glory" sprach ich mit Ava über das Ende dieses Films, über die captive anima, die von Franzosen gefangene Deutsche, die Anima des Schattens, also des "Feindes", die einem Regiment französischer Soldaten am Ende in einer Kriegspause - auf die Bühne eines Gasthauses gezogen, vor-geführt: wieder sichtbar wird; und die: eben auch die ihre ist, diese Anima, – insofern sie nämlich im Lied die Sprache des Gefühls spricht und alle damit zähmt. Eine Gefangene, diese Anima, die alle gefangenführt und zugleich befreit, in Tränen auflöst, sie wäscht, diese Krieger, die in ihr Lied einstimmen.
An einer anderen Stelle des Films oder anders besetzt (etwa mit einer Französin) hätte diese Szene nicht ihre Wirkung gehabt, und der tiefe Eindruck, den der Film hinterlässt, wäre geschwächt, vielleicht verloren worden.
Es ist nämlich die coniunctio oppositorum, die Vermählung der Feinde, der Gegensätze, die der Film hier feiert, ob man das weiß oder nicht. Einen Augenblick lang weiß man's, nein: fühlt man's eben, weil das Gefühl wieder zugelassen wird, das den ganzen Film über so oft zum Schweigen gebracht worden war.
Gab es diese Szene schon im Buch? Sicherlich nicht so. Kubrick war, 1957, selbst in voller coniunctio-"mode", noch ganz beschirmt davon, seine zukünftige Frau, Christiane Harlan, bei einem Besetzungsgespräch kennengelernt zu haben. Es war Frau Harlan – die Nichte Veith Harlans -, die dem Regisseur, der sich in sie zu verlieben begann, das Volkslied vom "Treuen Husar" vorgeschlagen haben soll.
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