Wie die sozialen Medien uns an sich binden
Sind die Menschen zu lange in den Sozialen Netzwerken? Wenn ja, wie können diese gestaltet werden, damit es Usern leichter fällt, auch mal rauszugehen? Darüber haben wir mit dem Medienwissenschaftler Roberto Simanowski gesprochen.
Bereits letzte Woche kam im Gespräch mit Martin Burckhardt über die Philosophie der Maschine der Vorwurf zum Tragen, dass wir Menschen uns viel zu wenig mit dem Computer auseinandersetzen, es uns an Erkenntnis über dessen Funktionsweise mangelt. Auch Roberto Simanowski, Professor an der Katholischen Universität Rio de Janeiro, kritisiert diesen Aspekt in Bezug auf die sozialen Netzwerke: "Sie sind überall und wir nutzen sie intuitiv und uns fehlt die Distanz zu erkennen, wie sie sich zwischen uns und die Welt, die wir mit ihnen wahrnehmen, stellen."
Und dieser Mangel an Distanz macht es schwer zu erkennen, wie die Sozialen Netzwerke funktionieren und das es in dem Geschäftsmodell begründet liegt, dass die User sich möglichst lange auf den Plattformen aufhalten.
Und dieser Mangel an Distanz macht es schwer zu erkennen, wie die Sozialen Netzwerke funktionieren und das es in dem Geschäftsmodell begründet liegt, dass die User sich möglichst lange auf den Plattformen aufhalten.
Die "Time well spent"-Bewegung löst nicht das Problem
Vor fünf Jahren gründete sich die sogenannte "Time well spent"-Bewegung, die sich zum Ziel gemacht hatte, dass die User ihr Verhalten in den Netzwerken besser kontrollieren können und ihnen bewusster wird, wie viel Zeit sie dort verbringen. Aber für den Medienwissenschaftler Roberto Simanowski ist das nur Augenwischerei, denn damit "kuriert man faktisch nur am Symptom des Problems, ohne dessen Quelle, also das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke, wirklich anzugehen". Denn "sie verkaufen unsere Aufmerksamkeit an ihre Werbekunden und (...) das oberste Ziel eines börsennotierten Unternehmens wie Facebook ist nicht der zufriedene Kunde oder der emanzipierte Bürger, sondern es ist der zufriedene Aktionär".
Design als Lösung?
Aber inwiefern ließe sich der Umgang mit den Sozialen Netzwerken für die User besser gestalten? Das ständige Erscheinen von neuen Inhalten, auf die man schnell noch reagieren will, führt dazu, dass man selbst permanent für eigene Inhalte belohnt wird, in dem Freunde die Inhalte liken oder teilen. Es führt aber auch zu einer Komplexitätsreduktion: "Wenn man den Like-Button nimmt, der ja dazu führt, dass es so eine Art Dualismus der Evolution gibt, das man also etwas liket oder nicht liket und es damit zu einer Entweder-oder-Haltung führt, während wir, wenn wir die Komplexität der meisten Probleme betrachten und ihr gerecht werden wollen, eher eine ´sowohl als auch Haltung` zulassen (müssten)."
Aber auch das Gefühl, jederzeit etwas verpassen zu können, wenn man nicht online ist, "dass die Kommunikation viel zu schnell stattfindet, durch den information-overload, so dass man sich kaum auf Meldungen einlassen kann und sehr parteiisch dann Meldungen liket oder sharet, die von Freunden kommen. Das unterstützt dann auch keinen reflektierten Umgang mit den Medien."
Die richtige Medienbildung kann helfen
Roberto Simanowski fordert eine sinnvolle Medienbildung. Konkret: Statt einer Mediennutzungskompetenz fordert er eine Medienreflexionskompetenz. "Also von der Frage, wie kann ich die neuen Medien effektiv und sicher nutzen zur Frage, was machen die Medien eigentlich mit uns?"
Dafür wünscht sich Roberto Simanowski die Abkehr von der Schulausbildung, die nur als Ziel hat Menschen mit Anwendungskompetenzen auszustatten, hin zum kritischen und mündigen Bürger - ganz nach Theodor Adorno und Alexander von Humboldt. Denn hier mangelt es laut ihm am meisten: am "kritische(n) Bewusstsein und Reflexionsvermögen, das uns letztendlich auch gegen die problematischen Phänomene der Sozialen Medien wappnen könnte, wie eben Simplifizierung, Filterblasen und emotionalisierten Dualismus".