Einfach mal den Stecker ziehen
Hasskommentare vs. scheinbar grenzenlose Freiheit – das Internet ist für viele Fluch und Segen zugleich. Unser Autor fragt sich deshlab: Was wäre eigentlich, wenn man das Internet einmal für sechs Monate abstellen würde, löscht und neu aufsetzt?
Hallo? Hallo hallo? Hören Sie mich jetzt live? Na klar hören Sie mich live. Oder können Sie mich inzwischen wieder zeitversetzt im Netz hören? Ich mußte ja heute Abend noch pünktlich um viertel nach Acht vor dem Fernseher sitzen, um in Echtzeit Tatort zu gucken, anstatt mit meinem Kumpel Axel ein Bier zu heben und über die Bedrohung durch den Ausfall des Internets zu spekulieren: Denn eigentlich müsste ja jetzt die Welt untergehen! Nicht die Erde, auf der wir leben, sondern die Welt, in der wir leben: Der globale Börsenhandel, die Wasserwerke, das Militär – wie funktioniert das alles ohne Internet?
Der morgendliche Reflex bei mir ist immer noch, Kaffee zu kochen und dann im Internet nach den neuesten Schreckensmeldungen des Tages zu suchen, aber da ist ja nichts. In den ersten Tagen fand ich das beunruhigend: diese Unsicherheit, daß ich nicht mal mehr weiß, was in der Welt passiert, das ich zwar sowieso nicht ändern kann, aber es wenigstens zu wissen. Naja, jetzt gehe ich runter zum Zeitungshändler in der U-Bahn, aber bei dem sind die Tageszeitungen um 09.00 Uhr, wenn ich komme, inzwischen meist ausverkauft. Vielleicht werde ich doch wieder Zeitungen abonnieren müssen.
Als hätte ein milder Sonnenschein die Menschen entspannt
Jedenfalls ist alles irgendwie ruhiger geworden, fürs Erste zumindest: als hätte ein milder Sonnenschein die Menschen entspannt und gut gelaunt gemacht. Klar, einige waren erstmal wütend und hackten wie wild auf ihren Smartphones rum draußen auf dem Bürgersteig. Aber inzwischen haben fast alle einen Gang runtergeschaltet. Sehr angenehm!
Natürlich ist es ärgerlich, nicht mehr bei Amazon bestellen zu können, wobei es mir hier in der Stadt ja noch ganz gut geht, hier gibt es immer noch Buchläden. Aber das dauert jetzt alles so lange! Als Journalist muß ich, ohne Suchmaschinen, wieder in staubige Archive steigen und warten, bis die verbliebene Archivarin mir die gesuchten Sammelmappen aus dem Keller bringt...
Und das Wetter, die Wechselkurse und die Spielergebnisse vom Wochenende müssen wir auch auf umständlichen und zeitraubenden Wegen in Erfahrung bringen.
Telefonansage: Bitte warten Sie!
Wir müssen wieder die Geschäfte abklappern, um Preise zu vergleichen. Beim Autofahren über Land müssen wir wieder Straßenkarten lesen können, und wenn wir einem am Telefon unseren Standort mitteilen, müssen wir den Namen der Straße wissen. Hat aber den Vorteil, dass man wieder mit Menschen spricht, wenn man wen nach dem Weg fragt. Sowieso sprechen die Menschen wieder miteinander – sogar in der U-Bahn! Mit echten Wörtern! Ohne LOLs und quietschebunte Smileys hahaha!
Schlimme Zeiten für Jugendliche
Am Schlimmsten dran sind natürlich jetzt die Jugendlichen, die mit ihren elektronischen Plappergeräten einen so dichten Kokon aus Ich-Verstärkungum sich rumgesponnen haben, dass sie jetzt Entzugserscheinungen kriegen, wenn sie nicht abends heimlich aus dem Haus schleichen, um sich mit ihren Kumpels auszutauschen, die sie nicht mehr bis nachts um drei unter der Bettdecke via WhatsApperreichen.
Wir haben die Verantwortung für unser Wissen an den Computer und dann an die Cloud ausgelagert – und jetzt ist es weg! Futsch! Und irgendwie ist es manchmal auch so, als sei unsere Identität verschwunden, seit Google und Facebook und Spiegel Online uns kein Begleitmaterial zur Wirklichkeit mehr anliefern: seit das Navigationsgerät fürs Leben ausgefallen ist!
Das hat natürlich auch seine gute Seite. Denn ganz supertoll ist ja, nicht mehr von all diesen aggressiven Communities belästigt zu werden, weil die jetzt wieder am Kneipentresen rumgeifern müssen – da, wo auch früher die Volksdebatten geführt wurden. Und die Maischbergers und Plasbergs verplempern unsere Zeit nicht mehr mit den Empörungswellen aus dem Netz, und der politisch korrekte Hashtag-Jedermann-Protest vernebelt nicht mehr die real existierende Wirklichkeit. Aber kann man für ein ganzes Volk eine Heil&Fasten-Kur vom Internet veranstalten, damit anschließend "besser" debattiert wird? Anspruchsvoller? Fairer? Sachlicher? Falls das Internet irgendwann überhaupt wieder eingeschaltet wird?
Eher unwahrscheinlich. Aber ich selbst lasse mich von der netzlosen Zwangslage noch mal einfach in die gemütlichen, betulichen, so unhektischen Fünfziger zurückkatapultieren – ach, herrlich! – und mache Ferien vom Ich – vom digitalen...!
Der morgendliche Reflex bei mir ist immer noch, Kaffee zu kochen und dann im Internet nach den neuesten Schreckensmeldungen des Tages zu suchen, aber da ist ja nichts. In den ersten Tagen fand ich das beunruhigend: diese Unsicherheit, daß ich nicht mal mehr weiß, was in der Welt passiert, das ich zwar sowieso nicht ändern kann, aber es wenigstens zu wissen. Naja, jetzt gehe ich runter zum Zeitungshändler in der U-Bahn, aber bei dem sind die Tageszeitungen um 09.00 Uhr, wenn ich komme, inzwischen meist ausverkauft. Vielleicht werde ich doch wieder Zeitungen abonnieren müssen.
Als hätte ein milder Sonnenschein die Menschen entspannt
Jedenfalls ist alles irgendwie ruhiger geworden, fürs Erste zumindest: als hätte ein milder Sonnenschein die Menschen entspannt und gut gelaunt gemacht. Klar, einige waren erstmal wütend und hackten wie wild auf ihren Smartphones rum draußen auf dem Bürgersteig. Aber inzwischen haben fast alle einen Gang runtergeschaltet. Sehr angenehm!
Natürlich ist es ärgerlich, nicht mehr bei Amazon bestellen zu können, wobei es mir hier in der Stadt ja noch ganz gut geht, hier gibt es immer noch Buchläden. Aber das dauert jetzt alles so lange! Als Journalist muß ich, ohne Suchmaschinen, wieder in staubige Archive steigen und warten, bis die verbliebene Archivarin mir die gesuchten Sammelmappen aus dem Keller bringt...
Und das Wetter, die Wechselkurse und die Spielergebnisse vom Wochenende müssen wir auch auf umständlichen und zeitraubenden Wegen in Erfahrung bringen.
Telefonansage: Bitte warten Sie!
Wir müssen wieder die Geschäfte abklappern, um Preise zu vergleichen. Beim Autofahren über Land müssen wir wieder Straßenkarten lesen können, und wenn wir einem am Telefon unseren Standort mitteilen, müssen wir den Namen der Straße wissen. Hat aber den Vorteil, dass man wieder mit Menschen spricht, wenn man wen nach dem Weg fragt. Sowieso sprechen die Menschen wieder miteinander – sogar in der U-Bahn! Mit echten Wörtern! Ohne LOLs und quietschebunte Smileys hahaha!
Schlimme Zeiten für Jugendliche
Am Schlimmsten dran sind natürlich jetzt die Jugendlichen, die mit ihren elektronischen Plappergeräten einen so dichten Kokon aus Ich-Verstärkungum sich rumgesponnen haben, dass sie jetzt Entzugserscheinungen kriegen, wenn sie nicht abends heimlich aus dem Haus schleichen, um sich mit ihren Kumpels auszutauschen, die sie nicht mehr bis nachts um drei unter der Bettdecke via WhatsApperreichen.
Wir haben die Verantwortung für unser Wissen an den Computer und dann an die Cloud ausgelagert – und jetzt ist es weg! Futsch! Und irgendwie ist es manchmal auch so, als sei unsere Identität verschwunden, seit Google und Facebook und Spiegel Online uns kein Begleitmaterial zur Wirklichkeit mehr anliefern: seit das Navigationsgerät fürs Leben ausgefallen ist!
Das hat natürlich auch seine gute Seite. Denn ganz supertoll ist ja, nicht mehr von all diesen aggressiven Communities belästigt zu werden, weil die jetzt wieder am Kneipentresen rumgeifern müssen – da, wo auch früher die Volksdebatten geführt wurden. Und die Maischbergers und Plasbergs verplempern unsere Zeit nicht mehr mit den Empörungswellen aus dem Netz, und der politisch korrekte Hashtag-Jedermann-Protest vernebelt nicht mehr die real existierende Wirklichkeit. Aber kann man für ein ganzes Volk eine Heil&Fasten-Kur vom Internet veranstalten, damit anschließend "besser" debattiert wird? Anspruchsvoller? Fairer? Sachlicher? Falls das Internet irgendwann überhaupt wieder eingeschaltet wird?
Eher unwahrscheinlich. Aber ich selbst lasse mich von der netzlosen Zwangslage noch mal einfach in die gemütlichen, betulichen, so unhektischen Fünfziger zurückkatapultieren – ach, herrlich! – und mache Ferien vom Ich – vom digitalen...!