Mark Bergen: "YouTube – Die globale Supermacht"

Wie eine Videoplattform das Weltbild formt

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Cover des Buches "Youtube. Die globale Supermacht" von Mark Bergen. In der Mitte des weißen Covers ist das Youtube-Symbol zu sehen, das sich aus lauter kleinen roten Pfeilen zusammensetzt. Einige Pfeile steuern von außen auf das Symbol zu.
© Droemer

Mark Bergen

Übersetzt von Cornelius Hartz, Alexandra Jordan, Hella Reese, Judith Wenk

YouTube – Die globale SupermachtDroemer Knaur, München 2022

544 Seiten

24,00 Euro

Von Vera Linß · 17.12.2022
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Youtube gehört zu den mächtigsten Digital-Playern der Welt. Nach welchen Prinzipien das Geschäft wird, beschreibt der Tech-Journalist Mark Bergen in seiner herausragenden Recherche.
Fragt man Nutzer nach YouTube, kommt Begeisterung auf. Denn YouTube ist Schatzkammer, Video-Archiv und Stammtisch in einem. Hochkultur steht neben seichter Unterhaltung, praktische Tipps neben hirnlosem Trash. Die Kehrseite: Auch Hass und Verschwörungstheorien haben ihren Platz. Doch wie gelang dieser Mischung aus digitaler Plattform und sozialem Netzwerk, bei der scheinbar wenig zusammenpasst, der Siegeszug zur „globalen Supermacht“?
Das wissen die wenigsten, kritisiert der Tech-Journalist Mark Bergen. Und hat aus seinen jahrelangen Recherchen ein komplexes und faszinierendes Psychogramm des Tech-Unternehmens geschaffen. Über dreihundert Gespräche, mehrere Stunden Interviews, Gerichtsdokumente und Medienberichte – all das ist eingeflossen. Am Ende die Erkenntnis: Basis für YouTubes Erfolg sind knallharter Geschäftssinn, jede Menge Geld und (zumindest am Anfang) Innovation.

Kleinigkeiten machten YouTube zum Erfolg

Mark Bergen beginnt mit der Geschichte der drei Gründer (einer von ihnen übrigens ein Ostdeutscher), die 2005 mit der Idee einer Videodating-Plattform starten – zu einer Zeit, in der digitale Videos gerade im Kommen sind. Herausragend das Gespür für Bedürfnisse! Denn nur wenige „Kleinigkeiten“ machen den Unterschied: das Konzept „broadcast yourself“, die Möglichkeit, kostenlos Videos zu teilen oder Kommentare zu hinterlassen. 2006 dann der Verkauf der verschuldeten Plattform an Google, das mit einem eigenen Videodienst gefloppt war. Was folgt: das – erfolgreiche – Ringen um Profitabilität, das bis heute anhält.
Wie dies gelingt, ist erstaunlich. Detailreich, mit unzähligen kleinen Geschichten, beschreibt der Journalist YouTubes Suche nach dem optimalen Geschäftsmodell – ein „Trial and Error“-Prozess, bei dem beeindruckend hartnäckig immer wieder probiert und verworfen wird. Beispiel: Statt „nur“ Usercontent zu haben, will man zeitweilig Premium-Inhalte akquirieren, um berechenbarer für Werbekunden zu sein. Vergeblich.
Stattdessen entstehen Multi-Channel-Networks nach dem Vorbild des Kabelfernsehens, in denen sich YouTuber vermarkten können. Oder: Immer wieder verändert sich das Gesicht der Plattform, weil am Algorithmus geschraubt wird. Und tatsächlich erreicht man damit noch mehr Menschen, indem ihnen Videos passgenauer zugespielt werden.

Keine wirkungsvollen Mechanismen gegen Gewalt

Mark Bergen zeigt aber auch die Schattenseiten dieser Praxis. Nicht nur, dass YouTuber quasi über Nacht ihr (Werbe-)Einkommen verlieren, wenn entschieden wird, Inhalte neu zu gewichten. Bedenklicher noch: Das Prinzip des kreativen Ausprobierens wird auch dort angewandt, wo es gesellschaftlichen Schaden anrichtet. Probleme mit extremer Gewalt etwa hatte YouTube bereits von Anfang an – ohne wirkungsvolle Mechanismen dagegen zu entwickeln.
Nur durch Druck von außen justiert man nach – wie nach der Wahl Donald Trumps, als moniert wurde, dass der Algorithmus rechtsradikale Inhalte bevorzugt. Vorschläge, wie sich dieses Defizit beheben lässt, hat Mark Bergen nicht. Sein Verdienst ist es, in einzigartigem Umfang das Innenleben von YouTube offenzulegen.
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