Europol-Scam

Was uns so anfällig für Betrugsmaschen macht

30:10 Minuten
Eine Person blickt mit Sonnenbrille durch eine große Lupe.
Bei unbekannten Anrufen, Emails oder anderen Anfragen sollte man stets wachsam sein und genauer hinsehen und hinhören. © Unsplash/ Marten Newhall
Von Eva Wolfangel · 08.12.2022
Audio herunterladen
Menschen werden von Europol angerufen: Ihre Identität sei geklaut worden, zum Schutz sollen sie ihr Geld auf ein anderes Konto überweisen. Achtung! Dahinter stecken Betrüger. Sie haben mit der Masche Erfolg, auch weil sie so perfide ist.
Sie erzählen schreckliche Geschichten, die falschen Europolbeamten. Sie rufen ihre Opfer in Deutschland und Österreich an und machen ihnen Angst: Ein Auto voller Blut und Drogen sei gefunden worden – angemietet auf den Namen des Opfers. Vorwürfe wegen Geldwäsche, eine drohende Haftstrafe. Der angeblich einzige Ausweg für die Betroffenen: Sie müssen ihr gesamtes Geld auf ein sicheres Konto überweisen. Ansonsten würde ihr gesamtes Vermögen eingezogen, ihr Pass ungültig.
Aber das alles ist gelogen. Es gibt weder die Beamten, noch laufen Verfahren gegen die Betroffenen. Doch die Anrufe sind so einschüchternd und so gut gemacht, dass viele darauf hereinfallen.
„Und dann dachte ich mir: Mein Pass ist nicht mehr gültig, ich habe womöglich keinen Zugriff auf mein Geld, meine Konten werden eingefroren; wie soll ich hier auf dieser Insel überleben ohne Geld, wo ich niemanden kenne? Das war schon ein großes Thema für mich, keinen Zugriff mehr auf Geld zu haben.
Miriam Peters hat mehr als 30.000 Euro an die Europol-Betrüger verloren. Sie heißt in Wirklichkeit anders, auch ihre Stimme klingt anders. Wir haben ihre Aussagen nachsprechen lassen, denn sie möchte nicht erkannt werden. Es ist ihr unangenehm, dass sie auf den Scam hereingefallen ist.
Gleichzeitig ist es ihr wichtig, andere zu warnen. Und zu zeigen, mit welchen Tricks die Betrüger ihre Opfer weichklopfen. Auch wenn der Europoltrick klingt wie eine moderne Version des Enkeltricks: Es fallen bei Weitem nicht nur ältere Menschen darauf herein. Auch das möchte Miriam Peters zeigen: Die Angreifer agieren so geschickt, ihre Geschichte ist so ausgefeilt, dass weder Bildung noch kritisches Denken wirklich helfen.

Telefonanrufer, der sich als Europol ausgibt

Peters ist Mitte 30 und sie arbeitet als Vertretungsprofessorin für Internationales Management an einer deutschen Universität.
Der Anruf erwischt Miriam Peters im Ausland. Sie ist allein unterwegs, hat ihr Homeoffice während der Pandemie für einige Wochen auf eine Insel verlegt. Zunächst informiert sie eine englische Bandansage, dass gegen sie ermittelt werde, und dass die Ermittler dringend mit ihr sprechen müssten.
„Hello, this call is from the Europol. This call is to inform you, that your German identity card number is been misused for fraudulent activities. For more information, please press 1.“

Hallo, dieser Anruf kommt von Europol. Ihre deutsche Personalausweisnummer ist für betrügerische Aktivitäten missbraucht worden. Für weitere Informationen drücken Sie bitte die 1.

Betrugsanruf

Peters tut, was die Bandansage fordert und wählt die „1“. Jemand namens „Sam Thomas“ meldet sich, ein sachlich klingender Beamter. Er nennt zunächst Namen und Dienstnummer, dann diktiert er ihr eine Fallnummer. Alles wirkt sehr offiziell. Dann verbindet er sie mit einer Frau, die sich als „Chief investigation officer“ vorstellt.
Für Miriam Peters wirkt das überzeugend. Sie arbeitet viel international, sagt sie, ihre Forschung sei durchaus politisch sensibel, sie habe damit gerechnet, früher oder später einem Identitätsdiebstahl zum Opfer zu fallen. Trotzdem habe sie das geglaubt, was ihr die vermeintlichen Beamten am Telefon erzählten.
„Spätestens als er mich dann mit Betty Cooper verbunden hat, die mir auch ihre Europol-Numer gesagt hat, fand ich das glaubhaft: Die erzählte mir dann, was passiert ist, nämlich dass man diesen Mietwagen gefunden hat an der Grenze zu Polen, der auf meinen Namen angemietet wurde von Berlin aus, und in diesem Wagen hat man Dokumente gefunden, auch auf meinen Namen laufend, die darauf hinweisen, dass ich mehrere Bankkonten in Europa eröffnet habe und diese Bankkonten genutzt wurden für Geldwäsche, und man hat auch Hinweise auf Drogenhandel gesehen.“

Perfide Überzeugungsstrategie am Telefon

Betty Cooper versucht, zu beruhigen. Sie gibt Miriam Peters zu verstehen, dass sie ihr glaubt, dass sie nicht die Täterin ist. Immer wieder sagt sie Dinge wie „Jetzt trinken Sie mal einen Schluck“ oder „beruhigen Sie sich erst mal“. Peters bekommt den Eindruck, dass sie ihr helfen will. Sie vertraut ihr, denn sie befindet sich in einer verzweifelten Lage. Schließlich ist sie allein im Ausland, und wenn das stimmt, was die Anrufer sagen, sitzt sie fest: Ihr Ausweis sei ungültig und ihre Konten werden eingefroren. Wie soll sie wieder nach Hause kommen?

Wenn man sich das anschaut, wie die Rollenverteilung war, da gab es ja so einen Opener, den Sam Thomas, dann gab es die halbwegs empathische Frau, die Betty Cooper, und den sachorientierten Mann, bei dem nie klar war: Glaubt der jetzt mir eigentlich, dass ich Opfer bin oder nicht? Was von ihm durchkam, war ja immer so: I need your full cooperation; sonst können wir das auch nicht weitermachen und dann ermitteln wir gegen dich wegen Geldwäsche.

Miriam Peters

Für Miriam Peters beginnt ein Albtraum. Zwei Tage lang arbeitet sie mit den Scammern daran, möglichst viel Geld auf Konten im Ausland zu transferieren – ohne mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Auch als ein Mitarbeiter ihrer Bank anruft und fragt, ob die seltsamen Überweisungen alle ihre Richtigkeit haben, hält sich Peters an die Vorgabe der Betrüger und sagt: Jaja, das sei alles in Ordnung. Das glaubt sie wirklich: Schließlich denkt sie, die Bank arbeite gegen sie und werde ihr Konto sperren, wenn sie von der ganzen Geschichte erfährt. Dann würde sie festsitzen. Betty Cooper vermittelt Miriam Peters schließlich weiter an einen dritten Kollegen – der „technische Experte“, wie sie sagt.
„Richard war dann die dritte Person im Bunde, und es war zu dem Zeitpunkt klar, dass das Geld, das ich auf den Konten hab, das muss da quasi runter. Ich kriege ja eine neue ID und ich kriege auch einen neuen Kontozugang. Und dafür stellt mir die Bundesregierung einen Safety Locker, also eine Art virtuellen Tresor, auf Singapur zur Verfügung. Es war ja klar: In Europa können wir keine regulären Transaktionen mehr machen, denn überall würden da die roten Lichter wegen Geldwäsche angehen. Ich dachte mir, ja klar, das passt schon, Singapur ist ja eine Demokratie.“

Trotz Zweifel, Miriam Peters glaubt den Betrügern

Auch das ergibt Sinn für Peters, die trotzdem ein bisschen misstrauisch bleibt. Immer wieder googelt sie, ob es irgendwelche Hinweise auf Fake-Anrufe von Europol gibt. „Europol-Scam“, „Europol-Betrug“, aber nichts führt zu irgendeinem Ergebnis: Anfang März 2022 ist sie eines der ersten deutschen Opfer der Anrufe – damals gibt es noch keine Berichte. Sie schaut sogar auf die Europol-Webseite – doch da habe nur gestanden: „Europol würde Sie nie anrufen, wenn gegen Sie ermittelt wird.“
Aber die Täter hatten ja nicht gesagt, es werde gegen sie ermittelt, denkt sich Peters, sie sei ja lediglich Opfer. Und zwar eines in einer besonders schwierigen Lage: Sie sitzt fest auf einer Insel, auf der sie niemanden kennt. Bis heute kommen ihr die Tränen, wenn sie darüber spricht.
Und genau das ist das Ziel der Angreifer: Denn solche Attacken funktionieren am besten, wenn das Opfer Angst hat, erklärt die Psychologin und Sicherheitsforscherin Christina Lekati.
„Bei den meisten Anrufen haben die Angreifer unter anderem das Ziel, ihre Opfer in Angst und Schrecken zu versetzen. Sobald Angst im Spiel ist, denkt das Opfer: Was ist, wenn der Europol-Anruf echt ist? Was, wenn ich in Schwierigkeiten bin? Und dann schaltet man plötzlich auf eine völlig andere Denkweise um und denkt nicht mehr: "Wer ist diese Person, die mich anruft? Warum belästigt sie mich?” Sondern: ´Oh, bin ich wirklich in Schwierigkeiten?` Plötzlich wollen die Opfer genauer wissen, worum es geht. Weil das Szenario sie selbst betrifft.“

Das erste Geld wird überwiesen

Miriam Peters tut alles, um aus dieser Situation herauszukommen, um die Überweisungen schnell abzuschließen. Mit dem angeblichen Europol-Beamten Richard kommuniziert sie vor allem über Whatsapp. Immer wieder ruft Richard sie auch an. Er erklärt ihr, dass er ihr helfe: Sie soll ein Programm installieren, mit dem er Zugriff auf ihr Mobiltelefon hat, um sehen zu können, ob sie alle Kontoverbindungen richtig eingibt. In Wirklichkeit überwacht er sie damit.
Zwei Tage lang arbeiten die beiden daran, Miriam Peters Geld vermeintlich ‚in Sicherheit‘ zu bringen. Sie überweist zunächst mehrere tausend Euro in Tausend-Euro-Schritten über den Dienstleister Wise an Konten in Singapur.
„Mir ging kurzzeitig durch den Kopf: Ja das ist ja so, wie das Betrüger auch machen: Die überweisen erst kleine Summen, um dann zu sehen, ob auch größere Summen funktionieren. Aber mit der ganzen Story, die ich hatte, hat sich die Logik natürlich umgekehrt und ich habe die auf mich bezogen nach dem Motto: Natürlich müssen das erst mal kleinere Summen probieren, auch wenn das jetzt total müßig ist, weil ich muss ja echt einiges an Geld in Sicherheit bringen. Aber nur dann wissen wir ja auch, ob wir auch größere Summen transferieren können. Diese Umkehrung der Logik ist einfach total schräg, die da stattgefunden hat. Diese Themen waren mir ja nicht gänzlich unbekannt, aber mit dem Framing, was ich hatte, war das auf den Kopf gestellt sozusagen.“
Irgendwann werden die Überweisungen über Wise langsamer. Möglicherweise weil die automatischen Systeme des Dienstes ein auffälliges Muster registrieren. Richard zeigt Miriam Peters, wie sie Bitcoin kaufen kann. Innerhalb weniger Minuten kauft sie über die Kryptobörse Bitpanda für fast 20.000 Euro Bitcoin und transferiert sie ebenfalls.
Auch das, was Peters hier antreibt, ist ein Mechanismus in unserem Gehirn, der geschickt von den Angreifern ausgenutzt wird, erklärt Psychologin Christina Lekati.
„Sobald Angst ins Spiel kommt, neigt unser Gehirn dazu, vom logischen Denken, vom kritischen Denken, überzugehen in einen Zustand der Angst. ´Okay, ich habe jetzt wirklich Angst, und ich muss aus der Situation herauskommen.` Die Vermeidung von Schmerz ist eine der wichtigsten Motivationen im Leben. Sobald also Angst im Spiel ist, vergisst man alle Fähigkeiten des kritischen Denkens. Sie werden zweitrangig. Und die Motivation, die Situation zu vermeiden, in der Sie sich gerade befinden, wird zur Priorität. In der Psychologie sagt man, dass das Reptiliengehirn die Oberhand gewinnt, oder das Echsengehirn, wie man es nennt, was bedeutet, dass unsere Instinkte zum Tragen kommen. Sie wollen dann einfach nur aus dieser unglücklichen Situation rauskommen.“

Den Betrügern auf der Spur

Auch, wenn die Angreifer offenbar erstaunlich gut über die menschliche Psychologie Bescheid wissen, heißt das nicht, dass sie diese Effekte kennen oder benennen können, erklärt Christina Lekati. Sie gehen vielmehr nach dem Motto vor: Was funktioniert, wird weiter ausgebaut. Die Hintermänner schreiben auf dieser Basis Frage-Antwort-Skripte für die Anrufe. Die Skripte werden dann immer weiter verfeinert, anhand nahe liegender Kriterien: Wenn mehr Menschen darauf hereinfallen, wenn mehr Geld damit verdient wird, dann ist es ein besseres Skript.
„Die meisten Leute denken, dass sie sehr, sehr kompetent sind, aber ich stelle fast das genaue Gegenteil fest. Die Scammer haben ein Skript, und wenn man von diesem Skript abweicht oder etwas Technisches von ihnen erwartet, dann wissen sie nicht weiter“, erklärt Jim Browning – und er muss es wissen.
Der britische Software-Entwickler greift Scammer wie die angeblichen Europol-Ermittler selbst an. Er hackt quasi zurück: Dafür dringt er in die Computer der Angreifer ein, während diese ihn anrufen und sich mittels Programmen wie Teamviewer mit seinem Computer verbinden. All das zeichnet er auf. In seinen Videos auf Youtube bekommen die Kriminellen ein Gesicht: Browning zeigt, wie sie arbeiten.
Auch die Ausschnitte aus Anrufen der Scammer hier in der Sendung sind von ihm. In seinen Videos kann man auch die Skripte der Scammer sehen: Browning hat sich eingehackt – in die Überwachungskameras eines Callcenters in Indien, und auch in die Computer der Betrüger.
Scammer: “Jemand benutzt ihre Ausweisnummer, um Straftaten wie Geldwäsche und Drogenhandel zu begehen. Das sind die beiden Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden. Soweit ich sehen kann, besteht ein aktiver Haftbefehl für diese beiden Anschuldigungen.“
„Der Grund, warum Sie immer wieder die gleichen Formulierungen hören, ist, dass das Skript funktioniert. Und die Betrüger wissen das. Und weil es sich in den USA so gut bewährt hat, wird es für Deutschland nur leicht abgewandelt. So ändern sie zum Beispiel die Südgrenze von Texas in die Südgrenze von Stuttgart. Sie nehmen also kleine Änderungen am Skript vor“, sagt Jim Browning.

Die Scammer werden selbst zu Gejagten

Im Sommer 2022 schlägt ein Bekannter aus Deutschland Browning vor, die Europol-Scammer gemeinsam zu verfolgen. Neep, so nennt sich der Deutsche, betreibt ebenfalls einen Youtube-Kanal, in dem er Scammer bloßstellt. Als Brite bekommt Browning selbst keine Europol-Anrufe: Diese betreffen vor allem Deutschland und Österreich. Zusammen mit Neep und einem weiteren Bekannten namens Sven, der in Indien lebt, forschen sie den Scammern hinterher.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Es klappt: Sie schaffen es tatsächlich, den Standort des Callcenters genau zu lokalisieren. Dafür nutzen sie der Bilder der Überwachungskameras und weitere Daten wie die IP-Adressen und öffentlich verfügbare Informationen. Nun fehlt nur noch die exakte Etage des Bürogebäudes im Westen von Delhi. Es hilft nur eines: Hinfahren und nachschauen. Das tun Neep und Sven.
„Das fühlte sich seltsam an, denn wir konnten alles auf den Überwachungskameras sehen. Wir konnten sehen, wie Sven und Neep das Gebäude betraten und es dann sehr schnell wieder verließen, gefolgt von ein paar Leuten aus dem Betrugscallcenter. Es war ziemlich nervenaufreibend“, sagt Jim Browning.
Jim Browning beobachtet in der Zwischenzeit auch die Scammer weiterhin aus der Ferne. Er hört unzählige Scam-Versuche. Er erträgt es kaum, nicht eingreifen zu können. Wann immer er kann, ruft er sonst das Opfer schließlich selbst an und warnt es.

Festnahme der Betrüger in Indien

Dank Jim Brownings Beweismaterialien, den unzähligen aufgenommenen Gesprächen, den Videobelegen per Überwachungskamera und sogar der exakten Adresse und Lage des Callcenters, greift die Polizei schließlich zu. Das Callcenter wird von der indischen Polizei geschlossen, die Anführer verhaftet. Browning rät Privatpersonen trotz des Erfolgs davon ab, es ihm gleichzutun: Erstens könne es gefährlich sein, Scammer persönlich aufzusuchen. Und zweitens sei es illegal.
"Eigentlich ist das illegal, was ich tue. Aber ich finde, die Polizei sollte das tun, was ich tue. Meiner Meinung nach ist das Gesetz in diesem Bereich zu streng. Ein Verbot, sich Zugang zu einem Computer zu verschaffen, verhindert, dass sie Betrügereien nachgehen – und das heute, wo 80 Prozent des Betrugs online stattfinden."

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Von deutschen Behörden hört man kaum von Ermittlungserfolgen beim Europol-Scam. Wie viele Betroffene es hierzulande gibt, lässt sich kaum in Erfahrung bringen. Die Landeskriminalämter erheben entsprechende Anrufe nicht gesondert, auch das BKA hat keine Zahlen. Die Bundesnetzagentur berichtete allein im Juni 2022 von mehr als 7000 Beschwerden. Woran scheitern die Ermittlungen? Wieso kommen die Behörden hier nicht weiter?
„Das Problem ist tatsächlich: Hebt man die eine Bande aus, dann tut sich die nächste auf. Macht man das eine Callcenter zu, dann existiert eigentlich schon im nächsten Moment das nächste Callcenter. Und das ist eben das, was die Ermittlung so schwer macht. Und die sind wirklich sehr, sehr gut organisiert, die Banden“, sagt Sandra Freitag von der Polizeidirektion Leipzig.
Das Geld werde zudem häufig direkt weiter überwiesen, meist über mehrere Konten, bis es für die Behörden kaum mehr nachvollziehbar ist. Zudem sind häufig Unschuldige beteiligt, über deren Konten die Beträge weiterüberwiesen werden: Diese wissen häufig nicht mal, dass sie Kriminelle unterstützen. Manchmal eröffnen die Kriminellen auch Konten mit gestohlenen Daten. Für Sandra Freitag sind fehlende technische Möglichkeiten aber nicht das Problem:
„Zu den konkreten Ermittlungen, wie wir das machen, muss ich natürlich um Verständnis bitten, dass wir da keine Anleitung noch mit rausgeben möchten, denn es ist eh schon schwer ranzukommen, sodass wir natürlich unsere konkreten Ermittlungsmaßnahmen da nicht preisgeben. Aber es gibt tatsächlich natürlich auch technische Methoden und Überwachungsmethoden.“

Der Europol-Betrug ist weit verbreitet

Zwei Betrugsarten beschäftigen die Polizeidirektion gerade besonders, erklärt Freitag: Der so genannte Messenger-Betrug ist eine Art Enkeltrick, bei dem die Kriminellen beliebige Whatsapp-Konten anschreiben und sich beispielsweise als Enkelin oder Sohn ausgeben und wegen eines Notfalls um Geld bitten.
Hier geht es meist um kleinere Summen, dafür ist die Zahl der Opfer sehr viel größer. Aber auch der Europol-Betrug ist verbreitet: Allein in der Polizeidirektion Leipzig habe man seit März 2022 mehr als 700 Fälle verzeichnet – und das ist nur eine von vier Polizeidirektionen in Sachsen. Der Schaden liege im hohen fünfstelligen Bereich.
Eines der Opfer ist eine Studentin aus Leipzig, nennen wir sie Mi Ling. Sie kommt aus einem asiatischen Land und ist Mitte 20 – mehr darf hier nicht verraten werden. Auch ihre Stimme haben wir verändert. Während sie über ihren Fall spricht, kämpft sie mit den Tränen. Am schlimmsten sei es gewesen, ihren Eltern zu beichten, dass sie fast 20.000 Euro an Betrüger verloren hat. Schließlich war das Geld für ihr Studium in Deutschland bestimmt.
„Es ist sehr schwer, mit deiner eigenen Mutter über so eine Situation zu sprechen. Ich würde sagen, das war das schlimmste Gespräch, das ich je hatte mit meiner Mutter.“
Im Juli 2022 bekommt auch sie den Europol-Anruf: „Hello, this call is from the Europol.”
Es ist die gleiche Geschichte wie bei Miriam Peters: Als Ling die „1“ drückt, erfährt sie von den angeblichen Ermittlungen wegen Geldwäsche und Drogenhandel gegen sie. Die Angreifer nutzen außerdem Lings Situation aus: Sie ist fremd in Deutschland, sie weiß nicht, wie die Polizei hier normalerweise handelt. Der Zufall hilft den Scammern zusätzlich.

Ich war in Deutschland und wollte gerade meine Aufenthaltsgenehmigung verlängern. Dafür musste ich ins Ausland, ich durfte also auf keinen Fall verhaftet werden. Ich dachte mir: Ich bin sicher, dass ich unschuldig bin. Deshalb sollte ich tun, was sie sagen. Ich muss sichergehen, dass diese Anschuldigung fallengelassen wird. Es hat mir angst gemacht.

Mi Ling

Es sind solche Zufälle, die jede und jeden von uns angreifbar machen. Sie führen dazu, dass die Lügengeschichten der Scammer in bestimmten Fällen besonders plausibel klingen. Oder besonders bedrohlich. Der angebliche Anruf von Europol hat schon von sich aus Elemente, die ihn glaubwürdig machen. Wenn dann noch ein Detail dazu kommt, lassen sich auch Menschen überzeugen, sie sonst skeptisch sind.
„Ich habe immer gesagt, dass jeder auf einen Betrug hereinfallen kann, wenn die Umstände passen. Wenn Sie zum Beispiel gerade eine Bestellung bei Amazon aufgegeben haben und dann ruft Amazon Sie an. Oder: Sie haben gerade etwas bei der Bank erledigt und die Bank ruft Sie an – dann glauben Sie, dass der Anruf echt ist“, sagt Youtuber Jim Browning.
Sogar Jim Browning selbst ist schon mal hereingefallen. Vorübergehend hat er dadurch seinen eigenen Youtube-Kanal verloren.
“Anyone listening can also be scammed.”

Die Polizei fragt nie nach Geld

Es kann also tatsächlich jeden treffen. Was hilft? Wie können sich Betroffene so gut wie möglich schützen? Sandra Freitag von der Polizei in Leipzig erklärt das anhand eines anderen Scams, der grad ziemlich erfolgreich ist: so genannte Schockanrufe. Da erzählen die Betrüger Geschichten wie diese:
„Ein nahestehendes Familienmitglied hat einen Unfall gebaut. Bei dem Unfall ist ein Mensch verstorben. Der Angehörige befindet sich jetzt in Gewahrsam und zur Freilassung muss eine Kaution bezahlt werden. Das setzt natürlich die potenziellen Opfer enorm unter Druck. Die Behörden machen auch Druck, die sind auch clever, die geben die Gespräche auch weiter. Also am Anfang spricht man beispielsweise mit einem Polizisten. Der Polizist sagt dann: Ich muss sie jetzt an die Staatsanwaltschaft weitergeben. Und in der weiteren Folge wird noch der Richter mit hinzugezogen.“
Aber: Am Telefon sind natürlich keine echten Polizisten.

Polizeibehörden würden niemals am Telefon nach Geld fragen. Das ist die wichtigste Erkenntnis, die wir den Bürgerinnen und Bürgern mit auf den Weg geben wollen. Die Polizei fragt nicht nach Geld am Telefon.

Sandra Freitag

Allerdings: In emotionalen Ausnahmesituationen ist es nahezu unmöglich, die Situation kritisch zu hinterfragen, erklärt Psychologin Christina Lekati.
“Und genau das ist es, was Betrüger erreichen wollen. Sie versuchen, das kritische Denken zu beeinträchtigen. Sie setzen Sie unter Zeitdruck, sodass Sie keine Zeit mehr zum Nachdenken haben. Dann versuchen sie, noch mehr Angst und Stress zu erzeugen. Damit verhindern die Betrüger, dass Sie weiterhin analytisch denken können. Sie sorgen dafür, dass sich Ihr Reptiliengehirn in den Vordergrund drängt. Das bringt Sie dazu, automatische Entscheidungen zu treffen. Das Reptiliengehirn soll dafür sorgen, dass wir in Notfällen überleben und uns um jeden Preis aus einer schwierigen Situation befreien.“

Finanzieller Schaden – und psychischer

Den meisten Opfern wird das erst klar, wenn es zu spät ist. Und dann trifft sie diese Erkenntnis umso härter. Studentin Ling sagt, sie hat nicht nur Geld verloren, das Ganze hat sie auch psychisch schwer getroffen – bis heute muss sie sich manchmal zwingen, weiterzumachen. Nicht alle Zelte abzubrechen und die Pläne von Studium und Beruf in Deutschland aufzugeben. Am schlimmsten sei es direkt nach der Tat gewesen.
„Das waren die schlimmsten Tage in meinem Leben. Ich konnte nicht schlafen. Ich konnte nicht essen. Ich konnte nicht einmal meine Wohnung verlassen, weil ich so fertig war.“
Um nicht selbst Opfer eines Betrugsversuchs zu werden, rät Psychologin Christina Lekati, sich erst mal Zeit zu verschaffen. Denn nur dann ist es möglich, kritisch zu denken. Wer in Panik ist, kann keine rationalen Entscheidungen treffen.
Das betrifft auch eine neue Betrugsmasche. Dabei geben die Anrufer vor, eine Angehörige gekidnappt zu haben. Dafür verlangen sie ein Lösegeld.
„Wenn Sie in so ein Szenario geraten, dann sollten Sie sich darüber im Klaren sein, dass Sie Angst haben werden, und dass der Anrufer die Situation eskalieren wird. In so einem Fall ist es die beste Option, zum Anrufer zu sagen: ´Ich habe gerade keinen guten Empfang. Können Sie mich in fünf Minuten anrufen, denn ich kann Sie nicht hören.` Denn dann können Sie aufzulegen, ohne etwas zu riskieren.
Sie können die Zeit nutzen, um Ihre Angehörigen anzurufen und zu überprüfen, ob die Geschichte wahr ist. Sie haben dann Zeit, sich zu beruhigen und in Ruhe zu überlegen, was Sie als Nächstes tun sollten. Sie werden extrem aufgewühlt sein, und es ist nie eine gute Idee, in so einem Zustand Entscheidungen zu treffen, bei denen es um Geld geht.“
Doch die nächste Eskalationsstufe steht bereits vor der Tür. Häufig spielen die Täter bei entsprechenden Schockanrufen im Hintergrund das Weinen einer jungen Frau ein – der angebliche Polizist sagt, das sei die Tochter, die einen schweren Unfall verursacht habe. Oder der Kidnapper sagt, das sei die entführte Tochter. Das wirkt. Viele Menschen verlieren Geld, weil sie tatsächlich glauben, ihre eigene Tochter zu erkennen.

Betrüger nutzen technische Entwicklungen

Doch was, wenn in Zukunft tatsächlich Stimmen originalgetreu nachgemacht werden können? Noch seien die Algorithmen nicht gut genug, um künstliche Sprache echt genug klingen zu lassen, sagt Pavel Korshunov, der sich am Schweizer Forschungszentrum IDIAP mit Deep-Fake-Technologie beschäftigt.
„Aber in ein paar Jahren wird es so weit sein, dass man in Echtzeit einen Text eintippen kann, der dann in eine synthetische Stimme überführt wird, die wie Ihre eigene Großmutter klingt.“
Schon heute sei es möglich, recht ähnliche Stimmen zu erzeugen. Zwar nicht perfekt, aber wenn solche Aufnahmen zum Beispiel in einem lauteren Umfeld abgespielt werden, hört man die kleinen Fehler nicht mehr. In Kombination mit den psychologischen Tricks der Angreifer sei das womöglich schon gut genug.
“Es funktioniert schon jetzt, auch wenn die Technologie nicht perfekt ist. Aber wenn die Technologie immer besser wird, braucht es kaum Vorwissen für solche Angriffe. Es wird wahrscheinlich immer häufiger vorkommen. Wir brauchen technische Systeme, um das zu verhindern. Wir müssen Gegenmaßnahmen entwickeln.“
So wie man heute schon bestimmte Telefonnummern blocken kann, könnte man in Zukunft vielleicht eine App haben, die künstlich erzeugte Stimmen erkennt und solche Anrufe blockt.
„So etwas Ähnliches brauchen wir auch für gefälschte Audios, für gefälschte Videos und so weiter. Auf unseren Smartphones brauchen wir eine App oder Software, die synthetische Medien herausfiltert.“
Es gäbe auch noch einen weiteren Ansatzpunkt: technische Maßnahmen der Banken. Diese nutzen durchaus automatische Mechanismen, um verdächtiges Verhalten zu erkennen. Künstliche Intelligenz kann schon heute recht gut auffällige Muster detektieren.
Sowohl Miriam Peters als auch Mi Ling haben Zehntausende Euro in kleinen Beträgen an Konten im Ausland überwiesen, an die sie zuvor noch nie Geld überwiesen hatten. Schon für ein menschliches Auge sind das auffällige Muster. Künstliche Intelligenz kann diese noch besser aufspüren – doch die Algorithmen der Banken ebenso wie die der Kryptobörsen versagten. Bislang ohne Konsequenzen für die betroffenen Institute und Kryptobörsen.
Die Betrugsmaschen der Scammer werden immer besser: Ausgefeilte psychologische Methoden, die emotionale Ausnahmesituationen der Opfer ausnutzen. Immer wieder neue Wege, auf denen das Geld überwiesen wird. Und in Zukunft womöglich sogar manipulierte Stimmen durch die Deep-Fake-Technologie.
Womöglich gibt es in Zukunft auch technische Lösungen, die uns helfen, und uns besser vor Betrug schützen. Bisher allerdings sieht es düster aus.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema