"Marat/Sade" in Bochum

Das Theater als psychiatrische Anstalt

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Ein Darsteller im Napoleonskostüm steht auf der Bühne. Im Hintergrund sieht man eine barbusige Frau, die die Frankreichflagge schwenkt.
"Marat/Sade" ist Teil des zweijährigen Projektes "Irrsinn", bei dem das Schauspielhaus Bochum mit dem Nationaltheater Gent zusammenarbeitet. © Florian Krauss
Manuel Gerst im Gespräch mit André Mumot · 29.06.2019
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Psychiatrie-Patienten und Menschen mit geistiger Behinderung auf der Bühne – das Schauspiel Bochum zeigt "Marat/Sade" der Performance-Gruppe Monster Truck. Regisseur Manuel Gerst über die Fallstricke einer solchen Inszenierung.
"Irrsinn" heißt ein zweijähriges Projekt, bei dem das Schauspielhaus Bochum mit dem von Regisseur Milo Rau geleiteten NT Gent zusammenarbeitet. Entstanden ist dabei jetzt eine ganz eigene Version von Peter Weiss' "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade". Ein langer Titel und ein berühmtes doppelbödiges Stück über die Abgründe der Französischen Revolution, erzählt als Theater im Theater in einer psychiatrischen Anstalt.

Wer definiert, was psychisch krank ist?

Manuel Gerst von der Performance-Gruppe "Monster Truck", die diesen Abend in Bochum mit psychiatrischen Patienten und Menschen mit geistiger Behinderung inszeniert, berichtet davon, dass im Umgang mit diesem Themenfeld schon die grundsätzlichen Bezeichnungen auf dem Prüfstand stehen müssen: "Das ist ein weites Feld! Wenn ich eine depressive Verstimmung habe, bin ich dann schon psychisch krank oder muss in einer geschlossenen Anstalt sein? Mit diesen Begrifflichkeiten versuchen wir zu spielen."

Erfahrung mit Provokationen

Das Risiko der Ausbeutung von Menschen mit psychischen Krankheiten und geistiger Behinderung für die Bühne, sehe er dabei durchaus: "Natürlich steht bei solchen Produktionen immer der Vorwurf der Freak-Show im Raum", ein Umstand, der aber von den Künstlern bewusst mit verarbeitet werde. "Dieses Ausstellen machen wir so gerahmt, dass man es als Ausstellen auch erkennen kann. Vielleicht finden das dann auch manche Leute schwierig."
Allerdings hat die Gruppe "Monster Truck" reichlich Erfahrung mit Provokationen, sucht immer wieder den Skandal. In Leipzig wurde einer ihrer Abende vor der Premiere abgesetzt, weil 20 Minuten lang ein totes Schwein auf der Bühne zerteilt werden sollte, Anfang des Jahres gab es in ihrem Stück "Phaedra" in Berlin eine sehr explizite Sexszene.
"Für uns ist das sehr reizvoll, solche Szenen auszuhalten", sagt Manuel Gerst, "uns aber auch selbst als die Bösen zu thematisieren, die das ja veranlasst haben. Wir zeigen nicht mit dem Finger auf das Problem, sondern wir sagen: Wir sind selbst das Problem."
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