Literatur und Klimawandel

Climate-Fiction – kein Begriff fürs Marketing

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Eine bunte Illustration zeigt einen Mann, der im Regen an einem entwurzelten Baum vor einem Haus lehnt und liest.
Noch präsenter als in aktuellen Romanen sei der Klimawandel derzeit im "dystopischen Sachbuch", beobachtet die Literaturjournalistin Sieglinde Geisel. © imago images / Ikon Images / Phil Marden
Sieglinde Geisel im Gespräch mit Joachim Scholl · 21.08.2020
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Wenn es in Literatur um den Klimawandel geht, handelt es sich oft um Science-Fiction, genauer: Climate-Fiction. Journalistin Sieglinde Geisel stellt Neuerscheinungen in dem Bereich vor. Davon gibt es einige, obwohl das Genre eher als "Kassengift" gilt.
Zukunftsromane, die von der Klimakatstrophe erzählen, gehören zur Climate-Fiction, sagt die Journalistin Sieglinde Geisel. Wirklich durchgesetzt habe sich der Genrebegriff aber bisher weder in der Literaturwissenschaft noch in der Verlagswelt.
Climate-Fiction gelte bei den Verlagen "so ein bisschen als Kassengift". Es werde von den Verlagen nicht damit geworben.
Ilija Trojanows "EisTau", Barbara Kingsolvers "Das Flugverhalten der Schmetterlinge" oder Ian McEwans Roman "Solar" zählt Geisel zur Climate-Fiction des zurückliegenden Jahrzehnts.

Klimawandel im "dystopischen Sachbuch"

Sehr viel präsenter als in aktuellen Romanen sei der Klimawandel derzeit aber im "dystopischen Sachbuch", beobachtet die Literaturjournalistin.
Der Wissenschaftsjournalist Toralf Staud schildere in "Deutschland 2050", einem Sachbuch, das im kommenden Frühjahr erscheint, ein ähnliches Szenario wie der italienische Autor Bruno Arpaia. Der hatte 2016 den ersten italienischen Climate-Fiction-Roman geschrieben. "Qualcosa, là fuori", "Irgendwas, da draußen", spielt im Jahr 2080 und erzählt von der Migration der Europäer nach Skandinavien – "ein durchaus realistisches Szenario", meint Geisel.

Schreiben, als ob nichts wäre

Ihrer Auffassung nach können aber auch Romane zur Climate-Fiction zählen, die sich selbst nicht dazu zählen. Literatur sei nicht didaktisch, und literarischer Anspruch vertrage nicht immer Etiketten.
"Wenn ich die Herbstprogramme anschaue, bin ich erstaunt, wie viel einfach immer noch geschrieben wird, wie wenn nichts wäre", sagt Geisel. Aus den aktuellen Programmen nennt sie drei Titel, die sich um den Klimawandel drehen:
Bei Fischer erscheine demnächst "Zugvögel" von Charlotte McConaghy. Eine Frau folgt hier den verschwindenden Vögeln in die Antarktis. "Malé" von Roman Ehrlich spielt in der Hauptstadt der im Meer versinkenden Malediven und hat es bereits auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft. Wolf Harlanders Ökothriller "42 Grad" blickt in die nahe Zukunft und zeigt, was Dürre, Wassermangel und Hitze mit Deutschland machen werden, so Geisel.
(huc)

Wie reagiert die Literatur auf die Veränderungen unserer Umwelt? Im Literaturforum im Brechthaus findet derzeit die Projektwoche "Umwelten" statt. Und im Literarischen Colloquium Berlin haben Studierende der Freien Universität einen Abend zu "European Climate Fiction" gestaltet. Sieglinde Geisel ist selbst im Organisationsteam eines Climate-Fiction-Festivals, das vom 4. bis 6. Dezember im Literaturhaus stattfinden wird. Diskutiert werden soll darüber, was Literatur in Fragen des Klimawandels leisten kann.

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