Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich

Die Gefahr von künstlerischer Schönheit

Protestaktion "Die Toten kommen"
Protestaktion "Die Toten kommen" vom "Zentrum für politische Schönheit" im Juni 2015. © imago/Olaf Wagner
Wolfgang Ullrich im Gespräch mit Gesa Ufer · 16.11.2017
Die Kunstgruppe "Zentrum für die politische Schönheit" hat durch Aktionen wie "Die Toten kommen" und Gedenkkreuze von sich reden gemacht. Für den Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sind das Beispiele dafür, wie ein alter Schönheitsbegriff zurückkehrt und sieht auch eine Gefahr darin.
Sowohl auf linksliberaler Seite als auch von rechts gewinnt ein ästhetisches Programm an Einfluss, das auf einen alten Schönheitsbegriff zurückgreift. Gemeint ist ein Konzept, das auf Überwältigung statt Emanzipation und auf einen schwärmerisch-totalitären und elitären Schönheitsbegriff setzt.
Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich schreibt darüber in seinem Blog Pop-Zeitschrift. Er ist auf das Phänomen zum Beispiel in dem Buch "Wenn nicht wir, wer dann – Ein politisches Manifest" von Phillip Ruch gestoßen.
Ruch ist Gründer der Aktionskunstgruppe "Zentrum für Politische Schönheit", die zum Beispiel mit gestohlenen Kreuzen der Mauertoten, symbolischen Flüchtlingsgräbern vor dem Reichstag oder zuletzt mit einem Raubtierspektakel vor dem Berliner Maxim-Gorki-Theater von sich reden machte.
Ein schwarz-weißer Aufkleber mit der Aufschrift "Flüchtlinge fressen - Not und Spiele", auf dem eine Tigerfigur steht.
Das Zentrum für politische Schönheit erregte 2016 mit seiner Aktion "Flüchtlinge fressen - Not und Spiele" Aufmerksamkeit in Berlin.© dpa/ picture-alliance/ Rainer Jensen

"Alles ist sinnentleert"

Wolfgang Ullrich: "Der Ausgangspunkt für das Zentrum für Politische Schönheit wie auch für etliche andere zeitgenössische Gruppen ist der Befund, dass wir in einer nihilistischen Gegenwart leben. Alles ist sinnentleert, abgestumpft, deshalb – so die Behauptung – würden die Menschen auch keine moralische Sensibilität mehr haben und deshalb einfach die schlimmsten Dinge geschehen lassen auf der Welt. Und dagegen wird ein Programm gesetzt der politischen Schönheit. Philipp Ruch sagt, wir müssen wieder Zugang zur Tiefe der eigenen Seele gewinnen und letztlich wird in Form der Aktion etwas angeboten, das vielen Menschen die Chance auf Partizipation bietet."
Den Menschen solle damit ein Gefühl gegeben werden, dass sie Teil von etwas Großartigem, moralisch Strahlenden sind und ihnen eine Schönheitserfahrung vermitteln, die ihnen zeige, dass sie wertvolle, wichtige Menschen und Akteure im heutigen, politischen Geschehen sind, erklärt Ullrich. Einen identischen Schönheitsbegriff sieht er bei Auftritten und Events der rechten "Identitären Bewegung".
"Die extrem Rechten gehen genau so davon aus, dass unser Zeitalter ein Zeitalter des Nihilismus ist und die Aktionen sollen dazu beitragen, die eigene Identität zu spüren und als etwas Bedrohtes und ganz sentimental als etwas Schönes zu empfinden. Letztlich geht es bei den Rechten darum, dass von vornherein mit so einem klaren Wir- und Ihr- und Freund-Feind-Schema gearbeitet wird, und das ästhetisch instrumentalisiert wird."

Gefahr der Inspiration

Ullrich sieht Unterschiede darin begründet, dass die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit mehr auf Partizipation der Teilnehmer in der Gruppe und weniger stark auf den Einzelnen ziele wie bei den "Identitären". Eine Gefahr sieht er in dem Nachahmungseffekt:
"Tatsächlich findet man in einigen Texten von Identitären – etwa bei Martin Sellner aus Österreich – Äußerungen wonach sie die Strategien einer Gruppe wie das Zentrum für Politische Schönheit bewundern und als Inspiration sehen, das heißt, mittelfristig vielleicht auch so Dinge planen wie einen Marsch der Entschlossenen, wie es das Zentrum für politische Schönheit vor zweieinhalb Jahren in Berlin gemacht hat, als es um die Flüchtlingstoten ging, die symbolisch auf der Wiese vor dem Reichstag begraben werden sollten mit rund 5000 Teilnehmenden. Wenn man sich vorstellt, die Rechten machen ähnlich groß dimensionierte Veranstaltungen, wo sie dann vielleicht Themen wie die Silvesternacht in Köln verhandeln mit Märschen der Entschlossenen und irgendwelchen rituellen Bedrohungsszenarien, dann kann einem schon Angst und Bange werden."
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