Josefine Klougart: „New Forest“

Endlose Meditationen über Endlichkeit

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Auf schwarz-gelben Farbflecken ist der Autorinname und Buchtitel zu sehen.
© Matthes & Seitz

Josefine Klougart

Übersetzt von Peter Urban-Halle

New ForestMatthes und Seitz , Berlin 2022

556 Seiten

28,00 Euro

Von Pascal Fischer · 04.07.2022
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Eine gescheiterte Beziehung, eine Kindheit als Sonderling, ein Abschied von den Eltern: Josefine Klougart erzählt aus dem Leben einer jungen Frau. Deren Bewusstseinsstrom umkreist die eigenen Emotionen und die Natur – mal erhaben, mal seicht.
Echte Literatur handele von Liebe und Tod, heißt es in diesem Buch programmatisch. Und so wird hier fortwährend in einem meditativen Ton darüber gestaunt, dass etwas existiert und zugleich darüber resigniert, dass alles vergeht. „Unter dem Sommer liegt der Tod“, scheint das Grundgefühl dieses Romans.

Junge Frau in toxischer Beziehung

Die dänische Autorin Josefine Klougart, geboren 1985, ist in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt, preisgekrönt und galt in ihrem Heimatland früh als literarisches Talent. Sie legt mit „New Forest“ jetzt einen Roman vor, der beweist, dass sie ihr Leben lang an einem einzigen Buch schreibt. Hier bündeln sich die Themen der vorherigen Bücher, insbesondere die Rückkehr an Orte der Kindheit, Machtspiele und Untreue in der Liebe sowie die resultierende Sprachlosigkeit, verfälschende Erinnerungen, todkranke Eltern.
Wir schauen durch die Augen einer jungen Frau, die sich aus einer toxischen Abhängigkeitsbeziehung gelöst hat und sich melancholisch erinnert. „Wer am wenigsten liebt, hat die Macht“, resümiert sie die Affären ihres Geliebten.
Ihr Grundgefühl der Weltfremdheit geht zurück auf die Kindheit, ihre Sonderlingsrolle zwischen rivalisierenden Schwestern. Nur im England-Urlaub fühlte sie sich einmal heimisch im Leben – im „New Forest“, unter frei laufenden Pferden. Zeitweilig erleben wir ihre alternde Mutter, die ihren eigenen Mann begraben hat.

Maximal ausgedehnte Zeit

Die Zusammenhänge gilt es, als Leser nach und nach zu erschließen durch äußerst vage Andeutungen. Denn es geht Klougart, die auch in Musik und Kunst bewandert ist, weniger um Plot, Handlung, Figurenentwicklung, als um Gefühle, Stimmungen und Bilder zwischen den Sätzen. Demgemäß liefert sie minutiöse Natur- und Alltagsbeschreibungen mit maximalem Zeitdehnungseffekt. 
Leider täuscht das nicht über die Schwächen des Buches hinweg: Das ständige Raunen lässt ein fast unterschiedsloses Kontinuum entstehen, manche Anekdote bleibt erratisch sinnlos. Oft wechselt die Perspektive von der ersten in die dritte Person.
Was eine Selbstentfremdung andeuten könnte, gerät zu einem Manierismus; manche Passage verunglückt dadurch. Und die abgekürzten Vornamen schützen einen autobiografisch gespeisten Schlüsselroman vor, wirken aber irgendwann prätentiös geheimnistuerisch.

Sehnsucht nach Angenommensein

Ein Buch, wie es die Jury beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt lieben würde: Arm an Handlung und Entwicklung, reich an folgenloser Innerlichkeit. Eine notwendige Reihenfolge der Buchabschnitte ist letztlich nicht erkennbar. 
Gen Ende wirkt der Stoff immer tagebuchähnlicher; das Gefühl bleibt, dass auf einem Fünftel  der Seiten hätte kondensiert werden können. So bleibt vor allem das Porträt einer Frau haften, die ihre eigenen Empfindungen metaphysisch überhöht, um darüber jedes Alltagsdetail auszudeuten. In den besten Passagen scheint unsere Endlichkeit und Sehnsucht nach Angenommensein auf. Aber oft scheint Tiefe auch nur vorgetäuscht. 
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