José Ovejero: „Aufstand“

Opfer der Verhältnisse

05:52 Minuten
Buchcover von "Aufstand".
© Edition Nautilus

José Ovejero

Aus dem Spanischen von Patricia Hansel

AufstandEdition Nautilus, Hamburg 2022

326 Seiten

26,00 Euro

Von Katharina Teutsch · 04.01.2023
Audio herunterladen
Zwischen Immobilienkrise, Jugendarbeitslosigkeit und moralischem Bankrott: José Ovejero erzählt in "Aufstand" von einer spanischen Hausbesetzerin, die gegen das Establishment rebelliert und ihren Vater vor eine große Prüfung stellt.
„Wann ist Madrid zu einem Fegefeuer für abgestumpfte Seelen geworden?“, fragt sich eine Romanfigur in José Ovejeros Roman „Aufstand“. Es ist die Leitfrage dieses Buchs, dessen Autor selbst 1958 in Madrid geboren wurde.
„Aufstand“ ist ein Roman der Stunde. Er zeichnet das Bild einer in neobourgeoisem Glanz erstarrten Metropole, in der – wie in allen anderen europäischen Metropolen auch – die Immobilienfrage zum sozialen Kampfplatz geworden ist. Hinzu kommen spezifisch spanische Wirtschaftsverhältnisse mit seit Jahrzehnten dramatisch hoher Jugendarbeitslosigkeit, Spekulationsblasen, Lohndumping und einer abgewirtschafteten Medien- und Kulturszene.

Ein schlaffer Radioredakteur

Die Hauptfigur des Romans ist Aitor, ein Radioredakteur um die 50, ein etwas schlaffer Typ, der dank einiger betriebsbedingter Kündigungen im Sender Karriere macht. Als leitender Redakteur muss er dann allerdings selbst Kollegen feuern. Das nehmen ihm viele übel. Schließlich wird Aitor auf die gleiche Weise von seinem Vorgesetzten entsorgt. Doch das ist nur das geringste seiner Probleme.
Seine größte Sorge gilt seiner 17-jährigen Tochter Ana. Anders als Aitor ist Ana nicht bereit, die Verhältnisse im heutigen Spanien unwidersprochen hinzunehmen. Sie verachtet die Lebensweise ihres Vaters, der sich in seinem Reihenhaus verschanzt und das Mittelmaß kultiviert. Die Konflikte liegen auf der Hand. Bis Ana eines Tages abtaucht. Und zwar in der spanischen Okupa-Bewegung, die sich auf politisch motivierte Hausbesetzungen spezialisiert hat.

Terroranschlag in Madrid geplant

Ana hatte ihren Vater vor ihrem Auszug aufgefordert, endlich aufzuhören, ein Opfer der Verhältnisse und Teil der zahnlosen Journaille zu sein, für die er auch über die Hausbesetzerszene berichtet. Aber wie soll das gehen?
Als ein Privatdetektiv, den Aitor auf seine Tochter angesetzt hat, Ana schließlich findet, beginnt erst die eigentliche Geschichte, die José Ovejero erzählen will. Denn nun kann sich Aitor nicht mehr raushalten. Als er erfährt, dass Anas anarchistisches Wohnprojekt einen Terroranschlag in Madrid plant, wird er zum Akteur.

Generationenzerwürfnis mit Wucht

Und auch der Detektiv will nun seinen Anteil. Er erpresst den Vater, der jetzt nicht nur moralisch bankrott ist, wie seine Tochter es ihm immer wieder attestiert hat, sondern auch wirtschaftlich. Ovejero fächert hier kurz die Möglichkeiten eines politischen Kriminalfalls auf, strapaziert diesen Strang seiner Erzählung aber nicht. Denn sein eigentliches Thema ist der soziale Kontrakt zwischen Aitors und Anas Generation.
Die Frage der Legitimität politischer Gewalt erinnert an die Diskussionen, die es in der Bundesrepublik schon einmal in den 70er-Jahren gegeben hat. Im Spanien der Gegenwart ist das Thema wieder aktuell. Der Vater-Tochter-Konflikt hat bei Ovejero die Wucht eines veritablen Generationenzerwürfnisses.

Die Okupa-Bewegung übt den Aufstand

Eine Welle von Selbstmorden in Spanien aufgrund explodierender Immobilienpreise hat seit der Immobilienkrise von 2008 weltweit Schlagzeilen gemacht. Schon lange hat die Okupa-Bewegung in herausgeputzten Städten wie Madrid und Barcelona nicht mehr nur den Status linker Folklore. Sie ist zum Teil einer Jugendbewegung geworden, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnt. Darüber hat José Ovejero einen nachdenklichen politischen Familienroman geschrieben.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema