Sergio del Molino: „Leeres Spanien“

Die vergessene Provinz

06:25 Minuten
Cover von Sergio del Molinos Buch „Leeres Spanien“. Es zeigt einen weiten Himmel über einer naturnahen Landschaft.
© Verlag Klaus Wagenbach

Sergio del Molino

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Leeres Spanien. Reise in ein Land, das es nie gabVerlag Klaus Wagenbach, Berlin 2022

304 Seiten

30,00 Euro

Von Stefan May · 27.10.2022
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Das Landesinnere von Spanien ist außergewöhnlich schwach besiedelt. Sergio del Molino hat ein Buch über seine Heimat abseits von Großstädten und Stränden geschrieben. Sein Fazit: „Das leere Spanien ist kein Land, sondern ein Bewusstseinszustand.“
Wer mit dem Hochgeschwindigkeitszug AVE eine der großen spanischen Städte verlässt, begegnet ihr beim Blick aus dem Fenster recht bald: einer weiten braunen Fläche, soweit das Auge reicht. Der spanische Journalist und Schriftsteller Sergio del Molino hat sich aufgemacht, dieses abweisende Spanien zu erkunden. Im Untertitel seines Buches spricht er von einer „Reise in ein Land, das es nie gab“.
Die Grundkonstellation ist uns nicht fremd: Menschen vom Land drängen in die Städte, dort hat man wenig übrig für die Regionen rundherum, die immer mehr ausdünnen. Doch in Spanien ist die Situation noch extremer als anderswo: Von den 46 Millionen Einwohnern leben nur zehn Prozent auf dem Land - der Meseta im Landesinneren, die aber die Hälfte der Fläche ausmacht. Die meisten leben in Madrid, den großen Regionalstädten oder an der Küste, mit ihren Hotelburgen und Folientunneln für Obst und Gemüse.

Die Landbewohner galten als Wilde

Im Landesinneren fehlte es lange an der nötigen Infrastruktur. Jahrhundertelang war das leere Spanien besonders schlecht entwickelt und blieb völlig unbeachtet: Krankheiten grassierten, es gab nicht genug zu essen, die Bewohner wurden von den Städtern als Wilde abgetan. In der Stadt hatten sie Angst vor ihnen, auf dem Land hielt man die Städte für sündhafte Türme zu Babel.
Erst im 19. Jahrhundert begann Spanien sein Hinterland zu entdecken: Man erwanderte es sich, Bibliotheken wurden eröffnet. Doch der große Umschwung setzte nicht ein. Luis Buñuel drehte 1932 einen Film mit dem Titel „Las Hurdes“, den er als dokumentarisch bezeichnete. Doch all die darin gezeigte Armut und Tristesse war gestellt, wenngleich nicht untypisch für das leere Spanien. Unter Franco war der kurze Film verboten.

Von Franco vernachlässigt

Franco, der sich immer wieder der Unterstützung der Provinz versicherte und seine Nähe zu ihr beteuerte, hatte in Wahrheit nichts für die zurückgebliebenen Regionen übrig. Im Gegenteil: Mit den vom Regime hineingesetzten Staudämmen und Atomkraftwerken wurden der Bevölkerung weitere Überlebensmöglichkeiten entzogen.
Del Molino, der immer wieder zur Recherche in das leere Spanien ausfährt, erzählt zum einen von seinen Erlebnissen, zum anderen zitiert er eine reiche Literatur zum Thema. 2016 erschien sein Buch in Spanien. Seither habe sich einiges im Hinterland der Städte verändert, schreibt der Autor im Vorwort zur nun erschienenen Ausgabe auf Deutsch.
Leserinnen und Leser in unseren Breiten könnten einige redundante Schilderungen im Text möglicherweise ein wenig mühsam finden. Dennoch ist „Das leere Spanien“ eine überraschende Begegnung mit einem hierzulande nicht präsenten Problem der iberischen Halbinsel, denn, wie del Molino sagt: „Das leere Spanien ist kein Land, sondern ein Bewusstseinszustand.“

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