Proteste im Iran

Schwer enttäuscht von den deutschen Reaktionen

12:25 Minuten
Ali Samadi Ahadi besucht den Fotocall von "Peterchens Mondfahrt" im Rahmen des 17. Zurich Film Festival im Kino Corso am 26. September 2021 in Zürich.
„Wir müssen schnell handeln“: Ali Samadi Ahadi sieht viel Luft nach oben, was Hilfen für die iranische Zivilgesellschaft angeht. © Getty Images / ZFF / Thomas Niedermüller
Ali Samadi Ahadi im Gespräch mit Vladimir Balzer · 17.10.2022
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Solidarisches Haareabschneiden - und was noch? Der Regisseur Ali Samadi Ahadi fordert mehr Unterstützung für die iranische Zivilgesellschaft und schärfere Sanktionen gegen das gewalttätige Regime des Landes.
Seit seiner Dokumentation über die Proteste im Jahr 2009 kann der Dokumentarfilmer Ali Samadi Ahadi nicht mehr in den Iran reisen. Dennoch steht er derzeit in engem Kontakt mit Familie und Freunden – über das Internet, soweit es noch funktioniert, oder auch telefonisch: „Die Menschen sind wütend und traurig. Sie fühlen sich geknebelt“, sagt Ahadi. Und die Brutalität des Regimes mache sie noch zorniger.
Um die aktuell Protestierenden im Iran zu unterstützen, hat Ahadi eine Petition gestartet. In dem offenen Brief an Außenministerin Annalena Baerbock fordert er mehr Unterstützung für die iranische Zivilgesellschaft und schärfere Sanktionen gegen die Funktionäre des Regimes ein. Zahlreiche Schauspieler, Autoren, Verleger und viele weitere haben bereits unterzeichnet.

Keine Hoffnung auf Wandel mehr

Was hat sich im Vergleich zu früheren Protesten im Iran verändert? 2009 hätten viele Menschen noch auf einen Wandel innerhalb des Systems gehofft, sagt Ahadi.
Doch nach 13 Jahren kontinuierlicher Proteste und deren Niederschlagung stellten sie nun das gesamte System in Frage. Der Tod von Mahsa Amini sei der letzte Anstoß gewesen: „Wir können es nicht mehr aushalten.“
„Nieder mit der Diktatur“ und „Frauen, Leben, Freiheit“ seien die zentralen Slogans der Proteste. Diese seien „generationenübergreifend, geschlechterübergreifend, ethnienübergreifend“, betont Ahadi. „Alle sind auf der Straße und sagen: Wir wollen dieses Regime nicht mehr.“

Wo sind die Kollegen, die Feministinnen?

Die Reaktionen in Deutschland enttäuschen den Filmemacher: „Ich bin entsetzt, wie wenig man von meinen Kollegen oder von der feministischen Bewegung über die Ereignisse im Iran hört. Ich bin wirklich sprachlos, wie ruhig meine deutschen Kollegen hinschauen und gar nichts passiert. Weder die Deutsche Filmakademie, noch irgendeine Aktion von Kollegen, zu der ich sagen würde: Ja, das ist ein Zeichen. Oder die feministische Bewegung – wo sind die alle? Ich sehe die nicht. Das finde ich eigentlich verrückt. Bei der Ukraine haben wir ein bisschen anders gehandelt. Da hat die Deutsche Filmakademie schusssichere Westen für die Kollegen hingeschickt.“

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Die deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler seien mit symbolischen Aktionen wie dem Haareabschneiden sehr viel weiter als die deutschen Filmemacher, meint Ahadi.

„Wir kleben an Verhandlungen mit den Mullahs"

Auch die Haltung der Bundesregierung kann Ahadi nicht nachvollziehen. Das iranische Volk sei der natürlichste Partner des Westens: gebildet, säkular und mutig stellten sich die Menschen einem rückständigen Regime entgegen: „Anstatt die zu unterstützen, kleben wir an Verhandlungen mit Mullahs, die bis jetzt sowieso nie die Wahrheit gesagt haben.“
Zwar hat die EU nun Sanktionen verhängt gegen Vertreter der „Sittenpolizei“ und der Revolutionsgarden, doch das sei nicht genug: „Die kanadische Regierung hat 10.000 Generäle, Offiziere und Technokraten des Systems sanktioniert. Und wir haben in Europa elf sanktioniert. Das ist vielleicht ein Anfang, aber es kann nicht das Ende sein. Und wir müssen eigentlich relativ schnell handeln“, sagt Ahadi.
Innerhalb der letzten Wochen hätten sich genug Ansprechpersonen für den Westen gezeigt, sagt Ahadi. Es seien die Mütter und Väter, die ihre Kinder verloren hätten, und die Sportler und Sportlerinnen, die sich gegen das System stellten – oder eben auch die kritischen Künstler und Filmemacher im Land.
(sed)
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