Kinder von Helikopter-Eltern

Mehr Toleranz für die jungen, verwöhnten Kollegen

"CANCEL YOUR HELIKOPTER MUTTI" - Schriftzug an einem leerstehenden Geschäft in Berlin-Prenzlauer Berg.
Wie viel Umsorgen von Kindern ist zu viel? © imago / snapshot-photography / T.Seeliger
Gedanken von Leon Igel · 01.08.2023
Viele Boomer wurden zu Helikopter-Eltern. Sie haben ihre Kinder verhätschelt. Jetzt sollten sie auch mehr Toleranz aufbringen, wenn ihnen die verwöhnten jungen Kolleginnen und Kollegen in der Berufswelt begegnen, meint Leon Igel.
Man kann das für eine modische Verirrung halten und sich fragen, was wohl Karl Lagerfeld dazu sagen würde, wenn junge Menschen plötzlich Schuhe anhaben, deren Sohle an einen Gartenschlauch erinnert. Das eigentlich Bemerkenswerte daran ist: Junge Leute grenzen sich zumindest bei der Schuhmode nicht mehr von der Generation ihrer Eltern ab.

Gleiche Schuhe, gleiche Ansichten?

Bedeuten nun gleiche Schuhe auch gleiche Ansichten? Zumindest die Daten weisen darauf hin. Junge Deutsche schätzen ihre Eltern. In der aktuellen Shell-Jugendstudie gibt nur jeder Zehnte zwischen 12 und 25 Jahren an, das Verhältnis zu seinen Erzeugern sei schlecht. Und sogar drei Viertel sind so von ihren Eltern begeistert, dass sie diese als Erziehungsvorbilder beschreiben.
Auch in grundlegenden Fragen stimmen die Generationen erstaunlich weit überein. Das fand der Generationenforscher Simon Schnetzer heraus, der in einer repräsentativen Stichprobe über 3000 Vertreter der Generationen X, Y und Z sowie der Babyboomer befragt hat – also Menschen von 14 bis 69 Jahren.

Familie ist der wichtigste Bezugspunkt

Dabei fällt auf: Die Wertvorstellungen sind generationsübergreifend recht traditionell. Familie ist auch für die Jüngeren der wichtigste Bezugspunkt. Und egal ob Gen Z oder Boomer, weniger als zehn Prozent befürworten die Aktionen der Klima-Kleber. „Die Risse in der Gesellschaft zeigen sich an anderer Stelle – und nicht zwischen den Generationen“, sagt der Generationenforscher Simon Schnetzer.
Die Generation der Helikopter-Eltern hat ganze Arbeit geleistet. Deren Sprösslinge sind so d’accord, dass sie ihnen uneingeschränkt folgen – beim Schuhwerk und darüber hinaus. Statt auf Widerstand setzt die junge Generation auf Partizipation. Vorwärts unter Muttis Aufsicht!

Zu weich und verwöhnt

Aber jetzt betreten die Kinder der Helikopter-Eltern die Arbeitswelt. Und da beginnt es zu knirschen. Die sind zu weich und verwöhnt, sagen die älteren Kollegen. Auf einen Kuschelkurs mit dem Nachwuchs haben sie keine Lust. Wir achten bloß auf unsere Bedürfnisse, entgegnen die Jüngeren. Unverständnis trifft auf Anspruchsdenken, Kritik auf Empfindlichkeit: Da bröckelt die große Harmonie.
Viele Boomer-Eltern haben ihre Kinder verhätschelt. Jetzt sollten sie auch mehr Toleranz aufbringen, wenn diese ihnen als junge Erwachsene in der Berufswelt begegnen. Denn sich dem Arbeitsleben zu stellen und das Kinder- und Jugendzimmer zu verlassen, ist nicht leicht. Besonders, wenn es da so schön war.

Leon Igel, Jahrgang 1995, ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Zeitungskolumne sowie das Werk Christoph Schlingensiefs. Er hat Germanistik und BWL an der Universität Mannheim studiert und arbeitet als Journalist. Zu seinen bisherigen Auftraggebern gehört unter anderem die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Porträtaufnahme von Leon Igel
© Anna Logue
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