Work-Life-Balance

Generation Anspruch

Illustration: Junge Menschen sitzen und stehen auf weissen Kugeln vor grünlichem Hintergrund.
Arbeitseifer gehört nicht zu den hervorstechendsten Tugenden der jungen Generation, meint Simone Schmollack. © Getty Images / Klaus Vedfelt
Ein Einwurf von Simone Schmollack · 21.10.2022
Ältere haben es trotz Fachkräftemangel nach wie vor schwer auf dem Arbeitsmarkt. Aber erfüllen Jüngere die in sie gesetzten Hoffnungen? Die Journalistin Simone Schmollack jedenfalls attestiert nach 1995 Geborenen eine unrealistische Anspruchshaltung.
Bloß keine Vollzeit, Homeoffice als Regel, flexible Arbeitszeiten, nie freitags und mittwochs nur bis 14 Uhr, weil dann Yoga ist. So in etwa klingen heute die Arbeitswünsche junger Menschen bei Vorstellungsgesprächen.
Personalentscheider:innen raufen sich die Haare: Komm mir bloß nicht mit jungen Leuten, die wollen nicht mehr arbeiten.

Eine Generation der Maximalforderungen

Dabei sind sie diesen Forderungen der nach 1995 Geborenen ja schon weitgehend entgegengekommen: Teilzeit, Homeoffice, Gleitzeit – all das gehört inzwischen zur Normalität in der Arbeitswelt. Aber das reicht jungen Menschen nicht, im Gegenteil: Sie stellen Maximalforderungen, die Arbeitgeber:innen gar nicht erfüllen können.
Um eins klar zu sagen: Es geht an dieser Stelle weder um Überstunden noch um zusätzliche Arbeitseinsätze oder Schichten am Wochenende. Auch sollen sich Eltern ausreichend um ihre Kinder kümmern können, ebenso um ältere Angehörige. Gemeint ist eine angemessene Einsatzfreude für einen ganz normalen Arbeitstag.
Und es geht auch nicht darum, eine Generation pauschal zu kritisieren: Natürlich gibt es unter den Jüngeren karriereorientierte und in hohem Maße einsatzbereite Arbeitskräfte. Aber es gibt eben auch die anderen.
Und die können sich, wenn sie gut ausgebildet sind, ihre Anspruchshaltung leisten: Durch den Fachkräftemangel glauben sie, den Arbeitsmarkt nach ihren Regeln umkrempeln zu können.

Erwerbsarbeit finanziert das Leben

Doch das ist ein Trugschluss. Man muss kein Grundseminar in Wirtschaft besucht haben, um zu ahnen, dass für Menschen ohne reichen Hintergrund ein Leben mit wenig oder ohne Erwerbsarbeit nicht finanzierbar ist. Was nutzt die beste Work-Life-Balance, wenn man Miete, Strom, Gas, Essen nicht bezahlen kann?
In etwa zehn Jahren gehen die sogenannten Boomer, die heutigen 55- bis 60-Jährigen, in Rente. Dann steigt nicht nur der Fachkräftemangel noch einmal rasant an, dann geht auch die von den Jüngeren so heftig kritisierte Arbeitsbeflissenheit der Boomer in Rente.
Und was, wenn dann demografiebedingt noch weniger Menschen als bisher arbeiten und die auch nur vier Stunden am Tag – so wie sich das manche junge Menschen vorstellen?
Die Antwort, die sie selbst auf diese Frage geben, lautet in etwa so: Konsumreduktion, Recycling, Veganismus, kurz: Degrowth.

Degrowth heißt nicht automatisch weniger arbeiten

Die Idee ist an sich völlig richtig. Angesichts der ökonomischen und ökologischen Lage brauchen wir dringend weniger Konsum und weniger Produktion von Gütern. Degrowth muss aber nicht einhergehen mit einer stark reduzierten Arbeitszeit – und darf es auch nicht.

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Denn dann würden kaum noch Busse und Züge fahren, Kitas und Schulen wären nur wenige Stunden am Tag geöffnet, ebenso Lebensmittelgeschäfte und Arztpraxen. Die Lage in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen würde noch katastrophaler sein, als sie jetzt schon ist.
Gern argumentieren die Jungen auch mit einer Umverteilung. Aber weder eine Reichensteuer noch ein bedingungsloses Grundeinkommen werden die Lücke beim Bruttosozialprodukt ausgleichen. Die Einnahmen durch eine Reichensteuer reichen bei Weitem nicht und das Geld für ein Grundeinkommen muss auch erst erwirtschaftet werden. Was also tun?

Gerechtigkeit mit zugewanderten Arbeitskräften

Auch hier gibt es Ideen: den Fach- und Arbeitskräftemangel durch Migration auszugleichen. Grundsätzlich ein richtiger Ansatz. Ohne Zuwanderung dürfte Deutschland in wenigen Jahren in eine ökonomische Schieflage geraten – Degrowth hin oder her.
Eine andere Frage ist, ob die zugewanderten Arbeitskräfte ebenso wie die jüngeren Einheimischen auch nur vier Stunden am Tag arbeiten sollen. Und zudem die Früh-, Spät- und Nachtschichten übernehmen, in denen die anderen auf ihre Work-Life-Balance achten? Wie verträgt sich das mit dem vermeintlich linken Gerechtigkeitsgedanken?
Liebe junge Menschen, vielleicht überdenkt ihr eure Work-Life-Balance noch einmal. Und: Ein WG-Leben mit harten Einschränkungen funktioniert auch nur so lange, wie ihr keine Kinder habt.

Simone Schmollack ist Journalistin, Buchautorin und leitet bei der "tageszeitung" das Ressort taz.de. Ihre Themenschwerpunkte sind Frauen, Familie, Gender, Soziales, Ostdeutschland, Migration/Integration. Ihr letztes Buch „Und er wird es wieder tun“ befasst sich mit Gewalt in der Partnerschaft.

Simone Schmollack lächelt für ein Porträtfoto.
© Barbara Dietl
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