Hélène Gestern: „Schwindel“

Blutleeres Ende einer Liebe

05:38 Minuten
Eine Frau in Schwarz mit wehenden Haaren steht im Gestrüpp.
© Schöffling

Hélène Gestern

übersetzt von Patricia Klobusiczky

SchwindelSchöffling, Frankfurt am Main 2022

96 Seiten

20,00 Euro

Von Manuela Reichart · 17.08.2022
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Über Liebesleid wird viel geschrieben. Die Autorin Hélène Gestern fügt dem literarischen Schmerzgenre eine autofiktionale Erkundung hinzu. Das klingt spannend, bei der Lektüre stellen sich jedoch weder Mitgefühl noch besonderes Interesse ein.
Hélène Gestern bezieht sich gerne auf Annie Ernaux, die sie hier mit der Grundsatzfrage zitiert: „Wo ist meine Geschichte?“ Auf den literarischen Spuren der erfolgreichen Kollegin macht sie sich auf die Suche nach ihrer – nach einer ziemlich gewöhnlich endenden toxischen Liebesbeziehung, die sie für lange Zeit in Verzweiflung gestürzt hatte.
Leider wird aus dieser Recherche anders als bei Ernaux jedoch keine bannende Geschichte, sondern eine Aneinanderreihung von Begebenheiten und Einschätzungen, Beschreibungen und Analysen.

Zurück zu einer alten Liebe

Ein anderes Zitat aus diesem schmalen Band stammt von der englischen Schriftsteller Nancy Mitford: „Liebe unter kaltem Himmel verliert mit der Zeit jeden Reiz.“ Mit diesem Satz entsteht sofort ein Bilderreigen, dem man folgen möchte. Hélène Gestern, die an der Universität von Nancy unterrichtet und sich mit der Gedächtniskraft der Fotografie beschäftigt, möchte man jedoch weder folgen, noch entwickelt ihre Sprache eine Bildmächtigkeit.

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Eine Frau und ein Mann lieben einander. Sie hat sich von ihm getrennt, weil er sich nicht von seiner Frau trennen wollte. Jahre später lässt sie sich wieder auf ihn ein, der inzwischen geschieden, aber mit einer anderen Frau zusammen ist. Sie sehen einander selten. Er ist viel unterwegs, schreibt Mails oder bleibt stumm. „Von den dreihundertfünfzig Tagen unserer Beziehung hat er höchstens ein Dutzend mit mir verbracht.“

Authentizität reicht nicht

Sie wartet und leidet und denkt über ihn und seine Motive nach – und irgendwann ist es vorbei und sie leidet noch ziemlich lange weiter und verkriecht sich in tiefe Traurigkeit. Das mag alles furchtbar gewesen sein, nur wird aus der eigenen Geschichte erst Literatur, wenn aus der behaupteten Allgemeingültigkeit mehr wird als ein ebenso trauriger wie lebloser Text.
Das Problem der gerade besonders beliebten autofiktionalen Literatur lässt sich an diesem schmalen Band besonders gut verdeutlichen. Verbürgte Authentizität reicht nicht. Der begehrte Mann ist genauso blutleer beschrieben wie die Frau, die später von einem zweiten ebenso konturlosen Mann verlassen werden wird, um dann auch mit ihm einige Zeit später erneut zusammenzukommen.

"Ohne Träne und ohne Mühen"

„Ein Mann hat eine Frau geliebt, er hat ihr eine Zukunft versprochen und sie hat daran geglaubt. Er vielleicht auch. Dann hat er das Interesse verloren, es sich anders überlegt und sie verlassen. Ende der Geschichte.“
Das Verfassen dieses Buchs mag der Autorin aus ihrer Krise geholfen haben. Die Leserin nimmt jedoch keinen Anteil am Liebesdrama, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Sätze „ohne Träne und ohne Mühen“ entstanden sind. Für ein Universitätsseminar mag das eine hinreichende Ausgangslage sein, für Literatur ist es zu wenig.
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