Günter Döring

Zeitzeuge der DDR-Polizeiwillkür

Berliner bewerfen einen sowjetischen Panzer in der Leipziger Straße nahes des Potsdamer Platzes in Berlin mit Steinen. Nach Streiks in Ost-Berlin kam es am 17.06.1953 zum Volksaufstand, der von sowjetischen Truppen niedergeschlagen wurde.
Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 © picture alliance / dpa
Von Anja Nehls · 17.06.2015
Günter Döring war am 17. Juni 1953 noch nicht ganz 18, als er mit anderen Bauarbeitern an den Demonstrationen gegen die erhöhte Arbeitsnorm demonstrieren wollte. Polizisten schlugen ihn blutig, und er verschwand für drei Wochen im berüchtigten Gefängnis Keibelstraße. Dort, nach 62 Jahren, übermannen ihn die Erinnerungen.
Die dicke Gittertür geht auf und Günther Döring tritt ein - diesmal freiwillig. 62 Jahre, nachdem ihn die Volkspolizei zwangsweise hierhergebracht hat. 62 Jahre nach dem 17. Juni 1953. Der alte Herr mit den stoppeligen grauen Haaren ist jetzt ganz still. Seine Augen werden feucht:
"Beklemmendes Gefühl. Von der Sache her bin ich am Wasser gebaut worden. Ja. Da kann ich gar nicht. Schon bloß vom Thema her."
Günter Döring ist jetzt knapp 80 alt. Damals war er noch nicht mal ganz 18. Als Maurer in einer Bauarbeiterkolonne hat er in diesen Tagen damals in Berlin-Treptow Fassaden verputzt.
An Politik sei er eigentlich gar nicht so interessiert gewesen, sagt er heute, aber die Arbeitsnorm sollte erhöht werden und mit den Lebens- und Arbeitsverhältnissen in der DDR war er unzufrieden:
" Mit der Ernährungslage und der gesamten Unterkunft. Schlecht auch, dass es kein Werkzeug gab, das musste man sich in Westberlin kaufen, Maurerkelle, Putzerkelle, Hammer. Und der Lohn war 1,53. Der Grundlohn. Da konnten keine großen Sprünge gemacht werden."
Volkspolizisten schlagen Demonstranten blutig
Also ist er dabei, als am 17. Juni in Berlin Mitte zu Demonstrationen aufgerufen wird. Bereits auf dem Weg werden die Bauarbeiter aber von Volkspolizisten der DDR brutal gestoppt:
"Sind in die Masse reingesprungen gleich und haben mich rausgerissen und zugeschlagen. Bumm, bumm. Und der neben mir, das war so ein Großer, der hat mächtig geblutet, aber da hat keiner nach gefragt."
Schwer verletzt wird Günther Döring ins Polizeigefängnis an der Keibelstraße gebracht. Drei Wochen wird er dort festgehalten. Solange, bis die Verletzungen wenigstens ein bisschen abgeheilt sind.
Die Erinnerung an diese Zeit ist sofort wieder da. Langsam geht er auf der Galerie vorbei an den mit grau-grüner Ölfarbe gestrichenen Zellentüren, 7 Stockwerke übereinander, in der Mitte der Galerie ist ein Netz gespannt – niemand sollte herunterspringen.
28 Mann im 14-Bett-Zimmer
Günter Dörng öffnet die Wärterklappe an einer der Türen. Dahinter eine Zwei-Mann-Zelle mit eisernem Stockbett, Klo und kleinem Waschbecken, winzig klein – aber das sei noch Luxus gewesen, sagt er, den Teil des Gefängnisses, in dem er untergebracht war, den gibt es inzwischen nicht mehr:
"Ich war ja im großen Zimmer, 28 Mann im 14-Bett-Zimmer, ohne Ausgang. Nur mit Kaltwasser, ohne Handtuch. Eine Decke. Nicht für jeden, nein, das wäre zu viel gewesen."
Galgenhumor, 62 Jahre später. Viele der Demonstranten vom 17. Juni landen wie Günter Döring im Polizeigefängnis Keibelstraße. Wie viele, weiß niemand genau. Die Häftlinge sprechen wenig, nicht übereinander und nicht miteinander. Die Angst vor der Stasi ist groß. Neben den "politischen" Häftlingen sitzen auch normale Kriminelle im Gefängnis. Für die Demonstranten vom 1. Juni erniedrigend, sagt Döring. Er wird mehrmals verhört. Schuldig fühlt er sich nie.
"Überhaupt nicht. Überhaupt nicht schuldig. Wir sind ja friedlich damals marschiert. Wir hatten ja noch Streikrecht."
Er durfte nicht darüber sprechen
Drei Wochen bleibt der nicht einmal 18-Jährige verschwunden. Niemand wusste in der Zeit, wo er überhaupt war. Auch nach seiner Freilassung darf er nicht über die Zeit im Gefängnis reden, mit niemandem.
"Nicht darüber sprechen. Und die Arbeitskollegen haben nur gefragt, wo, mehr durfte ich nicht sagen. Und selbst Vater zuhause, selbst er nicht."
Auch die Frage seines Vaters, ob er geschlagen worden sei, beantwortet er nicht. Er arbeitet weiter als Maurer, als ob nichts geschehen wäre, aber innerlich ist er ein anderer geworden.
Vor 20 Jahren hat er aus der Hand von Helmut Kohl das Bundesverdienstkreuz bekommen. Stellvertretend für alle, die am 17. Juni auch dabei waren, das ist dem 79-Jährigen wichtig.
Der Besuch im Gefängnis in der Keibelstraße 62 Jahre später hat ihn mitgenommen. Er braucht jetzt erst mal eine Zigarette. Er will wieder zurück. Weg von der Erinnerung, zurück nach Mecklenburg-Vorpommern aufs Land, wo er mit seiner Frau seit vielen Jahren lebt.
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