Elterliche Aufsichtspflicht und Kinderrecht

Ich weiß, wo du bist

30:26 Minuten
Ein Kind bedient eine Smartwatch.
Eine Smartwatch kann auch ein trügerisches Gefühl von Sicherheit erzeugen, sagen Experten. Was ist zum Beispiel, wenn der Akku leer ist? © imago images / PantherMedia / Maor Winetrob
Von Christina Rubarth |
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GPS-Tracker orten Kleinstkinder in Echtzeit, Smartwatches begleiten den Weg zur Schule: Während viele besorgte Eltern die Möglichkeiten zur digitalen Überwachung nutzen, warnen Kinderrechtsverbände vor einer Verletzung der kindlichen Privatsphäre.
Werbespots für smarte Armband-Uhren, smarte Socken und GPS-Tracker versprechen:
„Die neue SoyMomo Space 2.0. Das erste Handy für dein Kind. Mit der GPS-Funktion der Uhr weißt du jederzeit, wo sich deine Kleinen aufhalten und kannst ihren Weg zur Schule oder in den Park in Echtzeit einsehen.“
„Als Eltern sorgen Sie sich ständig, ob es ihrem Baby gut geht. Genau darauf schaut unsere smarte Socke. Sie erfasst die wichtigsten Daten für Wohlbefinden und liefert Ihnen die Werte in Echtzeit.“
„Wäre es nicht schön, jederzeit zu wissen, wo sich Ihre Kinder und Ihre Wertsachen gerade befinden? Häufig ist es nicht so einfach, alles im Blick zu haben und stets aufpassen zu müssen. Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen GPS-Tracker, der Ihnen hierbei hilft. Ein beruhigender Gedanke, oder? Aus diesem Grund haben wir Spotter entwickelt.“
Kann Überwachung Eltern ihre Ängste nehmen und Kinder wirklich schützen? Wie verändern diese technischen Möglichkeiten Kinder, Eltern und ihre Beziehungen untereinander? Welche Probleme und welche Chancen ergeben sich?

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„Es gab schon Situationen, wo ich wirklich froh war, dass ich das hatte“, sagt Mutter Alissa Hitzemann.
„Wenn ich so eine Uhr dran habe, dann kann ich ja direkt schreiben oder telefonieren mit dem Freund. Und wenn jetzt irgendwie so ein Notfall ist, man ist mit seinen Eltern irgendwo und verliert sie dann, da kann man sie auch anrufen zur Not. Wenn man das Handy hat, dann ist das nicht mehr so wichtig, finde ich, so eine Uhr zu haben, aber ich habe noch nicht so ein Handy und deshalb würde ich auch gerne die Uhr haben“, meint Hugo.
„Wir haben uns dann schlussendlich dazu entschieden, vor allem vor dem Hintergrund, dass Lilith die Möglichkeit haben sollte, unkompliziert jemanden von uns zu erreichen. Es gibt ja dann auch noch diese Trackingfunktion, die wir, glaube ich, bisher nur zum Test ausprobiert haben, ob sie einigermaßen zuverlässig ist. Aber wenn man sich jetzt mal den absoluten Ernstfall vorstellt, dann finde ich das eine beruhigende Sache, dass man die Uhr orten kann, an der hoffentlich dann auch noch die Person dran ist“, sagt Vater Timm Theilmann.

Die Smartwatch – der Computer am Handgelenk

In vielen Grundschule gehören Smartwatches inzwischen zum Alltag. Smartwatches sehen aus wie digitale Armbanduhren, funktionieren aber wie abgespeckte Smartphones. Es gibt unauffällige, aber auch knallbunte Uhren, die eher an Spielzeuge erinnern: welche mit Lautsprechern, mit Mikrofonen und Uhren mit SIM-Karte und Datenvolumen, um sich mit dem Internet zu verbinden. Oft sind sie auch mit Schrittzähler, Wetter-App, Kamera und GPS-Tracker ausgestattet. Darüber lassen sich die Uhren lokalisieren. Sie können also ihren Standort übermitteln.
Ifra Diallo, 9 Jahre alt, mag seine dezente, schwarze Smartwatch; besonders, dass sie seine Schritte zählen kann und eine Stoppuhr hat. Aber sie kann noch mehr.
„Ich habe sie, das war in der 2. Klasse, da war Mama mal nicht zu Hause. Da hatte man halt Angst und so. Mit der kann man zum Beispiel anrufen, oder kann ich Nachrichten schicken, aber das mache ich lieber nicht.“
Inzwischen geht Ifra in die 3. Klasse einer Schule in Berlin-Lichtenberg. Sein Schulweg führt ihn über eine große Brücke. Seit gut einem Jahr trägt er für diese Strecke meist seine Smartwatch am Handgelenk.
„Dann hat sie noch eine coole Funktion: Wenn ich hier drauf drücke, ist SOS. Dann wird erst mal Mama angerufen, wenn die nicht rangeht Papa, wenn der nicht rangeht dann Oma. Aber es wird auf jeden Fall jemand rangehen.“
Ifras Mutter Josephine Diallo sagt: Die Uhr schaffte, was sich die Erzieherin erhofft hatte: Sie gab Ifra ein Gefühl von Sicherheit zurück:
„Die Initiative kam von Ifras Erzieherin tatsächlich. Ifra ist ab der 2. alleine nach Hause gegangen, und als ich dann hochschwanger war, war es einfach so, dass er immer ein bisschen Angst hatte, ob ich denn dann vielleicht zu Hause bin, oder nicht, vielleicht ist es losgegangen mit der Geburt. Und da hat er sich eine Zeit lang wirklich überhaupt nicht mehr wohl gefühlt. Waren ein bisschen Panikattacken tatsächlich, sodass die Erzieherin irgendwann gesagt hat: Okay, ihr braucht eine Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu treten. Er muss einmal wissen, ob du zu Hause bist oder nicht.
Kauft ihm ein Handy. Und dann haben wir gesagt, ein Handy finden wir eigentlich nicht so gut, finden wir viel zu früh. Und dann haben Freunde von uns genau diese Uhr gehabt und wir haben ihm dann diese Uhr gekauft. Und sind ehrlicherweise total froh darüber jetzt. Am Anfang haben wir wirklich die gesamte Strecke telefoniert, weil er so Angst hatte, dass niemand da ist, dass ich im Krankenhaus bin, dass das Baby kommt. Und dann haben wir das so peu à peu wieder runtergeschraubt bis zu dem Punkt, wo er jetzt eben einmal kurz anruft und inzwischen sogar wieder alleine zu Hause sein kann.“

Eltern sind immer erreichbar

Nachmittags wechselt der Neunjährige oft zur klassischen Armbanduhr. Andere Kinder, beobachtet seine Mutter, nutzen die Smartwatch ständig, um ihre Eltern um Hilfe zu bitten.
„Dann gab's wirklich eine Situation, wo die Kinder bei uns im Garten gespielt haben. Und dann ist der Junge irgendwie nicht über den Zaun geklettert und hat seinen Papa angerufen anstatt halt dann so wie mein Sechsjähriger sich die Gartenbank zu nehmen und dann über den Zaun zu klettern.“
Ein Beispiel dafür, wie die ständige Erreichbarkeit der Eltern den Weg in die Selbstständigkeit bremsen kann. Joachim Radtke ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und leitet das Institut für Verhaltenstherapie Berlin. Er empfiehlt Eltern:
„Mal für sich überlegen: Was möchte ich erreichen, was möchte ich mit meinem Kind erreichen, was möchte ich meinem Kind mit auf den Weg geben, was soll es lernen? Und ein wichtiges Erziehungsziel wäre zum Beispiel, dass ein Kind eben in der Lage ist, auch eine Entscheidung zu treffen, unabhängig von den Eltern, auch wenn Eltern sich zum Teil geschmeichelt fühlen, wenn sie gebraucht werden, ist ja auch nachvollziehbar, ist auch verständlich. Und es ist in einem gewissen Rahmen natürlich auch in Ordnung.“

Smartwatches beeinflussen die Eltern-Kind-Beziehung

Aber ein Kind müsse auch lernen, eigene Entscheidungen zu treffen; auch falsche, an denen es wachsen kann.
„Auch das ist ein wichtiger Punkt, dass man auch die Erfahrung macht zu scheitern, eben nicht ein Problem sofort gelöst zu bekommen und das auch auszuhalten. In unserem späteren Leben in Partnerschaft, Berufen usw. werden wir diese Situation zigfach antreffen, wo uns das auch manchmal so geht. Das ist eben wichtig, tatsächlich nach hinten raus fürs Leben, das auszuhalten, zu lernen, das auszuhalten und dann nicht eine sofortige Problemlösung auf den Punkt sozusagen zu erfahren. Das gehört leider dazu.“

Und wenn ich mich schlecht fühle oder in der Schule etwas passiert, kann ich sie schnell mit dem SOS-Knopf anrufen. Mit SoyMomo sind wir alle miteinander verbunden. Meine Eltern sind glücklich und beruhigt, weil sie auf uns aufpassen können.

Werbung für SoyMomo-App

In den meisten Schulen gilt: Handys aus oder im Flugmodus, im Ranzen verstaut. Auch Smartwatches müssen in den sogenannten Schulmodus geschaltet werden, sagt Hanno Rüther. Er ist Zweiter Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung in Berlin und leitet eine Grundschule. Seine Schüler und Schülerinnen dürfen ihre Geräte erst wieder nutzen, wenn sie das Schulgelände verlassen haben. Der Pädagoge sagt: Peilsender und tracking-fähige Smartwatches haben Eltern-Kind-Beziehungen stark verändert. Seine Beobachtung: Das Vertrauen in die Kinder auch kleinere Aufgaben selbstständig zu bewältigen, sinkt.
„Ein Vater rief ganz aufgelöst im Laufe der ersten Stunde hier im Sekretariat an. Das Kind habe sich nicht gemeldet, dass es heile an der Schule angekommen sei. In diesem Fall hatte das Kind, weil es hatte irgendwie Spielkameraden getroffen vor der Schule, das schlicht vergessen. Dass dieser pflichtgemäße Anruf dann stattfinden muss, das ist schon ein Ausdruck mangelnden Vertrauens: sowohl in die Fähigkeiten des Kindes als auch, ja, in die eigenen Fähigkeiten der Eltern, das Kind so zu erziehen oder ihm das beizubringen, dass es den Weg zur Schule halt meistern kann.“
Joachim Rosenbergers Kinder sind eins, fünf und sechs Jahre alt. Für die beiden größeren kann er sich einen Tracker vorstellen.
„Ich glaube schon, dass heute irgendwie der Alltag in Familien sehr viel besser funktionieren muss, und dass man auch gar nicht mehr den Kindern die Zeit gibt, sich mal zu verlaufen, noch mal einen anderen Weg zu nehmen, weil man irgendwas Spannendes entdeckt.“
Die Gegend rund um das Haus der Familie im Süden Berlins sieht friedlich aus. Der Vater möchte, dass sich seine Kinder hier frei bewegen können – auch wenn sich ihre Kindheit stark von seiner eigenen unterscheidet – ohne „soziale Überwachung“, wie er es nennt.
„So in den 50er-Jahren gab's immer eine Mutter, eine Oma, eine Tante, die wusste, wo sich die Kinder aufhalten. Wenn an die Stelle von dieser sozialen Überwachung jetzt eine technische Überwachung übernehmen könnte, dass die Kinder wieder selbstständiger um die Häuser ziehen und die Stadt selbstständiger erkunden, dann fände ich das eine wirklich hilfreiche Innovation.“

Welche Rechte haben Kinder?

Noch ist so ein Gerät, mit dem er die Kinder orten und online ihre Wege nachverfolgen kann, für ihn nur ein Gedankenspiel.
„Wenn jetzt die Kinder sagen würden, sie wollen das nicht, dann würde ich das respektieren. Wenn das so ist, dass die Kinder sagen: Ja gerne, wenn ich dadurch mal die Wege allein zur Schule oder allein zum Spielplatz austesten kann. Dann würde ich das in Erwägung ziehen, eben den Kindern zu kaufen. Wenn das soweit ist, dass die Kinder die Fähigkeit haben, um Gefahrenquellen besser einschätzen zu können, Verabredungen einzuhalten, dann würde ich das technische Hilfsmittel beiseitelassen und ihnen die Freiheit geben, sich ohne diese Art von Überwachung oder Kontrolle zu bewegen.“

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„Ich beobachte, dass es bei vielen Eltern so diese reflexartige Reaktion gibt bei technischen Innovationen erst mal die Gefahren zu sehen und Ängste zu haben so schwierig, weil ich schon finde, dass sich gerade zum Beispiel durchs Tracking auch enorme Chancen auftun können für Kinder, sich wieder freier in Städten zu bewegen.“
Tobias Postulka ist studierter Psychologe und Technikphilosoph. Er klärt Kinder und Jugendliche über ihre Rechte auf in einer zunehmend digitalisierten Welt.
„Es kann tatsächlich auch sein, dass Kinder sich in dem Bewusstsein, meine Mama, mein Papa weiß ja, wo ich gerade bin, durch die Verwendung einer solchen Uhr oder eines Trackers ja auch wirklich sicherer fühlen.“
Seine medienpädagogischen Projekte begann er mit dem Angebot von Internetführerscheinen – auch für Eltern. Es folgten Workshops zum sicheren Umgang mit Smartphones. Die Diskussionen pro und contra Überwachung kennt er und spricht von einem Dilemma, in dem sich Eltern befinden.
„Minderjährige Kinder unterliegen ja der Aufsichtspflicht durch ihre Eltern und andererseits sollen die natürlich auch – so will es übrigens auch das Kinder- und Jugendschutzgesetz und der Gesetzgeber in der Rechtsprechung – möglichst altersgemäß eine große Selbstständigkeit und Selbstverantwortung erlangen. Dilemma heißt also jetzt, Kinder können nicht – nach der jetzigen Gesetzeslage – vollständig darauf pochen: Du darfst das nicht. Ich bin noch frei, und ich habe eben Kinderrechte.
Auf der anderen Seite haben wir das widersprechende Gesetz, dass die Eltern eben auch eine Aufsichtspflicht haben und eben für die Kinder auch verantwortlich sind. Und irgendwo dazwischen bewegt sich halt im Einzelfall das richtige Maß an Freiheit des Kindes und Verantwortungsbewusstsein der Eltern.“
Grafik: Eltern bauen Backsteinmauer um den Sohn herum, der ein Smartphone in der Hand hält.
Bei all der Sorge der Eltern und der Fürsorgepflicht – auch für Kinder und Jugendliche gelten Grundrechte.© imago images / Ikon Images / John Holcroft
Kurz gesagt: Die Rechte der Kinder und die Pflichten der Eltern können miteinander in Konflikt geraten.
Die Website „kinder-ministerium“ des Bundesfamilienministeriums klärt altersgerecht auf:
„Die Sache mit der Privatsphäre funktioniert ein bisschen so wie eine Schatzkiste. In meine Schatzkiste lege ich alles rein, was keiner sehen soll. Wir haben also ein Recht auf Geheimnisse, könnte man sagen. Manchmal dürfen sich unsere Eltern in unsere Privatsphäre einmischen. Denn sie müssen uns beschützen.“
Auch für Kinder gelten die Grundrechte nach Artikel 2 Absatz 1 im Grundgesetz. Dort verankert sind die Kinderrechte noch nicht. Doch auch die UN-Kinderrechtskonvention verleiht Kindern ein Recht auf Privatsphäre.
„Kein Kind darf willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung oder seinen Schriftverkehr oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.“

Ein Abwägen von Rechten und Pflichten

Eltern hingegen können sich berufen auf ihr Recht auf Erziehung, auf die Personensorge für ihr Kind. Letztendlich müssen Eltern also abwägen zwischen allgemeinem Persönlichkeitsrecht des Kindes und Schutzrechten und Fürsorgepflicht der Eltern. Das heißt: Eltern machen sich nicht strafbar, wenn sie ihr eigenes Kind tracken und es davon weiß.
„Für den digitalen Raum ist es natürlich umso deutlicher oder dringender, dass natürlich auch dort das Recht auf Privatsphäre zum Beispiel gilt. Wir wissen, dass die Kinderrechte bei Kindern wie Erwachsenen insgesamt noch viel zu wenig bekannt sind. Wir sehen das auch als eine Aufgabe von Schule und Bildung an, Kinderrechte gegenüber Kindern in dem Fall zu vermitteln, aber natürlich muss auch die Informationsarbeit gegenüber Eltern erfolgen, damit auch diese wissen, welche Rechte ihre Kinder haben“; sagt Torsten Krause, Wissenschaftler für Kinderrechte beim Deutschen Kinderhilfswerk.

Außerdem können Sie eine Sicherheitszone definieren. Wird ihr Kind diesen Bereich verlassen, dann werden Sie hierüber informiert. Sorgen über alles, was Ihnen lieb und teuer ist, gehören fortan der Vergangenheit an. Mit dem Spotter GPS-Tracker.

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Sorglose Eltern dank GPS-Tracker? – Auch dieser Werbespot erinnert Eltern an ihre Ängste: Dass das Kind nicht in der Schule ankommt, sich auf dem Nachhauseweg vom Sport verläuft oder gar Opfer einer Straftat wird. Die polizeilichen Kriminalstatistiken von 2017 bis 2021 benennen einen bis sieben gemeldete Fälle von Opfern erpresserischen Menschenraubs bei unter 14-Jährigen pro Jahr.
Das ist die objektive Wahrheit. Die subjektive ist oft eine andere; beeinflusst durch Werbung, die eine höhere Sicherheit durch technische Hilfsmittel verspricht. Vielen Kindern werde beigebracht, nicht mit Fremden zu sprechen, sagt der Kinderrechtsexperte.
„Damit produzieren wir selber sozusagen Unsicherheiten und Ängste in unserer Gesellschaft, die in den allermeisten Fällen nicht begründet sind; und distanzieren uns damit gegenseitig voneinander. Das betrifft ja nicht nur Kinder und Erwachsene, das betrifft auch Erwachsene untereinander. Heutzutage weiß ja kaum noch jemand, wer mit einem im selben Mietshaus wohnt. Oder was in der Nachbarwohnung eigentlich los ist.“

Vertrauen statt Smartwatch

Statt sich mit Technik zu beruhigen – vielleicht sogar heimlich sollten Eltern Vertrauen aufbauen, sagt er. Statt zu kontrollieren, im Gespräch bleiben und erfahren: Was bewegt mein Kind, wo verbringt es seine Zeit, welche Wege legt es zurück? Und Eltern sollten sich fragen: Was fangen sie mit den Informationen an, die sie gewinnen? Ein Verbrechen zum Beispiel können sie aus der Entfernung nicht verhindern.
„Und wenn ich das kontrolliere, glaube ich, ist das Wichtigste, dass Transparenz darüber herrscht, dass das nachvollzogen wird und dass das nicht im Geheimen geschieht, und dass dann, wenn Abweichungen auftreten, beispielsweise vom Schulweg, bei mir als Elternteil nicht sofort die Alarmglocken schrillen, sondern dass ich mir dann einfach vornehme:
Dann frage ich abends einfach, was los war. Und wahrscheinlich war es etwas ganz Banales, und wir reden drüber und alles ist in Ordnung. Deshalb sollte man immer abwägen, also ob man wirklich einen Nutzen, einen Mehrwert davon hat, oder ob das nicht zu weiteren Besorgnissen und Kummer sozusagen beiträgt.“

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Größtmögliche Sicherheit fürs eigene Kind – der Wunsch vieler Eltern. Die Werbung nutzt ihn aus und verspricht Sicherheit per Kontrolle. Vorgetäuschte Sicherheit. Denn: Die Batterie einer Smartwatch hält nicht ewig, ein Tracker findet in ländlichen Gebieten vielleicht kein Netz, um Ortsangaben zu senden. Kurz: Vor vielen Gefahren kann eine Smartwatch oder ein GPS-Tracker nicht schützen, sagt Ferdi Sezer, Personenschützer und Ausbilder des privaten Bewachungsdienstleisters „Sicherheitsinstitution Berlin“.
„Immer wenn wir einen Auftrag annehmen oder ein Schutzkonzept erstellen, entwickeln wir „Täterfantasien“ und überlegen, wie potenzielle Täter an die Sache rangehen würden. Würden wir jemanden entführen, wäre das Erste, was wir tun, die Person nach einem GPS-Tracker abtasten und diesen entfernen.“
Dann würde, klar, der Tracker nicht mehr helfen. Dazu kommen ganz alltägliche Probleme, weiß Ferdi Sezer aus Erfahrung: Kinder können die Uhr ablegen, den Peilsender verstecken oder einfach verlieren. Sich nur auf einen Tracker verlassen – das würde er nie, sagt Ferdi Sezer.
„Ganz einfaches, klassisches Beispiel: Eine Familie ist im Urlaub, auf einem Basar, viele Menschenmengen, es wird gedrängelt, man dreht sich kurz um, ist dabei mit dem Verkäufer zu verhandeln, dreht sich zurück: Das Kind ist plötzlich nicht mehr da. Was tun viele, wenn sie wissen, das Kind hat einen GPS-Tracker?
Zücken das Smartphone und wollen das Kind orten. Das bringt aber nichts, wenn man dann plötzlich feststellt, der GPS-Tracker liegt noch im Hotel oder ist deaktiviert, weil zum Beispiel vergessen wurde, den Akku aufzuladen. Deswegen ist Sichtkontakt immer noch das Wichtigste.“

Babys unter Kontrolle

Sabine Kroh arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Hebamme. In den letzten Jahren hat die technische Überwachung bei ihrer Klientel zugenommen, sagt sie. Aus der Sorge heraus, alles, wirklich alles richtig zu machen – notfalls mit allen greifbaren technischen Hilfsmitteln, zum Beispiel bei völlig gesunden Neugeborenen.
„Teilweise so eine Art Elektroden, die man den Kindern auf die Brust klebt und natürlich dann noch dazu Tracking-Apps: Wie viele Stunden hat das Kind geschlafen, Still-Apps, also wie oft man es anlegt und wann und wie lange. Und es wird alles irgendwie mega ausgewertet. Ich finde es erschreckend, weil die Eltern natürlich völlig verlernen, eigentlich mal hinzugucken, sich danebenzusetzen, das Kind zu beobachten.“
Offenbar gibt es ein großes technisches Kontrollbedürfnis, angefacht durch Empfehlungen auf Google, Instagram oder Facebook.
„Das wird gerne angenommen, weil es ist im Prinzip so: Ich mache alles richtig, wenn ich's mache, wenn ich's nicht mache, mache ich was falsch, ich verpasse was.“

Es war einmal in einer dunklen Nacht in einem kleinen Bettchen. Dort schlief eine kleine neugeborene Prinzessin. Im Nebenraum schliefen der König und die Königin. Die Königin hatte in der Nacht einen sehr unruhigen Schlaf. Sie wachte immer wieder auf mit Bedenken, ob ihre kleine Prinzessin gut schläft. Am frühen Morgen schlief die Königin endlich tief ein. Die Prinzessin schläft auch tief. So tief, dass sie vergaß zu atmen.

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Ein Werbespot für ein Überwachungsgerät namens „Nanny“. Der Atmungsmonitor soll Alarm schlagen, wenn das Baby zum Beispiel 20 Sekunden lang nicht einatmet und es vor dem plötzlichen Kindstod schützen.

Und dank Nanny leben wir bis heute zu dritt zufrieden in unserem Königreich.

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Sabine Kroh kennt Schwangere, die die Herztöne ihres ungeborenen Kindes zu Hause selbst messen, Eltern, die ihren völlig unauffälligen Säugling mit Geräten ausstatten wie auf der Intensivstation.
„Das Schrägste war, dass das Kind in seinem kleinen Beistellbettchen im Wohnzimmer stand, und dass die Überwachung über den Riesenbildschirm übertragen wurde. Das Kind lag neben der Mutter auf dem Sofa in seinem Bettchen, und auf dem Riesenscreen war das alles noch mal zu sehen. Und da wurde dann angezeigt: Herztöne so, Atmung so, Temperatur so ...“
In solchen Situationen kritisiert Sabine Kroh nicht, sagt sie, weil die Eltern offensichtlich ein Bedürfnis haben, das sie ihnen nicht absprechen will.
„Aber man kann es ansprechen, ohne es zu bewerten und die Frau so abzuwischen und zu sagen: Hä, das brauchst du alles gar nicht, zurück zur Natur, sondern einfach zu fragen, was versprichst du dir davon?“
Johann öffnet den Klettverschluss seines Geldbeutels und zeigt seinen Airtag. Er ist in etwa so groß wie eine zwei Euro-Münze: Ein digitaler Schlüsselanhänger, der Standort-Informationen per Bluetooth verschickt. Johanns Mutter kann so verfolgen, welche Wege Johann geht, wo er sich gerade aufhält.

Tracking-App als tägliche Hilfe 

„Ich habe ihm das auf dem Handy gezeigt. Da kommt halt dieses kleine Icon mit der Brille, weil er ein Brillenträger ist, und er weiß auch, wie das so im Groben funktioniert. Natürlich nicht die technischen Details, aber dass er sagt, wenn er das Ding dabei hat, dann kann ich ihn finden.“
Patricia Habilds Sohn ist zehn Jahre alt und wurde mit Downsyndrom geboren. Als Johann noch jünger war, erkundete er die Nachbarschaft in einem größeren Radius, als er mit seiner Mutter verabredet hatte.
„Johann hat durch das Downsyndrom auch eine Weglauftendenz über Monate oder Jahre gehabt. Wir hatten halt mit Johann so Situationen, dass er uns – er ist gut auf dem Fahrrad unterwegs – zwei Kilometer, in einen Nachbarort gefahren und hat sich dann aufs Boot gesetzt am Jachthafen und hat sich abgeleint und ich kam nicht hinterher und wusste überhaupt nicht, wo er ist. Das sind so Situationen, wo man sagt, man muss eine Lösung finden. Da geht es einfach nicht mehr ohne irgendwelche Hilfen.“
Ein Handy kommt bis heute nicht infrage: zu groß die Gefahr, dass Johann ständig seine Eltern anruft, den Notruf wählt.
„... und dann kamen diese AirTags auf den Markt und dann war das sofort die Lösung für uns, um dann zu sehen, wo er abgeblieben ist. Ich meine, er ist zehn, er ist jetzt 4. Klasse, jetzt möchte ich auch, dass er lernt, alleine zu gehen. Und damit noch ein bisschen Kontrolle zu haben, dass alles gut läuft, hat er das AirTag noch mit im Schulranzen oder im Portemonnaie.“
Gerade war Johann auf Klassenfahrt in einem Bungalowpark an einem See. Auch da hatte er seinen Tracker dabei – abgesprochen mit den Lehrern und Lehrerinnen und den Kindern der Klasse. Für Situationen, an die vorher vielleicht niemand denkt.
„Er ist da auch einmal abhandengekommen und hat sich einfach in die Nachbarhütte gelegt. Er dachte, es wäre sein Bett, aber es war vom Nachbarn, und da war das schon ganz praktisch, das dabei zu haben.“

Abhören, Daten sammeln, ausspähen

Technik kann in bestimmten Kontexten hilfreich sein. Sie kann aber auch missbraucht werden. Eltern dürfen die Wege ihrer Kinder nicht heimlich nachverfolgen oder sie über deren Smartwatch-Mikrofone unbemerkt abhören. Die Bundesnetzagentur hat Geräte mit Abhörfunktion 2017 verboten, weil sie ohne zwingenden Grund in die Rechte des Kindes und zudem in die Rechte Dritter eingreifen konnten – je nachdem, wer sich in Abhörreichweite aufhielt. Hersteller konnten zuvor massenweise private Daten sammeln.
Das unabhängige Prüfinstitut für Sicherheitsprodukte AV-Test aus Magdeburg testet regelmäßig trackingfähige Smartwatches auf ihre Sicherheit und weist Anbieter auf Sicherheitslücken hin. 2019 entdeckte das Institut eklatante Sicherheitslücken bei einer Smartwatch eines chinesischen Herstellers. Sie speicherte Daten von mehr als 5000 Kindern ungeschützt auf einem Server in China: Positionsdaten, Fotos, Sprachnachrichten, Adressen, darunter Datensätze zu 420 deutschen Konten. Auch bei fast allen anderen von ihnen getesteten Modellen gibt es irgendein Datenleck, sagt AV-Test-Sicherheitsexperte und Diplom-Informatiker Eric Clausing.
„Wenn man das natürlich, diese ganzen Daten zusammennimmt, lässt sich da natürlich schon ein ziemlich genaues Bild über denjenigen ja malen quasi, den man da an diesem Tracker quasi angehängt hat.“
Ganz klar: Eltern, die ihre Kinder mit digitalen Geräten ausstatten, sollten genau wissen, worauf sie sich einlassen. Die Datenschutzerklärungen der Anbieter seien oft unzureichend und intransparent, sagt Eric Clausing.
„Oft ist es auch so, dass wir auch sehen, dass Daten erfasst werden, die nicht erwähnt werden in der Datenschutzerklärung. Für Laien ist natürlich die technische Sicherheit von so einem Gerät ziemlich schwer zu bewerten, sag ich mal. Wenn man jetzt natürlich gerade ein Modell im Blick hat, wozu es halt irgendwelche Sicherheitsanalysen gibt, das sollte man auf jeden Fall gucken, recherchieren, ob man da eventuell den Tracker, den man da gerade angepeilt hat, ob's da vielleicht schon irgendwelche Testanalysen oder Ähnliches gibt.“

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In der Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union heißt es: „Kinder verdienen bei ihren personenbezogenen Daten besonderen Schutz“ – weil sie Risiken und Folgen der Verarbeitung ihrer Daten noch nicht abschätzen können. Auch vielen Eltern fehle es an Wissen, sagt Isabel Zorn, Professorin für Digitalität und soziale Transformation an der Fachhochschule Köln.
„Die technischen Möglichkeiten von Datenerhebung sind aber vielen Erwachsenen nicht bewusst. Wir wissen, dass generell in der Bevölkerung das konkrete Wissen über technische Möglichkeiten, über technische Datenerhebung, über Verarbeitungen nicht ausreichend groß ist und auch derzeit gar nicht ausreichend groß sein kann. Es wissen ja oftmals nicht mal Mitarbeiter der großen Technologiefirmen, was technisch in sechs, sieben, acht Jahren möglich sein wird. Das können Laien gar nicht gut wissen.“
Isabel Zorn will deshalb Eltern sensibilisieren, die Daten ihrer Kinder nicht nur jetzt, sondern auch für die Zukunft im Blick zu haben.
„Wir wissen nicht, was aus Kindern wird, wenn sie Erwachsene werden. Und wir wissen nicht, in welchem politischen System und Verhältnissen Kinder leben werden, in welchen ökonomischen Verhältnissen Kinder leben werden. Das heißt, dass wir als Erwachsene den Kindern das Recht ermöglichen sollten, möglichst viele Entwicklungsbereiche zu haben, Entwicklungsmöglichkeiten zu haben und nicht zu viele Daten preiszugeben, von denen das Kind später als Erwachsener nicht möchte, dass die in der Welt kursieren. Wenn es dann nämlich Bundespräsidentin geworden ist.“

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Am Ende, meint Joachim Radtke, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und Leiter des Instituts für Verhaltenstherapie Berlin, bedeutet das…
„... dass man auch darauf achten muss, dass Eltern da nicht versuchen, ihre eigenen Sorgen und Ängste dadurch ja zu reduzieren und dem so zu begegnen, weil das ist was, was nicht funktioniert. Und da würde ich dann eher empfehlen, doch einen anderen Weg zu suchen mit seinen Sorgen und Ängsten umzugehen, als die Kinder sozusagen dann zu kontrollieren und da auch eine trügerische Sicherheit herzustellen. 
Im Grunde ist es ja dann oft nur eine Illusion davon, weil das ja nicht stattfindet. Also Eltern können ja dann trotzdem nicht reagieren. Die können trotzdem nicht in bestimmten Situationen helfen, haben aber vielleicht das Gefühl, dass dem so wäre. Da habe ich große Zweifel dran.“

Die Erstausstrahlung des Features war am 14. November 2022.

Autorin: Christina Rubarth
Redaktion: Franziska Rattei
Regie:
Friederike Wigger
Technik: Christoph Richter
Sprecher: Joachim Schönfeld

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