Ein albtraumatischer Trip

Von Barbara Wiegand · 25.06.2005
Der Rohkunstbau macht mit seiner neuen Schau "Kinderszenen" die Geschichte seines Gebäudes selbst zum Thema. Das im Spreewald gelegene Wasserschloss diente 50 Jahre als Kinderheim. Die Arbeiten der internationalen Künstler zum Thema Kindheit sind oft genug ein albtraumatischer Trip.
Kurator Mark Gisbourne: " Es ist eine Reise in die Geschichte der vergangen 50 Jahre des Hauses, eine Reise in unsere Erinnerung. Und die Schau erinnert uns daran, dass unsere Erinnerungen nie dieselben bleiben. Dass sie sich verändern, jedes Mal, wenn wir uns erinnern. Also, wenn man zurückblickt, geht es nicht um das, was wirklich geschehen ist. Es geht nur um die Erinnerung. "

Doch diese Reise in die Erinnerung, wie Kurator Mark Gisbourne die diesjährige Rohkunstbau-Ausstellung beschreibt, ist oft genug ein albtraumatischer Trip. Und kein im Nachhinein immer schöner eingefärbter Blick zurück.

Laura Fords bis über den Kopf in gestreiften fünfziger Jahre Anzügen steckende Kinder schlafwandeln ruhelos in der Eingangshalle. Und lassen die bange Frage aufkommen, ob sie mit ihren verhüllten Gesichtern, den spitzen Ohren, den klauenartigen Füßen, wirklich Kinder sind ...

Der im schmuckvollen ehemaligen Musikzimmer aufgestellte Kleiderschrank steht zwar einladend offen, ist aber doch ein unmögliches Versteck. Denn Via Levandowsky hat in den Schrank eine Wand eingebaut und ihn dadurch so geteilt, dass die Türen sich nie mehr schließen lassen. In Marcel Dzama pittoresk absurden Zeichnungen lernen Bäume laufen, mutieren Bären zu Kontrabassspielern, werden Hirsche oder Köpfe zu Sitzgelegenheiten.

Die Grande Dame der Skulptur, Louise Bourgeois, versucht mit wortbestickten und mit Familienfotos bedruckten Leinentüchern dass vom Vater verlassen werden aufzuarbeiten.

Und Sergej Bratkov füllt die Wanne des ehemaligen Badezimmers mit makabren Mord und Totschlag- statt niedlichen Kinderszenen – mit Fotos von kleinen Messerstechern und Pionieren, die ihren Gruppenführer im wahrsten Sinne des Wortes festnageln – ein hemmungslos übertriebenes Spiel mit abgrundtiefen Fantasien. Und mit der Vergangenheit des Hauses als Kinderheim

Kurator Arvid Boellert: " Wir entwickeln uns weiter und wir konzentrieren uns weiter. Und deshalb ist es für uns auch erstmal wichtig, dass man sich mit dem Ort selbst noch mal vertraut macht und mit der Geschichte. Und es war nun mal 50 Jahre lang ein Kinderheim. Und was wäre besser, wenn nicht Schumanns Kinderszenen, die ja sich erinnern an Kindheit. Also ein Erwachsener erinnert sich an Kindheit. Was wäre besser, wenn nicht diese Werke und es sind eben 13 Stücke, es sind 13 Räume, die wir hier maximal bespielen können. Und es sind 13 Künstler in diesem Jahr. "

Haschemann, Träumerei, Kuriose Geschichte, die so überschriebenen Kunsträume sollen vor allem auch sinnlich erfahrbar sein. Begreifbar gar. Wie Michael Kutschbachs molekülförmige weiße, kugelige Haufen, verteilt auf einem mit genauso weißem Teppich ausgelegtem Raum im ersten Stock. Kühl glatt an Keramik erinnernde und doch aus Kunststoff geformte Gebilde, die einem im Traum erscheinen mögen und in eine von fremdartigen Wesen bevölkerte Welt hineinschauen lassen.

" Es ist nicht direkt ein Ort der Träume. Es bezieht sich auch auf die Architektur. Und vor allem ist es ein Raum, der einen Blick in mögliche andere Realitäten freigibt. "

Sinnlich, ja noch mehr, nämlich interaktiv, dass Kaschperltheater der Gruppe Fur. Als Volkskunst, also Kunst für Jedermann bezeichnen die beiden die dann doch aber kaum mehr als verspielte Puppenschlägerei.

Nicht nur "Fast zu ernst", wie der Titel des zugeordneten Klavierstücks von Schumann, vielmehr fast unerträglich ernst dagegen die Arbeit der Gebrüder Chapman. In Kinderaugenhöhe sind Bilder aneinandergereiht – lustige Kinderbuchzeichnungen konfrontiert mit Szenen aus Goyas Zyklus "Desastres de la guerra". Gerippe, verklumpte geschundene Körper treffen auf harmlose Hundefigürchen, einem Kind ist ein Hakenkreuz in den Kopf gedrungen an dessen rotierenden Enden Teddies und andere Kuscheltiere aufgehängt sind.

Ein bedrückend entdeckungsreicher Verweis auf deutsche Geschichte und darüber hinaus auf die immer wiederkehrende Geschichte vom Schrecken des Krieges und einer der Unschuld beraubten Kindheit. So dass man erleichtert mit den Jungen und Mädchen auf den Bildern von Cornelius Völker aufwacht und zurückkehrt in die Gegenwart. Und sich dort im ehemaligen Schlafsaal stehend der Besonderheit des Rohkunstbaus einmal mehr bewusst wird.

Arvid Boellert: " Das ist ja ein Entstehungsprozess. Wenn man durchgeht durch diese Ausstellung, dann ist das nicht so, dass der Kurator im Atelier gesessen hat und sich die Werke ausgesucht hat. Vielmehr macht er das Schlimmste, was ein Kurator machen kann. Es ist eher wie ein Film oder ein Theaterstück. Man geht zu dem Schauspieler, hier dem Künstler hin, sieht sich Arbeiten an und redet mit ihm. Und dann kommt das, was eigentlich eine Katastrophe ist für den Kurator. Er fordert die Künstler auf, etwas Neues zu realisieren. Dabei weiß man gar nicht, worauf man sich einlässt. Es ist ein massives Risiko. Das kann auch richtig daneben gehen. Das ist es in diesem Jahr aber so richtig gar nicht."

Und wirklich – man hat gewagt. Und gewonnen. Denn auf dem Rundgang durch das Großleuthner Wasserschloss wird man mitgenommen auf eine unterhaltsame, auch nachdenklich stimmende Reise zurück in die Vergangenheit des Hauses, in die Erinnerung der Künstler und in die eigene Erinnerung ...

Service:

Der XII. Rohkunstbau "Kinderszenen - Child's Play" mit internationaler zeitgenössischer Kunst ist vom 26. Juni bis 28. August 2005 im Wasserschloss Groß Leuthen zu sehen.

Link:

Rohkunstbau
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