Freiheit unterm Deckel

Von Barbara Wiegand · 08.07.2006
Das Thema "Freiheit" beschäftigt in diesem Jahr die Künstler in Groß Leuthen. Mit Costa Veces hart an der Grenze zur Plakativität errichteten Wellblechmauer, die gleich in der Empfangshalle des Rohkunstbaus den freien Zugang zur Ausstellung behindert, gibt es auch das politisch ambitionierte Werk zum Thema. Und es gibt laute Provokation - oder leise Ironie.
Leise plätschern die Wellen gegen das Ufer, ein am Steg vertäutes Ruderboot schwankt sacht in ihrem Rhythmus, Bäume werfen ihre Schatten auf die vom Wind leicht gekräuselte Wasseroberfläche - ein sommerlicher Blick von der Schlossterrasse über den Groß Leuthener See, der sich in einer im Kaminzimmer des Gebäudes aufgehängten Fotografie auf ganz eigene Art widerspiegelt: Über ein Jahr lang hat der Berliner Michael Wesely diesen Seeblick ins Visier seiner Einlochkamera genommen und mit dieser Langzeitbelichtung den Lauf der Zeit mit unserer Vergänglichkeit in nur einem Bild festgehalten.

Während sich die Sonnenbahnen als gleißend schräge Striche über den Himmel spannen, die nur schemenhaft zu erkennenden Möbel auf der Terrasse vom vergangenen Sommer zeugen und man auf dem Wasser eisige Spuren des Winters entdeckt, hat sich der Mensch aus Weselys Bildern verflüchtigt. Er agiert zu schnell für die lange Belichtungsdauer und bleibt nur in unserer Erinnerung gegenwärtig. Weselys Fotografie ist eine von mehreren fast poetisch, stillen Arbeiten, die auf den ersten Blick nicht recht zum diesjährigen Rohkunstbau-Thema "Freiheit" passen wollen. Doch für Kurator Mark Gisbourne gehören sie durchaus zu diesem ersten Teil der Trilogie "BlauWeißRot" - Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit:

"Wir haben eine didaktische Annäherung an das Thema vermieden. Ich habe zu den Künstlern gesagt: 'Es geht nicht um das Recht auf Freiheit. Es geht vor allem auch um das Gefühl frei zu sein.' Wenn man sich nicht frei fühlt ist man nicht frei. Es geht auch um die Ketten, die wir uns heutzutage immer häufiger selbst anlegen, die Grenzen, die wir ziehen in einer Art Selbstzensur. Damit setzen sich viele Arbeiten auseinander."

Mit Costa Veces hart an der Grenze zur Plakativität errichteten Wellblechmauer, die gleich in der Empfangshalle des Rohkunstbaus den freien Zugang zur Ausstellung behindert, gibt es auch das politisch ambitionierte Werk zum Thema Freiheit. Und es gibt laute Provokation - oder leise Ironie.

Die US-Amerikanerin Hannah Dougherty etwa hat sich erstmals ganz vom Tafelbild gelöst und im ersten Stock des Wasserschlosses eine Art Wolkenkuckucksheim installiert, in der die Vogelfreiheit ein Zuhause bekommt. Eine Laubsägearbeit, die mit den vielen, jedoch kaum verschiedenen Vogelhäuschen auch das architektonische Einerlei des menschlichen Traums vom eigenen Heim auf die Schippe nimmt.

"Sicher geht es auch um das Spiel mit dem Klischee des bastelnden Heimwerkers. Aber darüber hinaus habe ich mich auch gefragt, warum diese Vogelhäuschen eigentlich aussehen wie Häuser von Menschen und warum es überhaupt so etwas gibt? Die Vögel haben ja schließlich ihre Art von Häusern, ihre Nester gebaut, lange bevor wir Menschen auf die Idee kamen. Es ist schon irgendwie absurd, wie wir versuchen, die Natur unserer Welt anzupassen."

Etliche Nummern derber geht es bei den zwei "Blue Noses" aus Russland zu. Aus fünf hölzernen Boxen dringen spitze Schreie Hebt man den Deckel an, flimmern Bilder von wüsten Schlägereien über darin verstaute Videoschirme. Bilder, voll bissig, schräger Seitenhiebe auf hehre Freiheitsideale.

"Es geht nicht so sehr um das Spiel mit dem Begriff 'Freiheit'. Wir wollen uns vielmehr von der Freiheit als großes Losungswort im Russland der neunziger Jahre distanzieren. Dazu haben wir die Revolution etwas geschrumpft, wir tragen diese Kisten durch die Welt und zeigen in jeder eine kleine Revolution. Dabei haben wir eben eine sehr eigene Vorstellung von Freiheit: Die Freiheit einander zu treten, zu schlagen, es miteinander zu treiben und so weiter."

Während Blue Noses auch die Freiheit der Kunst erfrischend respektlos veralbern, hat sich Melanie Manchot des Themas auf ernstere Art angenommen.

"Das Fliegen war für mich irgendwie Freiheit. Und als Kind habe ich dann gedacht: Ja das will ich auch können. Und deshalb bin ich mit meiner Freundin auf den Spielplatz gegangen und wir haben mit dem Karussell gespielt, weil wir dachten, da werden wir leichter. Na ja, dann war es so, dass wir irgendwann gesehen haben, wir können nicht fliegen, aber es gibt für mich viele Möglichkeiten, frei zu sein."

Sie fragte die Jugendlichen einer lokalen Theatergruppe nach ihren eigenen Erfahrungen und forderte sie auf, in militärische Kleidung zu schlüpfen und filmte sie vor und nach dem Kleiderwechsel - eine Konfrontation von Uniformität und Individualität

"Es geht um den Komplex aus der eigenen, Kleidung, dem frei gewählten in etwas, was uniformiert ist zu gehen. Es geht aber auch um die Frage, welche Freiheit es einem gibt, Rollen anzunehmen. Und darum, jemand anderes z u sein. Das gibt einem ja auch Freiheit.
Also es geht um den Spannungsbereich zwischen Rolle und Identität."

Melanie Manchots Dialog mit den Schülern ist neben Michael Weselys eingangs erwähnter Fotografie das einzige Projekt in diesem Rohkunstbau-Jahr, dass direkt Region und Ausstellungsort einbezieht. Die meisten anderen Künstler dagegen haben sich vom Haus mit seiner Geschichte als Renaissance Schloss und Kinderheim gelöst. Ein Verlust für die aktuelle Schau, deren Reiz in der Vergangenheit vor allem im Zusammenspiel von Region, Räumlichkeit und Rohkunstbau lag. Dennoch gibt es auch diesmal Entdeckungen: Die Freiheit, die die 12 mitunter namhaften Künstler meinen ist nie politisch banal, sondern sie wird dezent bis drastisch hinterfragt oder als ganz persönliches Gefühl geortet.