Ansprüche ans Publikum
"Dialog mit dem Publikum?" lautete die Frage an Choreografin Sasha Waltz, Pianist Alfred Brendel, Regisseur Hans Neuenfels und Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser. Auf dem Blauen Sofa, das diesmal in Salzburg stand, gab man sich im Neuenfelsschen Sinne elitär.
Hinterhäuser: "Also in dem Moment, wo man beginnt, sich Strategien zurechtzulegen, wie kann man welche Publikumsschichten wofür interessieren, die vermeintlich immer noch schwer zu kommunizieren sind, macht man schon einen großen Fehler."
Gleich zu Beginn der Diskussion brachte es Markus Hinterhäuser, der Interimsintendant der Salzburger Festspiele, auf den Punkt: Die erfolgreiche Vermittlung von Kunst und Kultur kann nicht Produkt von Marketingstrategien sein, Kunst vermittelt sich anders:
"Es gibt ein ganz untrügliches Motiv, um zum Beispiel Menschen einzuladen, neue Musik zu hören, und das ist die eigene Liebe dazu. Wenn man es selbst nicht liebt, kann man es niemandem nahebringen. Man muss die Menschen, die man einlädt, ernstnehmen, heißt, nicht das Gefühl vermitteln, wenn man nicht 120 Kilogramm an Wissen dabei hat, wird man keinen Takt von Boulez verstehen. Das stimmt nicht."
Stirbt das Klassikpublikum aus? Mit dieser Frage wollte sich die Runde auf dem Blauen Sofa in Salzburg ursprünglich beschäftigen, doch zum einen klang den Veranstaltern diese Frage wohl zu kulturpessimistisch, zum anderen kann man sie sehr schnell mit einem Ja beantworten, ja, das Klassikpublikum, das in bildungsbürgerlicher Selbstverständlichkeit auf Kunst, Theater, Oper abonniert ist, wird aussterben. Und in der Jugend interessieren sich zur Zeit gerade einmal 9 Prozent für klassische Musik und etwa 3 Prozent für Oper. Doch vielleicht bergen diese Zahlen, die für unsere auf hohe Einschaltquoten fixierte Welt zunächst einmal erschreckend wirken, durchaus ein Potenzial, auf dem man aufbauen kann. Denn dass die Kunst, die etwa auf einem Festival wie den Salzburger Festspielen verhandelt wird, immer schon elitär war und auch weiterhin elitär ist, auch darüber war sich die Diskussionsrunde etwa mit dem Regisseur Hans Neuenfels einig.
Neuenfels: "Wir können das Wort 'elitär' nicht als ein Schimpfwort nehmen. Das Wort 'elitär' ist ein gutes Wort, ein prima Wort, ein super Wort. Man muss sozusagen die Kunst, die immer elitär ist, trivial einspeicheln. Das müsste das Theater auch wieder erreichen, dass man dort hingehen muss, dass das Elitäre kein Schimpf oder Beiwort ist, sondern ein Strebungswort. Man möchte, man muss dabei sein."
Mit Theater, Oper oder Tanz das Sehnsuchtspotenzial im Zuschauer zu entfachen: ein großer Anspruch, wie man überhaupt in dieser Runde keinen Hehl daraus machte, dass man durchaus auch Ansprüche an das Publikum stellt, und dass Kultur zwar ein Lebensmittel, aber durchaus kein Konsumgut ist, das man mit hochgelegten Füßen auf dem Sofa verspeisen kann. Mit der Choreografin Sascha Waltz etwa war auf dem Salzburger Podium eine Künstlerin vertreten, die mit ihren Crossovers aus dem Tanz heraus etwa zum Schauspiel aber auch in den Bereich Architektur, ihr Publikum auf eine ganz spezielle Weise fordert:
"Ich denke ganz oft, dass es auch im Tanz eine so neue Sprache ist, die die unterschiedlichen Künstler entwickeln, dass das Publikum diese Sprache neu lernen muss. Das heißt, es muss es oft sehen und oft erfahren, um überhaupt einen Zugang dazu zu gewinnen. Wie so neue Codes zu entdecken. Ich glaube, es ist eine Aufgabe, die Leute mitzunehmen. Und so empfinde ich auch, wenn man regelmäßig in einer Stadt aufführt, dass das Publikum auch mitwächst."
Hinterhäuser: "Man muss ein Publikum und die Musik, die man ihm hoffentlich zur Freundschaft anbietet, da muss man einen gemeinsamen Ton finden. Und der hat schon mit Konzentration zu tun und mit einer Aufforderung an das Publikum zu tun. Es geht gar nicht ohne. Das hat mit Beteiligung zu tun, man kann ein Publikum nicht befreien von einer Beteiligung, und wenn man das tut, wenn man glaubt, es ihm dadurch besonders leichtzumachen, schadet man der ganzen Unternehmung sehr."
Natürlich spricht hier ein Salzburger Festspielintendant Markus Hinterhäuser aus der Perspektive eines der reichsten und renommiertesten Festivals der Welt, und so hatte diese Diskussion dann auch nichts damit zu tun, welche Probleme etwa ein Landestheater in Brandenburg oder ein Stadttheater in einer Kleinstadt haben, sich ihr Publikum zu erhalten oder neu zu rekrutieren. Nein, diese Diskussion begab sich weder in die Niederungen des Theateralltags noch in das Jammertal eines Kulturpessimismus, der das Ende der Kultur schon lange voraussieht, nein, sie gab sich durchaus elitär – allerdings im besten und damit Hans Neuenfelsschen Sinne.
Neuenfels: "Ich meine, dass sich die Ausschließlichkeit der Darbietung so großartig darstellt, dass auch die Leute, die jetzt in einem Konzertsaal sitzen, einen Ansporn kriegen, Dinge aus diesem Erlebnis heraus mitzuteilen, weitere Konzerte zu besuchen, dass sich das Ding Konzert an sich herumspricht und um sich greift."
Überhaupt war es vor allem Hans Neuenfels, der wunderbare alte Recke des intellektuellen und provokanten Musiktheaters, der die Diskussion immer wieder auf den Punkt brachte und zu ihrem Schluss sich selbst als idealtypischen Zuschauer definierte:
"Ich will ganz sicherlich bei jedem Stück eine Botschaft haben, ich will betroffen sein als Zuschauer und ich will vor allen Dingen Ernst genommen werden als Partner, und ich will natürlich etwas Neues erfahren und ich will bewundern, ich will, dass mir jemand etwas sagt, was ich noch nicht wusste. Was mich erschreckt oder berührt oder auf jeden Fall weitertreibt."
Berichte über die Salzburger Festspiele 2011 bei dradio.de:
Auswechslung der einen und der anderen Art - "Così fan tutte" bei den Salzburger Festspielen
Kunst der Auswechslung - Salzburger Festspiele eröffnen mit der "Hochzeit des Figaro"
Schöne Tiefe - Verdis "Macbeth" bei den Salzburger Festspielen
Halbszenische Gespenstersonate - Daniel Kehlmanns erstes Theaterstück wurde bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt
Über Zufall und Notwendigkeit
Schimmelpfennigs "Die vier Himmelsrichtungen" in Salzburg
Gleich zu Beginn der Diskussion brachte es Markus Hinterhäuser, der Interimsintendant der Salzburger Festspiele, auf den Punkt: Die erfolgreiche Vermittlung von Kunst und Kultur kann nicht Produkt von Marketingstrategien sein, Kunst vermittelt sich anders:
"Es gibt ein ganz untrügliches Motiv, um zum Beispiel Menschen einzuladen, neue Musik zu hören, und das ist die eigene Liebe dazu. Wenn man es selbst nicht liebt, kann man es niemandem nahebringen. Man muss die Menschen, die man einlädt, ernstnehmen, heißt, nicht das Gefühl vermitteln, wenn man nicht 120 Kilogramm an Wissen dabei hat, wird man keinen Takt von Boulez verstehen. Das stimmt nicht."
Stirbt das Klassikpublikum aus? Mit dieser Frage wollte sich die Runde auf dem Blauen Sofa in Salzburg ursprünglich beschäftigen, doch zum einen klang den Veranstaltern diese Frage wohl zu kulturpessimistisch, zum anderen kann man sie sehr schnell mit einem Ja beantworten, ja, das Klassikpublikum, das in bildungsbürgerlicher Selbstverständlichkeit auf Kunst, Theater, Oper abonniert ist, wird aussterben. Und in der Jugend interessieren sich zur Zeit gerade einmal 9 Prozent für klassische Musik und etwa 3 Prozent für Oper. Doch vielleicht bergen diese Zahlen, die für unsere auf hohe Einschaltquoten fixierte Welt zunächst einmal erschreckend wirken, durchaus ein Potenzial, auf dem man aufbauen kann. Denn dass die Kunst, die etwa auf einem Festival wie den Salzburger Festspielen verhandelt wird, immer schon elitär war und auch weiterhin elitär ist, auch darüber war sich die Diskussionsrunde etwa mit dem Regisseur Hans Neuenfels einig.
Neuenfels: "Wir können das Wort 'elitär' nicht als ein Schimpfwort nehmen. Das Wort 'elitär' ist ein gutes Wort, ein prima Wort, ein super Wort. Man muss sozusagen die Kunst, die immer elitär ist, trivial einspeicheln. Das müsste das Theater auch wieder erreichen, dass man dort hingehen muss, dass das Elitäre kein Schimpf oder Beiwort ist, sondern ein Strebungswort. Man möchte, man muss dabei sein."
Mit Theater, Oper oder Tanz das Sehnsuchtspotenzial im Zuschauer zu entfachen: ein großer Anspruch, wie man überhaupt in dieser Runde keinen Hehl daraus machte, dass man durchaus auch Ansprüche an das Publikum stellt, und dass Kultur zwar ein Lebensmittel, aber durchaus kein Konsumgut ist, das man mit hochgelegten Füßen auf dem Sofa verspeisen kann. Mit der Choreografin Sascha Waltz etwa war auf dem Salzburger Podium eine Künstlerin vertreten, die mit ihren Crossovers aus dem Tanz heraus etwa zum Schauspiel aber auch in den Bereich Architektur, ihr Publikum auf eine ganz spezielle Weise fordert:
"Ich denke ganz oft, dass es auch im Tanz eine so neue Sprache ist, die die unterschiedlichen Künstler entwickeln, dass das Publikum diese Sprache neu lernen muss. Das heißt, es muss es oft sehen und oft erfahren, um überhaupt einen Zugang dazu zu gewinnen. Wie so neue Codes zu entdecken. Ich glaube, es ist eine Aufgabe, die Leute mitzunehmen. Und so empfinde ich auch, wenn man regelmäßig in einer Stadt aufführt, dass das Publikum auch mitwächst."
Hinterhäuser: "Man muss ein Publikum und die Musik, die man ihm hoffentlich zur Freundschaft anbietet, da muss man einen gemeinsamen Ton finden. Und der hat schon mit Konzentration zu tun und mit einer Aufforderung an das Publikum zu tun. Es geht gar nicht ohne. Das hat mit Beteiligung zu tun, man kann ein Publikum nicht befreien von einer Beteiligung, und wenn man das tut, wenn man glaubt, es ihm dadurch besonders leichtzumachen, schadet man der ganzen Unternehmung sehr."
Natürlich spricht hier ein Salzburger Festspielintendant Markus Hinterhäuser aus der Perspektive eines der reichsten und renommiertesten Festivals der Welt, und so hatte diese Diskussion dann auch nichts damit zu tun, welche Probleme etwa ein Landestheater in Brandenburg oder ein Stadttheater in einer Kleinstadt haben, sich ihr Publikum zu erhalten oder neu zu rekrutieren. Nein, diese Diskussion begab sich weder in die Niederungen des Theateralltags noch in das Jammertal eines Kulturpessimismus, der das Ende der Kultur schon lange voraussieht, nein, sie gab sich durchaus elitär – allerdings im besten und damit Hans Neuenfelsschen Sinne.
Neuenfels: "Ich meine, dass sich die Ausschließlichkeit der Darbietung so großartig darstellt, dass auch die Leute, die jetzt in einem Konzertsaal sitzen, einen Ansporn kriegen, Dinge aus diesem Erlebnis heraus mitzuteilen, weitere Konzerte zu besuchen, dass sich das Ding Konzert an sich herumspricht und um sich greift."
Überhaupt war es vor allem Hans Neuenfels, der wunderbare alte Recke des intellektuellen und provokanten Musiktheaters, der die Diskussion immer wieder auf den Punkt brachte und zu ihrem Schluss sich selbst als idealtypischen Zuschauer definierte:
"Ich will ganz sicherlich bei jedem Stück eine Botschaft haben, ich will betroffen sein als Zuschauer und ich will vor allen Dingen Ernst genommen werden als Partner, und ich will natürlich etwas Neues erfahren und ich will bewundern, ich will, dass mir jemand etwas sagt, was ich noch nicht wusste. Was mich erschreckt oder berührt oder auf jeden Fall weitertreibt."
Berichte über die Salzburger Festspiele 2011 bei dradio.de:
Auswechslung der einen und der anderen Art - "Così fan tutte" bei den Salzburger Festspielen
Kunst der Auswechslung - Salzburger Festspiele eröffnen mit der "Hochzeit des Figaro"
Schöne Tiefe - Verdis "Macbeth" bei den Salzburger Festspielen
Halbszenische Gespenstersonate - Daniel Kehlmanns erstes Theaterstück wurde bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt
Über Zufall und Notwendigkeit
Schimmelpfennigs "Die vier Himmelsrichtungen" in Salzburg