Auswechslung der einen und der anderen Art

Von Frieder Reininghaus |
Claus Guths überarbeitete "Così"-Inszenierung entpuppt sich als solide und ansehnliche Arbeit, die den Rokoko-Schwank begütigt und nobilitiert, indem sie das Historische wie das Gesellschaftliche wegputzt.
"Così fan tutte", eine vom römisch-deutschen Kaiser Joseph II. angeregte und in Auftrag gegebene Farce aus dem Jahr 1790, setzt ein Spiel der Verstellungen, Täuschungen und des doppelten Partnertauschs in Gang. Die Nachwelt empfand dies als frivol bzw. abgeschmackt und hat es gemieden. Das 20. Jahrhundert fand wieder Gefallen daran – so sehr, dass fast alle Inszenierungen in Mitteleuropa seit längerer Zeit die Maskierungen fallen ließen und die Bemühungen um Verstellung gegen Null reduzierten. Dadurch muss allemal der Eindruck entstehen, dass die vom Librettisten als nicht besonders helle gezeichneten Frauen die eigentlich Klugen sind, das verwerfliche Spiel von Anfang an durchschauen, nach anfänglichen Herz- und Seelenschmerzen mit wachsender Lust mitspielen und nach dem absehbaren Eklat ihre Reue als Routine veranstalten.

Dem landauf und -ab bewährten Muster folgte auch Claus Guth, als er im Rahmen seines Zyklus mit Mozarts da-Ponte Opern in Salzburg vor zwei Jahren dieses dramma giocoso inszenierte und nun neu einstudierte. Geblieben sind bei dieser Wiederaufnahme die kräftigen Striche (nicht nur in den Rezitativen), die sperrige Bühnenarchitektur von Christian Schmidt und Bo Skovhus als Sänger des Philosophen Don Alfonso, der die unselige Wette hinsichtlich der potentiellen Treue bzw. Untreue der Verlobten von Ferrando und Guglielmo anregt.

Ansonsten wurde auch bei dieser Neueinstudierung der Produktion aus dem Festspielsommer 2009 auf allen Positionen umbesetzt: Statt den Wiener Philharmonikern und dem blassen Dirigenten Adam Fischer vitalisieren nun die Musiciens du Louvre Grenoble unter Marc Minkowski die Szene – quirlig und elegisch (wie Minkowski die großen Bögen spannt, atmen und aussingen lässt, erscheint mustergültig!). Statt Miah Persson und Isabel Leonard als lebenslustigen Schwestern agieren nun Maria Bengtsson als Fiordiligi und Michèle Losier als deren jüngeres und leichtlebigeres Geschwister Dorabella. Die schwedische Sopranistin Bengtsson legt nach anfänglichen Problemen mit den höheren Lagen in der zweiten Halbzeit eine Glanzleistung aufs Parkett, bestreitet das Rondò "Per pietà, ben mio" so atemberaubend wie das Duett "Fra gli amplessi in pochi istanti". Die aus Nordamerika kommende Mezzosopranistin Losier agiert weniger elegant, bleibt ihrer Partie freilich stimmlich so wenig schuldig wie der Tenor Alek Shrader oder der Bariton Christopher Maltman, die als Liebhaber der Schwestern die Kleider wechseln und die Rollen tauschen.

In einem Ambiente, das an das rückwärtige Treppenhaus einer Sparkassenbezirksverwaltung erinnert, treten sie nicht als Offiziere auf, sondern wie kreditsuchende Unternehmensgründer – Guglielmo könnte frischgebackener Klempnermeister sein, Ferrando arbeitsloser Germanist, der zu lange über Barockoden gearbeitet hat. Zu ihnen gesellt sich Alfonso, dieses literarische Problemsubjekt, als Todesengel (da er mit dem Ankurbeln von Erotik und Sexualität auch einen Faktor des Verderbens bedeutet, erscheint dies plausibel; weniger, warum aus Symmetriegründen auch die frivol gestimmte Hausbedienstete Despina in Leichenbestatter-Outfit und mit schwarzen Flügeln auftritt). Dass der Regisseur Guth die Geschichte so sehr in die verkleinbürgerlichte Zivilgesellschaft unserer Tage umtopfte, bringt sie um ein entscheidendes Moment des von Joseph und da Ponte ersonnenen Witzes: sinnvollerweise müssten Ferrando und Guglielmo Offiziere bleiben und neuerdings zur Seeschlacht ausrücken – nur eben mit der österreichischen Bundesmarine unserer Tage und auf den Boden-, Platten- oder Mattsee.

Zu den Gepflogenheiten der deutschen Musikkritik, die in Theaterdingen notorisch unterbelichtet ist, gehört, dass sie aufgrund der Freud-Zitate, mit denen Guth seine Produktionen umgeben lässt, dessen Inszenierungsweise vorzugsweise für "psychologisch" hält. Wenn die beiden Männer die Frauen begehren, dann gehen sie im Kreis – das ist anschaulich und plausibel, aber offenbart noch keine tiefen psychologischen Erkenntnisse; desgleichen, wenn die Schwestern sich in Erwartung der Hiobsbotschaft vom angeblich staatlich verordneten Abgang ihrer Partner niederknien und die Köpfe auf den Boden legen. Dass sich das Treppenhaus öffnet, den Blick auf dunklen Tannenwald freigibt und der Forst auf die Spielfläche vorrückt, ist gleichfalls ein plausibles Theaterbild, aber in seelenerkundender Hinsicht weder besonders findig noch tiefschürfend, sondern naheliegend (die Angst im Walde ... ein weites Feld!).

Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich Claus Guths "Così"-Inszenierung als solide und ansehnliche Arbeit, die den Rokoko-Schwank begütigt und nobilitiert, indem sie das Historische wie das Gesellschaftliche wegputzt.

Damit wird dem Werk ein Eckzahn gezogen und verstärkt sich der Eindruck manierierter Banalität (die Festspielbesucher, die noch in der vorletzten Reihe unter behinderten Sichtbedingungen 155 Euro zahlen, erhalten so etwas wie getrüffelte Blutwurst). Ärgerlich insbesondere aus Sicht der Frauen mag die Verlängerung einer dem Stück fremden Moral sein, die den Regisseur dazu veranlasste, das "schlechte Gewissen" der Schwestern dadurch überdeutlich zu machen, dass sie sich zum Entschluss des Partnerwechsels mit dunkler Masse vom Waldboden ihre Unterkleider vollschmieren (huch, wie "psychologisch", ausgerechnet auch noch die Unterkleider!) und dann die makellos weißen Sparkassenbezirksverwaltungstreppenhauswände (das ist ja ganz antiautoritär, hui!).

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