AfD im Umfragehoch

Die Angst der Wähler vor Veränderungen

Die Bundestagsfraktion der AfD stimmt bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag als einzige Fraktion für einen Einspruch gegen eine Ordnungsmaßnahme.
Weg mit der Komplexität der realen Welt und her mit den einfachen Antworten: AfD-Parlamentarier im Bundestag. © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Ein Kommentar von Andreas Wirsching · 13.06.2023
Die AfD ist derzeit auf Erfolgskurs: 18 Prozent der Wähler würden sich laut aktueller Umfragen für die Partei bei Wahlen entscheiden. Was hilft gegen Rechtspopulismus? Der Historiker Andreas Wirsching empfiehlt Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit.
350 Millionen Pfund überweise Großbritannien wöchentlich an die EU, behauptete Boris Johnson im Jahre 2016. Nach dem Brexit werde die Regierung das gesparte Geld nutzen, um das britische Gesundheitssystem zu sanieren. Mit dieser doppelten Lüge suggerierte Johnson eine scheinbar ganz einfache Wahrheit. Die komplexe Wahrheit aber über Europa und das britische Gesundheitssystem wollte eine Mehrheit der britischen Wähler nicht wissen und votierte für den Austritt aus der Europäischen Union.

Die Populisten agieren überall gleich

Es ist überall dasselbe mit den Populisten: Ob es sich um die Statistik zur Einwanderung handelt, um die Gefahren des Klimawandels oder die Wirksamkeit der Corona-Impfung – sie ersetzen die empirisch fassbare Wahrheit durch ihre eigenen, leicht verständlichen „Behauptungen“, durch Verschwörungstheorien oder am besten gleich durch „alternative Fakten“.
Weg also mit der Komplexität der realen Welt und her mit den einfachen Antworten. Ein solches Vorgehen befürwortete übrigens auch schon Adolf Hitler, wenn er 1927 der künstlich erzeugten „Komplizierung“ des öffentlichen Lebens die „natürlichen Lebensgesetze“ und den „Instinkt“ des Volkes entgegenstellte.
Wie die AfD zeigt, hat die populistische Vereinfachung ihre besten Erfolgsaussichten in Zeiten der Krise; dann nämlich, wenn dynamische Veränderungen und wachsender Anpassungsdruck Ängste auslösen. Erst recht ist es dann Aufgabe der demokratischen Politiker, transparent mit ihren Wählerinnen und Wählern zu kommunizieren, auch und gerade wenn es um die Zumutung unbequemer Wahrheiten geht. Zwischen Wählern und Gewählten muss ein Mindestmaß an Vertrauen bestehen. Nur dann lassen sich konstruktive Lösungen erzielen und Ängste bewältigen.
Gefährlich jedoch ist das Schönreden. Wer schönredet, vergreift sich nicht nur an der Wahrheit, sondern verachtet auch sein Publikum. Das ist Treibstoff für die Rechtsradikalen, die ja nur darauf warten, mit gleicher Münze heimzuzahlen und die Politiker verächtlich zu machen. Die bloße Meinung ersetzt dann die Kenntnis und das Urteil erhebt sich über die Wahrheit. Am Ende wird aus Wahrheit Lüge und aus Lüge Wahrheit.

Wie politisches Kapital wachsen kann

Politisches Kapital wächst dagegen dort, wo jemand sagt, was er meint, und tut, was er sagt. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass es weder eine eindeutige Wahrheit noch eine einzige Antwort geben kann, sondern dass eine politische Entscheidung gefordert ist. Zurückstehen müssen dann aber die verbreiteten Ängste der Politiker, ihre Karriere zu riskieren, wenn sie dem Wähler gegenüber zu „ehrlich“ sind und infolgedessen in der Beliebtheitsskala zurückfallen.
Überzeugen und politisch erfolgreich sein können letztlich ohnehin nur diejenigen, die persönlich für eine Sache einstehen, die zwar umstritten und unbequem ist, am Ende aber von einer – vielleicht knappen – Mehrheit unterstützt wird. Die populistische Strategie, Ängste zu schüren, um wahrheitsverzerrende Antworten zu geben, ist das Gegenteil einer solchen im Diskurs vorbereiteten und demokratisch legitimierten Entscheidung.

Hyperkomplexe Gegenwart

Umso wichtiger ist es daher, das Wesen der parlamentarischen Repräsentation richtig zu verstehen. Sie entlastet die Wähler von dem mühsamen politischen Fulltime-Job, in der hyperkomplexen Gegenwart überall nach Lösungen oder gar nach der Wahrheit suchen zu müssen; und sie gibt den Gewählten das volle Mandat, eben solche Lösungen zu finden.
Wenn sie dabei wahrhaftig bleiben, dann können sie den Wählern das Gefühl vermitteln, dass ihre Person und ihr Verhalten politisch bedeutsam sind. Das schafft neues Vertrauen in die demokratische Politik und bietet Populismus und Rechtsradikalismus die Stirn.

Andreas Wirsching ist Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin und Inhaber des Lehrstuhls für Neueste Geschichte an der LMU München sowie u. a. Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er ist Verfasser zahlreicher Werke zur deutschen und europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Der Historiker Andreas Wirsching steht vor einer Bücherwand.
© picture alliance / dpa / Matthias Balk
Mehr zum Thema