EU-Bilanz zur Flüchtlingskrise

"Würden alle ihre Pflicht erfüllen, sähe die Lage anders aus"

Flüchtlinge gehen im Registrierungszentrum auf der Insel Lesbos an einem Zaun entlang
Flüchtlinge im Registrierungszentrum auf der Insel Lesbos: Dieser Hotspot ist der einzige, der bisher fertiggestellt wurde © picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou
Von Thomas Otto · 10.02.2016
EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos stellt den Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingskrise ein zweifelhaftes Zeugnis aus. Zu direkt will er allerdings auch keine Kritik üben: Doch hilft Diplomatie überhaupt noch?
Es ist ein Denkzettel an die EU-Mitgliedsstaaten, den Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in Brüssel vorgestellt hat. Eine Woche vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs listete er auf, wo es in der Flüchtlingskrise überall hakt. In den Augen der Kommission vor allem bei dem, wozu sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet haben:
"Hätten alle Staaten ihre Pflichten eingehalten, sähe die Lage heute ganz anders aus."
Wobei sich Avramopoulos gleich wieder bremste und betonte: Die Kommission beschuldigt niemanden, sie gibt Handlungsanweisungen.
"Ich habe allen Innenministern heute einen Brief geschrieben. Darin erinnere ich Sie an das verabschiedete Programm der Flüchtlingsverteilung, das in dieser Notlage sofort umgesetzt werden muss."
Weniger als 500 von160.000 Flüchtlingen sind bisher verteilt worden
Bisher ist aber nur ein Bruchteil der 160.000 Flüchtlinge, die aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten verteilt werden sollen, auch verteilt worden: Nicht einmal 500 Menschen haben so Italien und Griechenland verlassen.
Das liegt nicht nur am Unwillen einiger EU-Mitglieder, Flüchtlinge aufzunehmen. Vor allem funktionieren die Hotspots in Italien und Griechenland, von wo aus Flüchtlinge verteilt oder abgeschoben werden sollen, noch immer nicht vollständig. Das hatte Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis schon vor zwei Wochen in einem Bericht zur Lage in Griechenland kritisiert:
"Der Bericht hält insbesondere fest, dass irreguläre Migranten nicht identifiziert und registriert werden. Fingerabdrücke werden nicht systematisch aufgenommen und Reisedokumente nicht überprüft und nach Einträgen im Schengener Informationssystem oder nationalen Datenbanken gesucht."
Von fünf Hotspots arbeitet bisher nur ein einziger
Zumindest was das Aufnehmen der Fingerabdrücke angeht, soll es in Griechenland nun Fortschritte geben und 78 Prozent der Migranten erfasst werden. Von den fünf geplanten Hotspots arbeitet aber erst ein einziger. Ähnlich in Italien, wo erst zwei von sechs Einrichtungen einsatzbereit sind.
Migrationskommissar Avramopoulos erklärte aber optimistisch: Der zuständige griechische Minister habe ihm versichert, dass alle Hotspots in seinem Land innerhalb von zehn Tagen voll einsatzbereit sein sollen.
Dublin ist nicht tot - behauptet die Kommission
Neben der Aufnahme und Umverteilung von Flüchtlingen mahnt die Kommission vor allem, die Dublin-Regeln wieder einzuhalten:
"Dublin ist nicht tot. Wir halten es so lang wie nötig am Leben, um dann seine Überarbeitung zu beginnen."
Erste Vorschläge dafür will die Behörde im März vorlegen. Nun soll Griechenland nach dem Willen der Kommission zunächst einen Teil der Flüchtlinge, die über das Land erstmals EU-Boden betreten haben, zurücknehmen.
Dieser Teil der Dublin-Regeln war 2011 für Griechenland ausgesetzt worden, nachdem der EuGH festgestellt hatte, dass Flüchtlinge dort nicht angemessen versorgt werden können. Nach Ansicht der Kommission habe sich die Lage aber gebessert. So könnten auch die Regeln zur Abschiebung eingehalten werden, so Avramopoulos:
"Wenn wir irreguläre Migranten nicht abschieben, untergraben wir nicht nur unsere Glaubwürdigkeit, sondern blockieren auch Ressourcen für diejenigen, die unseren Schutz brauchen."
Die Zusammenarbeit mit den Balkanstaaten könnte besser sein
Die Zusammenarbeit mit den Balkanstaaten, die im Oktober verabredet worden war, lässt nach dem Kommissionsbericht noch zu wünschen übrig.
Zwar gibt es regelmäßige Videokonferenzen und erste Erfolge bei den Grenzkontrollen. Aber weder kann die Kommission in den politischen Willen der Staaten erkennen, die versprochenen 50.000 Plätze für Flüchtlinge einzurichten. Noch sind die EU-Staaten laut Bericht bereit, die Balkanländer mit materieller Hilfe zu unterstützen, worum besonders Slowenien und Serbien gebeten hatten.
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