Syrische Flüchtlinge

Zur Schwarzarbeit verdammt

Flüchtlinge warten an einer Bushaltestelle in Istanbul.
Flüchtlinge warten an einer Bushaltestelle in Istanbul. © picture alliance / dpa / Sergey Stroitelev
Von Thomas Bormann · 10.02.2016
Etwa 400.000 syrische Flüchtlinge arbeiten in der Türkei, aber nur 3.686 von ihnen haben eine Arbeitserlaubnis. Fast alle anderen arbeiten ohne gültige Arbeitserlaubnis und werden von den Firmen ausgebeutet, so belegt es eine Studie einer Universität in Ankara.
Siham ist erst 15 Jahre alt. Sie stammt aus Aleppo in Syrien. Hier in Istanbul arbeitet sie als Kellnerin in einem Restaurant:
"Ich war gerade in der achten Klasse in Syrien, als wir flüchten mussten", sagt Siham. Hier in der Türkei könne sie leider nicht weiter zur Schule gehen, sie müsse arbeiten.
Eine offizielle Arbeitsgenehmigung wird Siham allerdings nicht bekommen. Dazu ist sie zu jung. Dasselbe gilt für ihren erst 12-jährigen Bruder. Er arbeitet in einer Auto-Werkstatt als Botenjunge. Der Vater der Kinder verdient mit Gelegenheitsjobs etwas dazu – und trotzdem: das Geld reicht kaum für die Familie, denn alle bekommen nur sehr wenig Lohn:
"Eine Syrerin oder ein Syrer verdient oft nur ein Drittel von dem, was eine Türkin oder ein Türke verdient. Natürlich ist das Ausbeutung."
Sagt Professor Murat Erdogan, Migrationsforscher der Hacettepe-Universität in Ankara. Er hat die Arbeitsbedingungen der syrischen Flüchtlinge in der Türkei untersucht – und kam zu erschütternden Ergebnissen: Demnach sind 99 Prozent der Syrer auf Schwarzarbeit angewiesen – ohne Krankenversicherung, ohne Kündigungsschutz, ohne Rechte.

Unternehmer verdienen gut an syrischen Scharzarbeitern

Die Unternehmer, die syrische Schwarzarbeiter einstellen, verdienen sehr gut an den billigen Arbeitskräften. Sie haben überhaupt kein Interesse daran, dass ihre Beschäftigten eine Arbeitserlaubnis bekommen. Dann nämlich müssten die Chefs deutlich höhere Löhne bezahlen.
Immerhin – die türkische Regierung hat das Problem erkannt und zumindest angekündigt, dass syrische Flüchtlinge künftig eine Arbeitserlaubnis bekommen sollen. Europa-Minister Volkan Bozkir gibt sich sehr optimistisch:
"Unsere syrischen Gäste werden eine Arbeitserlaubnis bekommen. Das wird die Lage entspannen und positive Folgen haben."

Hohe Hürden für eine Arbeitserlaubnis

Diese positiven Folgen lassen allerdings noch auf sich warten. Denn das neue Gesetz baut viele Hürden für die Flüchtlinge auf, ehe sie eine Arbeitserlaubnis bekommen können. Sie müssen sich registrieren lassen; sie werden dann einer der insgesamt 81 türkischen Provinzen zugeteilt und dürfen nur dort arbeiten; sie müssen Wartefristen einhalten.
Bislang gibt es kaum legale Beschäftigungsmöglichkeiten für syrische Flüchtlinge in der Türkei. Der Schwarzmarkt für billige Arbeitskräfte hingegen floriert. Das bekam auch Omar zu spüren, ein 20-jähriger Syrer. Er hatte bei einer Schuhfabrik in Istanbul Arbeit gefunden – für 600 Lira Monatslohn, das sind umgerechnet weniger als 200 Euro, bei einer Sieben-Tage-Woche:
"Wir arbeiten die ganze Woche durch. Auch samstags und sonntags. Sie zwingen uns zu kommen, aber fürs Wochenende bekommen wir keinen Lohn."
Nach wenigen Wochen Arbeit in der Schuhfabrik kündigte ihm sein Chef und zahlte überhaupt keinen Lohn. Alles Bitten und Flehen blieb ohne Erfolg. Omar suchte ein-en neuen Job. Er wandte sich an ein Büro in Istanbul, das sich auf syrische Schwarz-arbeiter spezialisiert hat - eine illegale Arbeitsvermittlung:
"Ich war in hier einem Büro, in dem Arbeit an Flüchtlinge vermittelt wird, also ohne Arbeitsgenehmigung. Für die Vermittlung nehmen die 100 Lira plus die Hälfte der ersten beiden Monatslöhne, das sind insgesamt 1.000 Lira; also muss ich in den nächsten beiden Monaten je 500 Lira abgeben."
Omar arbeitet seither als Nachtportier in einem Hotel. Umgerechnet bleiben ihm 170 Euro Monatslohn, etwas mehr als ein Drittel des gesetzlichen Mindestlohns in der Türkei. Omar sagt: Es ist kaum auszuhalten:
"No future here, no."
Hier in der Türkei sieht er keine Zukunft für sich. Auch Omar überlegt, weiter zu flüchten, vielleicht nach Deutschland, sagt er, irgendwo hin, wo er sich eine Existenz aufbauen könnte.
Viele Unternehmen in der Türkei nutzen die Not der Flüchtlinge aus. Und die Behörden schauen weg. Auch viele türkische Bürger blicken mit Argwohn auf die syrischen Flüchtlinge. Sie fürchten die billige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.

Flüchtlinge als Chance für den Arbeitsmarkt

Migrationsforscher Murat Erdogan aber schildert, dass die Flüchtlinge die türkische Wirtschaft durchaus auch beleben können. Er verweist auf die Grenzstadt Kilis, die nur acht Kilometer von der syrischen Grenze entfernt liegt:
"In Kilis leben mittlerweile mehr syrische Flüchtlinge als Einwohner. Die Stadt hat 95.000 Einwohner und 115.000 syrische Flüchtlinge. Und dennoch: Die Arbeitslosenrate in Kilis ist seit Beginn der Flüchtlingswelle gesunken. Denn für all die Versorgung der Flüchtlinge ist in der Stadt ein neues Gewerbe entstanden: Die Menschen brauchen Speisen, Unterkünfte, Kleidung und Schuhe. Das hat die Wirtschaft dort belebt. Auch Hilforganisationen kaufen in Kilis ein."
Murat Erdogan zieht daraus den Schluss: Die Türkei müsse die syrischen Flüchtlinge nicht als Bedrohung für die Wirtschaft sehen, sondern als Bereicherung. Die Türkei müsse den Flüchtlingen die Möglichkeit geben, sich eine Existenz auf zubauen mit anständig bezahlter, legaler Arbeit. Und vor allem: die vielen jungen syrischen Flüchtlinge müssen ihre Ausbildung fortsetzen können.
Deshalb begrüßt es der Migrationsforscher, dass nun endlich Geld von der Europäischen Union fließen soll. Die drei Milliarden Euro, die die EU schon im November zugesagt hatte, sollen nun in Projekte fließen, damit die syrischen Flüchtlinge in der Türkei eine Zukunft finden. Murat Erdogan:
"Es ist doch ganz klar: Das Geld von der Europäischen Union muss vor allem für berufliche Ausbildung und für Schulen ausgegeben werden."
In der Türkei leben etwa 700.000 syrische Flüchtlingskinder im schulpflichtigen Alter. Aber nur jedes dritte von ihnen besucht tatsächlich eine Schule. Andere, wie auch die 15-jährige Siham, müssen arbeiten. Viel lieber würde sie wieder zur Schule gehen, wie damals vor ihrer Flucht, in Syrien:
"Ich vermisse die Schule. Ich bin gern zur Schule gegangen. Ich war auch ganz gut und ich hatte viele Freundinnen in der Klasse."
Siham träumt davon, eines Tages studieren zu können – stattdessen schuftet sie nun schon seit Monaten als Kellnerin in Istanbul. Siham hofft, dass ihr Vater bald eine fair bezahlte Arbeit findet und genug Geld verdient, um die Familie über die Runden bringen zu können. Dann könnte sie tatsächlich wieder zur Schule gehen.
Noch aber sieht die Wirklichkeit in der Türkei anders aus. Noch haben die meisten Syrer hier keine Chance auf fair bezahlte, gute Arbeit; noch sind sie auf Schwarzarbeit zu Hungerlöhnen angewiesen.
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