Zukunftstechnologie Künstliche Intelligenz

„Computer rechnen, Gehirne verstehen“

Frühe Werke von menschlich wirkenden Robotern stehen der Ausstellung: "Künstliche Intelligenz und Robotik" im Heinz Nixdorf MuseumsForum
Auch wenn Roboter menschlich aussehen, intelligent oder kreativ sind sie nicht, sagt Ebert. © picture alliance/Guido Kirchner/dpa
Vince Ebert im Gespräch mit Dieter Kassel · 03.12.2018
Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch, den Menschen ersetzen kann sie auf absehbare Zeit jedoch nicht, glaubt der Physiker und Kabarettist Vince Ebert. Denn: „Die Menschen sind die einzigen, die Kausalität erkennen können.“
Dieter Kassel: In Nürnberg beginnt heute die zweitägige nächste Digitalkonferenz, der insgesamt zwölfte Digitalgipfel der Bundesregierung. Die Kanzlerin und mehrere Bundesminister diskutieren diesmal vor allem über Künstliche Intelligenz, und schon vorher wurde im Kabinett beschlossen, bis 2025 drei Milliarden Euro in deren Entwicklung zu stecken und damit unter anderem 100 neue Professuren zu schaffen.
Das Thema KI, also Künstliche Intelligenz, beschäftigt auch Vince Ebert auf der Kabarettbühne, auch in seinem aktuellen Programm "Zukunft is the future". Als Naturwissenschaftler beschäftigt ihn das aber auch ernsthaft, denn Vince Ebert hat wirklich mal was Richtiges gelernt, er ist nämlich Diplom-Physiker. Schönen guten Morgen, Herr Ebert!
Vince Ebert: Guten Morgen!
Kassel: Die Politik geht ja ganz offensichtlich, also die in Deutschland zumindest, davon aus, dass Künstliche Intelligenz der Markt der Zukunft ist, einer der großen Zukunftstechnologien. Teilen Sie eigentlich diese Einschätzung?
Ebert: Also ich bin immer so zweigeteilt. Natürlich sind diese Algorithmen, diese Big-Data-Systeme sehr, sehr mächtige Tools. Andererseits bin ich auch immer derjenige, der dafür plädiert, wir brauchen neben den ganzen Algorithmen, neben der ganzen Computerpower brauchen wir auch die menschliche Intelligenz, das menschliche Bewusstsein, das eben auch entscheidet, was wir mit diesen Daten, was wir mit diesen Ergebnissen anfangen können.
Ich sage immer: Computer rechnen, Gehirne verstehen, und das ist immer so mein Plädoyer, zu sagen: Gebt nicht alles den Rechnern ab, sondern benutzt euren klaren Menschenverstand! Wir müssen genau überlegen, was wir mit diesen Daten tun.

Ein Computer weiß nicht, was er lernt

Kassel: Aber die Frage ist ja auch, wie definieren Sie eigentlich echte KI? Ich habe dazu auch von Experten, von Laien sowieso, schon sehr unterschiedliche Dinge gehört. Die einen sagen, Sprachsysteme wie Alexa oder Siri sind schon Künstliche Intelligenz, andere sagen, von echter KI sind wir meilenweit entfernt, das wären nur neuronale Netzwerke, die sich selbst weiterentwickeln. Wo fängt denn für Sie echte KI an?
Ebert: Ich würde Letzteres auch sagen. Also wie ich schon gesagt habe: Wir sind die einzige Spezies, die tatsächlich verstehen kann, was sie tut, und ein Computer rechnet eigentlich nur. Also der hat eine Korrelation, also wenn der zwei verschiedene Datensätze hat, die miteinander korreliert sind, Zahnspangen und Pubertät, dann ist das eine Korrelation, aber natürlich verursachen Zahnspangen keine Pubertät.
Das heißt, wir Menschen sind die einzigen, die Kausalität erkennen können, die verstehen, was wir tun, und solange ein Computer nicht weiß, was er lernt, ist er meiner Meinung nach weder intelligent noch kreativ, und da scheitert es bisher generell. Also wir haben keine Ahnung in der Neurowissenschaft, wie unser Gehirn sowas wie Bewusstsein entstehen lässt, und solange wir das nicht wissen, werden wir wahrscheinlich auch keine Computer programmieren können, die sowas wie ein Bewusstsein entstehen lassen können.
Illustration zum Thema Künstliche Intelligenz - ein Gehirn über einer Festplatte in Blau mit Verfremdungseffekten.
Künstliche Intelligenz© imago / Christian Lagerek / Science Photo Libra
Kassel: Das heißt, die Vorstellung, dass wir das vielleicht auch gar nicht müssen, sondern das wir erst mal etwas anstoßen, was sich dann regelrecht weiterentwickelt, selber sich programmiert und nicht mehr unsere Probleme löst, sondern sogar selber guckt, wo findet die KI eigentlich Probleme, die sie für relevant hält, dieser Gedanke macht Ihnen auch erst mal keine Angst?
Ebert: Ja, also wenn wir sorgsam mit den Daten umgehen … Also ich mache in meinen Vorträgen, meinen Shows diese Geschichte auf, dass ich sage, das ist schon jetzt, wenn, was weiß ich, bei Banken, die haben so Scoringsysteme, und wenn ein Scoringsystem herausfindet, dass zum Beispiel ein Schwarzer eine niedrigere Kreditfähigkeit hat als ein Weißer, dann diskriminiert dieser Algorithmus, indem er Schwarzen eben keinen Kredit gibt.
Wenn wir einfach blind diesem Algorithmus glauben, dann ist das fatal. Wenn wir stattdessen hingehen und sagen, was bedeutet dieses Ergebnis denn eigentlich, wie müssen wir das interpretieren, macht das überhaupt Sinn, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Deutungshoheit nicht dem Silicon Valley überlassen

Kassel: Aber das heißt natürlich auch, dass man eigentlich nicht nur Geld investieren müsste in Wissenschaft, die solche Techniken entwickelt, welche auch immer, was auch immer man alles verstehen will unter KI, sondern wir müssten ja eigentlich auch in soziale Fragen investieren. Ich meine, banal natürlich, Arbeitsplätze können wegfallen durch Automatisierung, die auch was mit KI zu tun hat, aber auch das, was Sie gesagt haben, Big Data versus Datenschutz und viele andere Fragen. An sich müsste man doch auch in diese Richtung in die Zukunft denken.
Ebert: Auf jeden Fall. Also neben der Computerpower, neben dem Netzausbau, da sind wir uns einig, dass da was passieren muss in Deutschland, aber neben diesen allen technischen Dingen, ist es meiner Meinung nach genauso wichtig, eine soziale Kompetenz für diese Systeme zu entwickeln. Das Silicon Valley ist in vielerlei Hinsicht toll, weil da ein Unternehmergeist entsteht, weil da Leute sind, die wirklich positiv verrückt sind, die sagen, wir machen das einfach.
Aber die haben natürlich auch eine vollkommen andere Vorstellung von Datenschutz und von Macht, was diese Systeme machen können, und da dürfen wir meiner Meinung nach die Deutungshoheit nicht gänzlich dem Silicon Valley überlassen, sondern wir haben einfach eine andere Vorstellung von Sensibilität mit Daten. Da ist es wahnsinnig wichtig, meiner Meinung nach, da auch eine Debatte zu führen und zu sagen, was wollen wir denn eigentlich, wie wollen wir mit diesen Systemen umgehen.
Kassel: Nun könnte man manchmal auch den Verdacht haben, bei dem Digitalgipfel, wenn die jetzt sagen, Milliarden für KI, wir reden jetzt mal zwei Tage nur über KI, dass man auch ablenken will. Die Bundesforschungsministerin ist ja neulich mit der Aussage aufgefallen, man bräuchte nicht an jeder Milchkanne 5G. Also 5G ist das nächste schnelle Mobilfunksystem. Was sie natürlich – so ist sie verstanden worden – indirekt gesagt hat, nicht jedes kleine Dorf braucht schnelles Internet. Das kann man auch anders sehen. Haben Sie manchmal das Gefühl, mit den Blicken ins Jahr 2025, 2035, will man auch politisch davon ablenken, dass man die aktuellen, viel banaleren Digitalprobleme eigentlich noch nicht gelöst hat?
Ebert: Kann ich nicht beurteilen. Ich sehe nur, ich halte im Jahr ungefähr 80 Vorträge vor Unternehmen, viel Mittelständler, viel Provinz, wo die Milchkannen stehen, und wir haben eben in Deutschland diese tolle Situation, dass wir in der Provinz Weltmarktführer haben: schwäbische Alb oder Ostwestfalen, da sind eine Menge tolle Unternehmen. Wir müssen auch in die Provinz mit dem schnellen Internet rein, weil in der Provinz oftmals Leute sitzen, die die deutsche Industrie tatsächlich voranbringen.

Das Know-how ist da, doch bei der Vermarktung hapert es

Kassel: Glauben Sie denn, dass man eins noch schaffen könnte, danach riecht das für mich, was die jetzt vorhaben auf ihrem Digitalgipfel, nämlich mit der KI nicht in die gleiche Falle zu tappen wie mit dem Internet? Sie wissen, was ich meine: Alle großen Internetkonzerne, die, vielleicht von China mal abgesehen, fast überall den Weltmarkt beherrschen, kommen aus den USA, und ich glaube, wenn wir jetzt über Suchmaschinen, die berühmte europäische Suchmaschine – die es übrigens gibt, bloß kaum einer kennt sie – reden, das ist ja alles nicht mehr realistischerweise einzuholen, diesen Vorsprung, den Google, Microsoft, Apple und ein paar andere haben. Glauben Sie, wir haben eine Chance, bei KI in Europa wirklich eine Rolle zu spielen, die vielleicht so groß ist, wie im Internet bisher die Rolle amerikanischer Firmen?
Ebert: Absolut. Die haben wir ja teilweise schon, nur halt nicht in diesen, ich sage jetzt mal, in diesen hippen Themen, die das Silicon Valley so hypt. Also ich habe mich neulich mit einem Siemens-Vorstand unterhalten, der gemeint hat, na ja, wenn Sie jetzt eine Stanzmaschine haben, die ungefähr so groß ist wie ein Einfamilienhaus, 50 Datenpunkte müssen Sie Sachen abgreifen, und mit einer intelligenten Digitalisierung versuchen, diese Maschine zu digitalisieren, wenn Sie da jemanden aus dem Silicon Valley hinsetzen, dann steht denen der Mund offen, und dann wissen die nicht, was sie tun sollen.
Also in diesen Bereichen, die natürlich nicht so hip sind wie eine neue Uber-App zu entwickeln, in diesen Bereichen sind wir Deutschen schon sehr, sehr gut, und da guckt das Silicon Valley durchaus auch mit einem neidischen Blick nach Deutschland. Wir müssen es nur ein bisschen besser vermarkten. Wir müssen auch einfach mal stolz sein, zu sagen, okay, wir haben jetzt nicht eine Suchmaschine, aber wir können Stanzmaschinen, die klassische Maschinenbaudomäne von Deutschland, die können wir digitalisieren, und da sind wir sehr, sehr gut drin.
Kassel: Der Diplom-Physiker Vince Ebert über die Rolle von Künstlicher Intelligenz, um die es ab heute auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung geht. Als Kabarettist ist Vince Ebert aktuell mit seinem Programm "Zukunft is the future" im Winter in ganz Deutschland zu erleben, am Freitag zum Beispiel in München, und ein englisches Programm hat er auch noch am Start, "Sexy Science", eigentlich natürlich für Großbritannien, Amerika gedacht, aber ebenfalls in diesem Winter so ungefähr einmal im Monat in Frankfurt am Main zu erleben. Herr Ebert, vielen Dank fürs Gespräch und viel Erfolg bei allem!
Ebert: Danke! Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Wer nur genug Informationen über Dinge, Menschen und Entwicklungen hat, kann sie durchdringen, vorhersehen und wirksam beeinflussen, so ein verbreiteter Glaube in der Informationsgesellschaft. Für den Politikwissenschaftler Robert Feustel allerdings nehmen wir das viel zu selbstverständlich an. Denn genau dieser Glaube an die Kraft der Information bewirke, dass wir immer schlechter zwischen Fakten und Lügen unterscheiden - und damit unsere Demokratien gefährden. Audio Player

Mehr zum Thema