Zellulose aus Chile

Unser Papier schädigt ihre Umwelt

23:12 Minuten
Blick auf die Zellulose-Fabrik in Nueva Aldea, Chile.
Die Anwohner fürchten Umweltverschmutzung: eine Zellulose-Fabrik in Chile. © imago / William Henry
Von Sophia Boddenberg · 21.08.2019
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Kaffeebecher, Internetbestellungen, Werbeprospekte - Industrieländer verbrauchen immer mehr Papier. Davon profitiert ein Unternehmen aus Chile, das gerade zum zweitgrößten Zellulose-Produzenten der Welt aufsteigt. Mit Folgen für die Umwelt.
Mit Trommeln und Trillerpfeifen machen Tausende Leute Lärm für sauberes, bezahlbares Wasser. Jedes Jahr im April steigt in Chile dieser "Marcha por el Agua". Organisiert wird er von der "Bewegung für das Wasser und die Territorien". Mit dabei ist auch Carolina Lagos, 48 Jahre, Agrarökonomin.
Sie kritisiert wie die anderen, dass Chile das einzige Land der Welt ist, in dem Wasserressourcen und Wassermanagement fast vollständig privatisiert sind. So bestimmen Konzerne über das lebenswichtige Gut. Vor allem die Forstindustrie gilt als Verursacher von Wasserkonflikten in Chile.
"In Chile passieren so unglaubliche Dinge: In Regionen, wo die Forstindustrie ist, fehlt es an Wasser – die Hälfte der Gemeinden muss mit Tankwagen versorgt werden, damit die Leute trinken und sich waschen können. Aber für die Landwirtschaft oder Tierhaltung reicht das Wasser nicht mehr. Obwohl es dort bis zu 2500 Millimeter im Jahr regnet. Schuld sind die Bäume der Forstindustrie. Sie verbrauchen so viel Wasser, dass sie die Grundwasserbestände aufbrauchen. Das Hauptziel der Forstindustrie in Chile ist die Produktion von Zellulose. Die Zellulose-Fabriken verursachen viele Probleme für die Gemeinden und das Ökosystem."

Die Zellulose-Fabrik soll viele Arbeitsplätze bringen

Eine dieser Gemeinden, in denen die Forstindustrie sitzt, ist die Comuna de Arauco, etwa 500 Kilometer südlich von Chiles Hauptstadt Santiago. Hier befindet sich die größte Zellulose-Fabrik Chiles – die "Planta Horcones". Sie gehört dem Unternehmen "Celulosa Arauco y Constitución", das viele schlicht "Arauco" nennen. Ein Name, der in der Papier-Branche immer wichtiger wird, denn "Arauco" will zum zweitgrößten Zellulose-Produzenten der Welt aufsteigen. Der Konzern hat schon Fabriken in Uruguay, Brasilien, Argentinien, den USA und Kanada, aber die größte Investition der eigenen Geschichte fließt nun mit zwei Millionen US-Dollar hier in die chilenische Provinz.
Die hiesige Fabrik soll massiv ausgebaut werden, was Umweltaktivisten wie Virginia Perez auf den Plan ruft. Die 57-Jährige hat braune Haare, trägt eine Brille und ist Mitglied des Stadtrats. Mit ihrem grauen Geländewagen fährt sie mit mir in Richtung der Zellulose-Fabrik.
"Unsere Provinz ist dazu verdammt, mit einer Zellulose-Fabrik zu leben, die gut zwei Millionen Tonnen Zellulose im Jahr produzieren wird. Das ist ungerecht. Sie haben sehr gute Arbeit darin geleistet, die Leute zu überreden. Viele haben ihnen geglaubt und befürworten die Fabrik."
Umweltaktivisten Virginia Perez vor der Zellulosefabrik Zellulose-Fabrik Arauco.
"Die Zellulose-Fabriken verursachen viele Probleme" - Umweltaktivisten Virginia Perez vor dem Fabriktor von "Arauco".© Sophia Boddenberg
Dem Unternehmen "Arauco" zufolge soll der Fabrik-Ausbau 5000 Arbeitsplätze während der Bauzeit bis 2021 schaffen und danach 1000 feste Arbeitsplätze, um damit zur Entwicklung der Gemeinde beizutragen.
"Sie schreiben Stellen aus und dann bringen sie ihre eigenen Leute von außerhalb mit. Der Beitrag zur Gemeinde ist gleich null. Die Sicherheitskräfte und die Plantagen-Arbeiter sind unsere Leute. Aber alle Fachkräfte kommen von außerhalb."
Pérez fährt vorbei an Kiefern mit sattgrünen Nadeln, soweit das Auge reicht. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, es sei ein Wald. Aber in Wirklichkeit sind es Forstplantagen.

Für Monokultur-Plantagen mussten Naturwälder weichen

"Hier sieht man, dass unter den Kiefern nichts wächst. Unter den Kiefern sterben alle Pflanzen, weil sie kein Sonnenlicht abgekommen und weil die Kiefern so viel Wasser verbrauchen, dass die anderen Pflanzen nicht wachsen können."
Fast drei Millionen Hektar sind in Chile mit Kiefern und Eukalyptus bepflanzt. Beide sind keine einheimischen Pflanzen, aber lukrativ für die Holz- und Zellulose-Industrie, weil sie besonders schnell wachsen. Für die Monokultur-Plantagen mussten Naturwälder und artenreiche Ökosysteme weichen.
Um das Holz zu Zellulose zu verarbeiten, wird viel Wasser und Energie verbraucht. Zahlreiche Chemikalien kommen zum Einsatz, Schadstoffe wie Stickstoff und Schwefel werden freigesetzt und belasten die Luft. Und im Abwasser der Zellulose-Industrie landen organische Kohlenstoffverbindungen, die nur schwer abbaubar sind.
Umweltschützerin Pérez stoppt das Auto an einer Absperrung der Fabrik. Dahinter befinden sich mehrere riesige Kessel, aus denen Dampf in die Luft steigt. Es riecht nach faulen Eiern. Offensichtlich Schwefel.
"Hier werden alle flüssigen Abfälle von der Zellulose-Fabrik verarbeitet. Ich habe mich schon an den Gestank gewöhnt, aber er ist ekelhaft. Diese Kessel sind schon sehr alt und wir fordern, dass sie ausgetauscht werden. Aber wir haben lediglich erreicht, dass sie die Deckel austauschen. Der Gestank hat Auswirkungen auf die Gesundheit, er richtet einen emotionalen, psychologischen und körperlichen Schaden an, wie Bauchschmerzen, Lungenprobleme und Augenirritationen."

Fischer beklagt Verschmutzung des Meeres

Die Zellulose-Fabrik von "Arauco" befindet sich direkt neben dem Strand. Hier parkt Pérez, sie will sich einen Kanal genauer ansehen, der Abwässer von der Fabrik ins Meer leitet. Dem Unternehmen "Arauco" zufolge wird das Wasser zuerst in einer Kläranlage gereinigt und dann in den Pazifik abgeleitet. Pérez glaubt das nicht. "Arauco" hat schon häufiger Schlagzeilen gemacht, weil es mit Schadstoffen belastetes Abwasser ins Meer oder in Flüsse geleitet hat. 2004 zum Beispiel starben deshalb Tausende Schwäne im Río Cruces nahe der Stadt Valdivia.
Hier in der Comuna de Arauco fallen die dunklen Wolken aus der Zellulose-Fabrik ins Auge. Sie stören das idyllische Bild des kilometerlangen Sandstrandes. Spaziergänger und Angler kommen gelegentlich vorbei. Einer von ihnen ist José Nuñez, er trägt eine Kappe und eine Brille.
Angler José Nuñez steht am Strand neben der Fabrik von Arauco.
Früher gab es hier mehr Fische, meint Angler José Nunez. Der Strand liegt neben der Fabrik von "Arauco".© Sophia Boddenberg
"Die Verschmutzung ist ein Problem für uns. Sie hat Auswirkungen auf die Fische. Das Wasser und die Böden sind verschmutzt. Seit ich ein Kind bin, komme ich hierher zum Angeln. Bis in die 70er-Jahre gab es hier noch jede Menge Fisch. Aber wegen der Verschmutzung durch die Fabrik gibt es jetzt kaum noch Fische."
Virginia Pérez fordert deshalb, dass das Unternehmen "Arauco" mehr Maßnahmen für den Umweltschutz ergreifen soll. Sie ist von Beruf Kindergärtnerin und erhofft sich eine bessere Zukunft für die Kinder, die sie betreut.
"Die Zahl von Kindern mit Lerndefiziten und Verhaltensstörungen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Warum? Wir leben zwischen Meer und Wald in einer Umgebung, die äußerlich sauber wirkt, aber tatsächlich ist alles verseucht. Das führt zu Verzweiflung bei den Bewohnern. Sie haben schon lange die Hoffnung auf eine bessere Lebensqualität verloren. Die Sichtweise des Unternehmens ist rein wirtschaftlich. Es geht darum, mehr Zellulose zu produzieren. Alles, was hier produziert wird, wird exportiert. Wir sehen es dann später als fertiges Papier wieder."

Deutsche vorn bei Papier-pro-Kopf-Verbrauch

Zahlen des Verbands Deutscher Papierfabriken zufolge hat sich der weltweite Papierverbrauch in den letzten 30 Jahren mehr als verdoppelt. Weit vorne im Pro-Kopf-Verbrauch liegen die Deutschen. Und der Großteil des in deutschen Papierfabriken eingesetzten Zellstoffs wird importiert, hauptsächlich aus südamerikanischen Ländern wie Brasilien, Chile und Uruguay. Und wofür das alles? Mehr als die Hälfte des weltweit produzierten Papiers wird für Verpackungen genutzt.
Nutznießer dieser steigenden Nachfrage ist die Zellulose-Industrie Chiles. Ihr Ursprung liegt in der Militärdiktatur von Augusto Pinochet. Er verabschiedete 1974 das Dekret 701, das durch staatliche Subventionen den Forstunternehmen die massive Anpflanzung von Kiefern und Eukalyptus ermöglichte. So wurden in den 80er- und 90er-Jahren ein Drittel der Naturwälder in Plantagen umgewandelt.

Indigene Mapuche verloren Land an Forstindustrie

Besonders stark betroffen von der Expansion der Forst-Plantagen sind die Mapuche, das größte indigene Volk Chiles. Sie wurden von ihren Ländereien vertrieben, die jetzt den Forstunternehmen gehören. Etwa 150 Kilometer südlich von der Zellulose-Fabrik von "Arauco", in der Comuna de Tirúa, hat eine Mapuche-Gemeinde ein 300 Hektar großes Grundstück besetzt, das sie einst bewohnten und das jetzt dem Forstunternehmens CMPC, auch bekannt als "Mininco", gehört. Es ist nach "Arauco" das zweitgrößte Forstunternehmen in Chile. Hortencia Curin Aniñir ist Präsidentin der Mapuche-Gemeinde Ignacio Curin Carril.
"Wir wollen dieses Land, um Tiere zu halten und Obst und Gemüse anzubauen. Wir wollen, dass der Staat uns dieses Land zurückgibt, weil es uns gehört. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und lebe in Armut. Wir sind elf Geschwister. Alles, was wir hier erleiden, hat das Unternehmen verursacht. Deshalb wollen wir einen Schadensersatz vom Unternehmen. Wir haben kein Wasser, die Luft ist verschmutzt und die Leute sind krank wegen der Pestizide."
Hortensia Aniñir mit der Flagge der Mapuche - die Indigenen in Chile wollen ihr Land zurück.
Hortensia Aniñir mit der Flagge der Mapuche - die Indigenen in Chile wollen ihr Land zurück von der Forstindustrie.© Sophia Boddenberg
Aniñir erklärt, dass ihre Gemeinde während der Militärdiktatur vertrieben wurde und auf einem kleinen Stück Land zusammengepfercht leben muss. Der Platz reicht nicht aus, um Obst und Gemüse für die Selbstversorgung anzubauen. Seit 15 Jahren fordern sie die Rückgabe ihres Landes. Aber da weder die Regierung noch das Unternehmen reagiert haben, besetzen sie jetzt das Grundstück.
"Durch die Pestizide ist hier alles abgestorben. Früher war dieses Land fruchtbar, hier wuchsen Heilpflanzen, Obst, Gemüse. Aber sie haben alles zerstört. Wir wollen, dass diese Kiefern verschwinden. Wir wollen hier wieder anpflanzen."

Mapuche fordern: vollständige Rückgabe der Ländereien

Manche Mapuche-Gemeinden haben es geschafft, durch Landbesetzungen einen Teil ihrer Ländereien zurückzuerhalten, so zum Beispiel die Gemeinde Temucuicui. 2003 erhielt sie nach jahrzehntelangem Widerstand gegen das Forstunternehmen CMPC 1900 Hektar Land. Das Unternehmen verkaufte das Land an die staatliche Behörde für indigene Entwicklung CONADI, die es anschließend an die Gemeinde übergab. Für eine vollständige Landrückgabe aller Mapuche-Ländereien kämpft Jaime Huenchullán – er ist 40 Jahre alt und lebt in der Gemeinde Temucuicui.
"Der Staat hat eine Politik des Genozids in unserem Territorium verfolgt. Sie haben die gesamte Flora und Fauna zerstört, um Kiefern und Eukalyptus anzupflanzen. Unser Volk fordert sein Land zurück. Die Erinnerung ist noch lebendig, dass diese Erde einst unseren Großeltern und Urgroßeltern gehörte. Deshalb kämpfen wir dafür, zum Land unserer Vorfahren zurückzukehren."
Huenchullán und weitere Bewohner der Gemeinde Temucuicui waren schon mehrfach im Gefängnis, verhaftet unter dem Vorwand des chilenischen Anti-Terror-Gesetzes, das von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert wird. Der Kampf um Land wird auch mit Waffen ausgetragen: Im November 2018 erschoss ein Polizist den 24-jährigen Mapuche Camilo Catrillanca in der Gemeinde Temucuicui.
"Die Verfolgung unseres Volkes durch den Staat hat nicht aufgehört. Wir fordern unsere Rechte auf Land und politische Rechte ein. Die Antwort des Staates ist die Militarisierung dieser Region. Seit 2012 haben wir hier einen Militärstützpunkt nebenan, ausgerechnet dort wo die Gemeinden protestieren."

Nachhaltigkeitslabel FSC in der Kritik

Die Zellulose-Konzerne "Arauco y Constitución" und CMPC werben auf ihren Internetseiten damit, dass sie hervorragende Beziehungen zu den Gemeinden pflegen und nachhaltige Forstwirtschaft betreiben. Beide sind mit dem "Forest Stewardship Council" – kurz FSC - ausgezeichnet, ein internationales Zertifizierungssystem für nachhaltigere Waldwirtschaft. Mauricio Leiva ist zuständig für Öffentlichkeitsarbeit im Unternehmen "Arauco":
"Wir wollten uns mit dem FSC-Zertifikat auszeichnen lassen, weil die Prinzipien mit der Nachhaltigkeitslinie unseres Unternehmens übereinstimmen. Während des Zertifizierungsprozesses von 2010 bis 2013 haben wir verschiedene Foren veranstaltet und Arbeiter, Nachbarn und Mapuche-Gemeinden eingeladen, um Ideen auszutauschen."
Mauricio Leiva meint außerdem, dass die Forstplantagen von "Arauco" einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Das sieht Lucio Cuenca anders. Er ist Direktor des "Lateinamerikanischen Observatoriums für Umweltkonflikte", eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Santiago. Die Forstindustrie in Chile hat für ihn nichts mit Klimaschutz zu tun.
"Wir können nicht erlauben, dass wegen wirtschaftlicher Interessen komplette Ökosysteme zerstört werden. Es ist doch so: Die Unternehmen wollen, dass ihre Forstplantagen anerkannt werden, weil sie Kohlendioxid aufnehmen. Und wenn 'Arauco' jetzt durch den Fabrik-Ausbau aus Biomasse Strom erzeugen will, soll das auch die CO2-Bilanz verbessern. Viele Zellulose-Fabriken von 'Arauco' sind deshalb zertifiziert worden. Aber in Wirklichkeit ist der Beitrag minimal und sie wollen so Subventionen erhalten, um ihre eigenen Produktionskosten zu senken."
Nicht nur wegen der negativen Folgen für die Umwelt, sondern auch wegen der Landkonflikte mit den Mapuche hält Lucio Cuenca Zertifikate wie das deutsche Label für nachhaltige Forstwirtschaft - FSC - für fragwürdig in Chile.
"Diese Industrie sollte von keinem internationalen System zertifiziert werden, weil alle Unternehmen Konflikte mit dem Volk der Mapuche haben. Eines der Prinzipien des FSC ist, dass die Grundstücke des Unternehmens keine Konflikte mit der Landbevölkerung oder indigenen Völkern verursachen dürfen, und das ist hier der Fall."
Auch Umweltaktivistin Virginia Pérez hält nichts von den Zertifikaten der Nichtregierungsorganisation FSC, die ihren Sitz in Bonn hat und mit nachhaltiger Waldnutzung wirbt:
"Ich vertraue FSC nicht. Dahinter stehen leider viele wirtschaftliche Interessen. Wir haben zum Beispiel gefordert, dass die Plantagen nicht weniger als 30 Meter von den Gewässern entfernt gepflanzt werden dürfen. Nichts ist passiert. FSC zertifiziert, dass die Lebensqualität und die Biodiversität beschützt werden. Aber unsere Gewässer sind verschmutzt. Hier sehen wir einen Kanal, der Abwasser ins Meer leitet."
Sie macht Fotos von dem Kanal, um Beweismaterial gegen das Unternehmen zu sammeln. Weder FSC-Mitarbeiter noch der Staat würden wirklich kontrollieren, was hier passiert, sagt sie.
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