Artenschutz kontra Investition

Seltene Kröte als Investorenalbtraum

09:36 Minuten
Balzendes Kreuzkröten-Männchen mit aufgeblähter Schallblase.
Die Kreuzkröte, ein mittelgroßer Froschlurch, ist in Deutschland kaum noch zu finden. Sie quakt nicht, sondern schnarrt metallisch. © imago / imagebroker / Franz Christoph Robiller
Von Ernst-Ludwig von Aster · 10.08.2022
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Mit Wohnungen, Kitas, Schulen, Geschäften und natürlich einem Möbelhaus wollte ein Möbelhaus-Unternehmer auf einer Bahn-Brachfläche sein Geschäft und Berlin beleben. Doch dann kam die Kröte. Die Frage ist nun: Wer hat mehr Rechte?
Juliana Schlaberg eilt den Bürgersteig entlang. Links die stark befahrene Straße, rechts ein Maschendrahtzaun. Dahinter Gestrüpp, Betonreste, junge Bäume, weites Gelände. Dies ist eines der begehrtesten Baugebiete in Berlin. Und eines der Umstrittensten: das Pankower Tor. "Man sieht sehr schön, wie an sehr vielen Stellen der Asphalt der Fläche hier schon aufgebrochen ist. Und da zahlreiche Pflanzen sich ihren Weg durchgekämpft haben. Es blüht wunderschön, das ist natürlich für die Insekten auf der Fläche herrlich."
Die Natur in der Stadt, das ist Schlabergs Arbeitsgebiet. Sie ist Referentin beim Naturschutzbund Berlin, kurz NABU. Und für den steht das ehemalige Bahnhofsgelände in Pankow, das vor 25 Jahren geschlossen wurde,  ganz oben auf der Prioritätenliste: "Das ist wunderschön. Und dadurch haben sich auch viele Tiere und Pflanzen angesiedelt, mit denen sonst so keiner gerechnet hat. Das ist ganz natürlich passiert. Und 2008 hat ein NABU-Mitglied dann eben festgestellt, dass die Kreuzkröten sich dann eben auf diesem Gelände niedergelassen haben. Und seitdem sich hier fleißig vermehren und vorkommen."
Blick auf das Areal des Bauprojekts "Pankower Tor" zwischen Pasewalker Straße, Damerowstraße und Granitzstraße in Heinersdorf im Bezirk Pankow.
Im Berliner Norden zwischen Pankow und Heinersdorf hat ein Möbelhaus-Magnat das Gelände von einer Bahn-Tochter gekauft. Seit mehr als zehn Jahren versucht er, die Bagger rollen zu lassen.© imago / Jürgen Ritter

Ein seltener Froschlurch auf der Brache

Die Kreuzkröte – Buffo calamita – ein mittelgroßer Froschlurch ist in Deutschland kaum noch zu finden. Sie quakt nicht, sondern schnarrt metallisch. Sie hüpft nicht, sondern läuft. In der Hauptstadt, auf dem alten Bahngelände, scheint sie sich wohlzufühlen. "Es ist unglaublich, wie viele Tiere hier sind. Es ist eigentlich schon eine Population von nationalem Interesse, so wurde uns das von Amphibienexperten schon genannt, denn momentan gibt es schon gar nicht mehr so viele Kreuzkröten in Deutschland und auch EU-weit nicht. Die Kreuzkröte ist deshalb über die EU-FFH-Richtlinie geschützt, eine besondere Schutzrichtlinie für Arten, die europaweit bedroht sind."

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Als „stark gefährdet“ steht diese Art in Deutschland auf der Roten Liste. Die EU fordert Maßnahmen zu ihrer Erhaltung und Fortpflanzung. Das macht die Kreuzkröte zum Amphibien-VIP. Die Tiere dürfen weder gefangen, noch gestört, ihre Population unter keinen Umständen reduziert werden. Ein Albtraum für jeden Investor.
In Pankow hatte ein Möbelhaus-Magnat das Gelände von einer Bahn-Tochter gekauft. Seit mehr als zehn Jahren versucht er die Bagger rollen zu lassen. Erst sollten nur Geschäfte auf dem Gelände entstehen. Jetzt sind auch 2000 Wohnungen geplant. Im vergangenen Jahr bescheinigte die damalige grüne Umweltsenatorin dem Investor in einem „Feststellungsbescheid“ ein – Zitat - „überwiegendes öffentliches Interesse“ für sein Vorhaben.  Aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen sei die Umsiedlung der Kreuzkröten-Population „alternativlos“. Damit ging der Kröten-Kampf in die erste harte Runde. Der Naturschutzbund reichte Klage ein.

Spannendes Warten auf das Ergebnis der Klage

"Und wir haben gesagt: 'Es kann nicht sein, dass das Interesse eines Investors über das geltende EU-Recht gestellt wird.' Und deswegen haben wir gesagt: 'Da müssen wir wirklich mal gegen klagen.' Und die Klage läuft jetzt seit einem Jahr ungefähr. Wir sind gespannt, was da rauskommt", sagt Juliana Schlaberg.

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Podcast: Länderreport
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Gespannt wartet auch Rona Tietje. Und das schon lange: "Ich würde mir wünschen, dass es manchmal ein bisschen schneller geht. Aber die Verantwortlichkeiten sind so, wie sie sind. Man kennt ja die Rahmenbedingungen, und darum sage ich immer: 'Augen auf bei der Berufswahl!' Da arrangieren wir uns mit." Tietje ist Bezirkstadträtin in Pankow, zuständig für Stadtentwicklung und Bürgerdienste und damit auch für die Bebauungsplanung am Pankower Tor. "Zwischen 10 und 15 Jahre ist die Diskussion da, vor allem das Thema Wohnungsbau haben wir sehr massiv da reingebracht, auch Schule, Kita, weil das ja sozusagen das Wichtige für uns ist."

Eingewandert entlang der Gleise

Im ersten Plan standen ein Möbelhaus und eine Shopping-Mall, Wohnungen waren nicht vorgesehen. Heute finden sich – neben dem Möbelhaus – 2000 Wohnungen im Masterplan, zwei Schulen und zwei Kindertagesstätten. Nur mit der Kreuzkröte hatte lange niemand gerechnet. Während über Jahre Bezirk, Senat und Investor über die Bebauung feilschten, nahm die Kröte das Gelände in Besitz.
Wahrscheinlich, so mutmaßen Biologen, wanderte sie entlang der stillgelegten Gleise in das Planungsgebiet von Bezirksstadträtin Rona Tietje: "Das ist ja häufig so bei Artenschutzthemen: Je länger die Prozesse dauern, dass da dann irgendwie sich dann auch Arten dann da ansiedeln, so ein Stück weit ist es, glaube ich, auch bei der Kreuzkröte gewesen. Diese Kröte ist wohl auch relativ anspruchsvoll weil sie feuchte und sandige Böden braucht."

Die Kröte ist schneller als die Planer

Langsame Bauplanung, schnelle Kröten-Besiedlung. Das ist die Lage. Und bei der weiteren Planung führt an der Kreuzkröte jetzt kein Weg vorbei. Bis zu einer Milliarde Euro soll auf dem Gelände investiert werden. Berlins Regierende Bürgermeisterin Giffey hat das Pankower Tor dann auch zum „zentralen Flagschiffprojekt“ erklärt.
Der Investor forderte öffentlich, sie solle „ein Machtwort sprechen“ und „auf den Tisch hauen“. Das tat sie allerdings beides nicht. Dafür aber trafen sich der Bausenator, die Umweltsenatorin, der Investor und Bezirksstadträtin Tietje zum Krötengipfel: "Dass man da jetzt kurzfristig abschließende Lösungen findet, ist sicherlich zu viel der Erwartung. Was ganz wichtig war bei dem Treffen, dass man sich versichert hat, dass da alle an einem Strang ziehen. Dass zum Beispiel auch die Umweltsenatorin deutlich gemacht hat, dass dieses Projekt für sie Priorität hat und da auch mitwirken wird, an der Lösung, dass man es hinkriegt, die Kreuzkröten umzusiedeln."

Ein Kreuzkröten-Umsiedlungskonzept vom Investor

Doch wie, dazu möchte aus der Verwaltung der neuen grünen Umweltsenatorin derzeit niemand etwas ins Mikrofon sagen. Auch der Investor schweigt, verweist stattdessen auf die Bezirksstadträtin. Die sei Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um das Bauprojekt. Als Sprecherin für den Möbelhaus-Magnaten sehe sie sich aber nicht, stellt Rona Tietje klar.
Fest steht: Der Investor präsentierte ein Kreuzkröten-Umsiedlungskonzept. Zwei Gebiete in Brandenburg seien krötentauglich, so steht es auf 38 Seiten, in einem von ihm in Auftrag gegeben Gutachten: "Der Investor hat da ja auch ein sehr detailliertes Konzept schon vorgelegt und hätte sich da sicherlich gewünscht, da sofort grünes Licht für zu bekommen." Bekam er aber nicht. Denn so einfach scheint die länderübergreifende Krötenbewegung nicht zu sein.

Es geht um die Größe der Berlin-Population

"So, wie mir das skizziert wurde, ist das Problem, dass es die einzige Krötenpopulation in Berlin ist. Und dass das heißen würde, wenn die Kröte nun aus Berlin verschwindet, dass sie dann gemäß der Roten Liste in Berlin ausgestorben wäre." Also muss der Investor weiter warten. Ebenso wie die Bezirksstadträtin. Darauf, was die Naturschutzbehörden ausarbeiten und wie das Verwaltungsgericht den Feststellungsbescheid bewertet. 

"Wir planen in aller gebotenen Vorsicht, dass wir im nächsten Jahr die zweite Stufe der Öffentlichkeitsbeteiligung, der Behördenbeteiligung durchführen können und Ende 2023, Anfang 2024 zu einer Planreife kommen und Ende 2024 den Bebauungsplan festsetzen können."

Rona Tietje

Am Maschendrahtzaun greift Juliana Schlaberg vom NABU zum Fernglas, lässt den Blick übers Gelände schweifen. 641 Kreuzkröten zählten die Umweltschützer beim letzten Monitoring: "Umsiedlungen von Kreuzkröten sind extrem schwierig und häufig nicht von Erfolg gekrönt. Uns ist bislang auch keine bekannt, die langfristig erfolgreich war, auch in dieser Größe. Aus Nordrhein-Westfalen ist uns eine Umsiedlung bekannt, die nach neun Jahren einfach gescheitert ist. Nach neun Jahren war die Population verschollen. Und sie wissen leider nicht, was passiert ist, wo die einfach hin sind, die Tiere…"
Juliana Schlaberg vom NABU (Foto v Aster  - Grenzgänger)
Juliana Schlaberg vom NABU hat die Kreuzkröten fest im Blick.© Ernst-Ludwig von Aster

Wo die Kröte hinsoll, behagt es ihr nicht immer

Schlaberg schüttelt den Kopf. Zwei Umsiedlungen hat der NABU in Berlin versucht, sagt sie. Ohne Erfolg. Und der Blick nach Brandenburg: "In Brandenburg ist es aber so, dass dort auch gerade der Bestand der Kreuzkröten abnehmend ist. Und das seit Jahren. Das heißt, die haben auch immer weniger Kreuzkröten, freuen sich natürlich jetzt, wenn sie neue bekommen. Und dann ist natürlich die Frage, wie gut schafft Brandenburg das, die zu schützen und zu erhalten. Nach der EU-FFH-Richtlinie darf sich der Zustand der Population nicht weiter verschlechtern. Und da ist die Frage, ob der Investor das überhaupt einhalten kann."

Kompromiss zwischen Kröte und Wohnung

Bleibt vorerst also Berlin. Als Kreuzkröten-Standort. Doch dem Wohnungsbau-Argument will sich auch der NABU nicht gänzlich verschließen. Kröten-Domizil und Wohnungsbau – das ist sein Kompromissvorschlag. "Das ist ein Vorschlag von uns, dass auf jeden Fall ein Teil der Population auf dem Gelände bleibt, denn hier wissen wir jetzt, hier reproduzieren die sich, hier kommen sie klar. Irgendwie passen die Lebensbedingungen für die. Deshalb wollen wir gerne, dass das dann auf drei Flächen verteilt wird, ein Teil auf dieser Fläche bleibt und dann eben auf zwei Flächen woanders verteilt wird. Und dann eben versucht wird, dass die sich da ansiedeln."
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