Bausektor und Klimaziele

Warum wir jetzt keinen Mist bauen dürfen

29:51 Minuten
Blick auf die Baustelle eines Hochhauses am Steglitzer Kreisel im Dezember 2021 im Abendlicht.
Bauprojekt in Berlin: Wie ist es zu schaffen, nicht zu viel und nicht zu wenig, am richtigen Ort und nachhaltig zu bauen? © imago / Dirk Sattler
Von Valerie von Kittlitz · 01.03.2022
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Die Bauwirtschaft ist eine Schlüsselindustrie und gleichzeitig eine der Hauptproduzenten von Abfall und CO2. Nun will die Ampel-Regierung einerseits Klima- und Nachhaltigkeitsziele verfolgen, andererseits noch mehr bauen. Wie passt das zusammen?
Berlin gilt als ewige Baustelle. Die Bilder gleichen sich dabei häufig: Der Bürgersteig wird abgesperrt. Von da an gibt es jeden Morgen Krach auf dem Bau. Und irgendwann wird ein neues Haus dastehen.
Auch auf der Landstraße oder Autobahn merkt man es: Die Bauindustrie ist in Deutschland ein Schwergewicht. Und sie betrifft uns alle.

Die Bauwirtschaft betrifft uns alle

„Wir alle wohnen, jeder braucht Heizung, jeder fährt irgendwohin, und das alles findet doch in der gebauten Umwelt statt“, sagt die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker. Die ist von steigenden Mieten und Heizkosten geprägt, der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt.
Die Regierung Scholz hat sich vorgenommen, die Zahl der Neubauten jährlich aufzustocken. Gleichzeitig will sie nachhaltiger wirtschaften. Und genau das mache das Ganze so schwierig, erklärt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des ZDB, des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes.
Gerüste stehen an den Rohbauten der Häuser an der Peter-Huchel-Straße in Potsdam.
Neubauprojekt in Potsdam: Das Thema Bauen selbst ist allerdings eine regelrechte Baustelle.© picture alliance / dpa / Soeren Stache
„Also wenn wir auf der einen Seite 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen wollen, weil wir natürlich in den Schwarmstädten, Ballungsgebieten wirklich Wohnungsnot haben, auf der anderen Seite aber CO2 einsparen und nachhaltiger sein wollen, dann sind das natürlich zwei Ziele, die erst mal entgegenstehen“, erklärt er.
Denn Bauen produziert sehr viel CO2. Das hat das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung vor zwei Jahren festgestellt, als es zum ersten Mal sektorübergreifend alle Emissionen zusammengezählt hat, die beim Bauen anfallen.

Gebäudebereich für 40 Prozent des CO2-Emissionen verantwortlich

Von der Herstellung der Materialien, über den Bau selbst, Strom, Beheizung und Sanierung, bis hin zum Abriss und der Entsorgung von Tonnen von Bauschutt, die jedes Jahr anfallen: Der CO2-Ausstoß im Gebäudebereich liegt hierzulande bei 40 Prozent.
Die Bauindustrie steht in der Kritik: Wenn wir weiterbauen wollen, aber nachhaltig, muss sich einiges tun.
Das Thema ist also eine regelrechte Baustelle, eine große zudem. Um nicht den Überblick zu verlieren, halten wir uns mal an eine klassische Gliederung in drei Themenbereiche: Ökologie, Soziokulturelles und Ökonomie. Auch wenn es Überschneidungen gibt – diese drei Themen gelten als Pfeiler der Nachhaltigkeit im Bauen.

Pfeiler eins: Ökologie
Nimm nur das, was auch nachwächst. Bring nichts aus dem Gleichgewicht. Alles beginnt mit dem Boden.

Rohstoffbedarf und Umweltbelastung abwägen

Matthias Kosche leitet die Betriebsstätte der Firma Remex in Brandenburg. Er steuert eine Halle am Ende des Geländes an, die voller Bauschutt ist.
Remex gehört zur Remondis Gruppe, einer der größten Anbieterinnen in Deutschland für Recycling und Abfallentsorgung im Baubereich. Auch für kontaminierte Böden, zum Beispiel solche, die sich bei Tankstellen oder Häfen finden und mit Schweröl belastet sind. Kosche ist für die Dekontamination zuständig. Wenn der Boden richtig gelagert wird, bauen Bakterien das Öl ab. Ein natürlicher Prozess.
„Das Öl kommt ja aus der Erde. Wir produzieren ja viele Chemikalien, die die Natur nicht kennt. Dadurch gibt’s ein Problem. Dadurch müssen wir Bergversatz nutzen, untertage Deponien nutzen oder müssen es irgendwo wieder ablagern, versuchen zu recyceln, wie auch immer“, erklärt er.

Einst High-Performance-Baustoff, heute Gift

Kosche weist auf die Halle. Eine Stahlkonstruktion in offener Bauweise. Die Verkleidung ist aus Asbest. „Das gute alte Wellasbest. War mal ein Produkt, wie würde man das heute nennen, ein High-Performance-Baustoff oder so ähnlich. Und jetzt ist es das Letzte, was man eigentlich haben kann“, sagt er.
Beim Thema Ökologie geht es vor allem um Rohstoffe. Es geht um die Frage, woraus wir welche Baumaterialien produzieren. Wie viel CO2 das verbraucht, ob Schadstoffe dabei entstehen und was das mit der Natur macht. Immer sind wir hinterher schlauer, sagt Kosche, der Ingenieur für Umwelttechnik ist.
„Wenn man ein Studium gemacht hat über dieses Thema, dann weiß man natürlich, wie viel wir Menschen an Verunreinigung oder Kontamination erzeugen. Ich sag mal: Nehmen sie einen normalen Baum, der ist ja inzwischen auch kontaminiert, also da ist Blei drin. Es ist ein Thema, das sehr weitgreifend ist, aber ich bin froh, dass wir hier in einem kleinen Teil etwas beitragen können“, erzählt er er.

Großteil des Gesamtabfalls ist Schutt und Müll vom Bau

Die Remex wird den Bauschutt in der Halle nach Möglichkeit recyceln. Früher wäre er wahrscheinlich auf einer Sammeldeponie gelandet, vermischt mit Hausmüll oder Lebensmitteln. 2005 kam aber ein neues Deponiegesetz. Seitdem wird Bauschutt getrennt. Allerdings gibt es mittlerweile ein ganz anderes Problem: Viele Deponien sind voll.
„Dass der Bau so viel Kohlendioxid erzeugt, hat auch damit zu tun, dass wir viel durch die Gegend fahren. Weil wir gewisse Materialien bis nach Sachsen-Anhalt und sonst wohin bringen dürfen, wo du dir sagst: Da müsste man eigentlich hier im Land eine Deponie oder eine Form von Verwertung haben, wo man kurze Wege hat“, sagt Matthias Kosche.
Der Schutt ist ein Riesenthema im Baubereich. Circa 270.000 Tonnen fallen jährlich an, über die Hälfte des Gesamtabfalls in Deutschland. Nur 13 Prozent davon werden wirklich recycelt, also in richtige Baustoffe zurückverwandelt, zum Beispiel Recyclingbeton. Sie kämpfen aber um Akzeptanz auf dem Markt, und da ist die Konkurrenz groß.

Wissen Sie, das ist wahrscheinlich wie bei Ihnen auch, wenn man sich mit so einem Thema beschäftigt. Ich sag mal so: Als Mensch muss man aufpassen, dass man nicht depressiv wird. Ja, das ist so. Weil so viele Sachen passieren, bei denen man eigentlich mit einem anderen Ansatz mehr hätte erreichen können. Wenn man sich vorher überlegt, was man mit Dingen macht, braucht man sich nachher nicht Sorgen darum machen.

Matthias Kosche

„Das Umweltbundesamt drängt einem Bericht zufolge auf eine deutlich stärkere Senkung der Treibhausgasemissionen.“ So heißt es im Oktober 2021 in den Nachrichten. „Im Gebäudesektor sollte laut Umweltbundesamt der Einbau neuer Ölheizungen sofort verboten werden, ab 2026 dann auch mit Gas betriebene Anlagen. Zudem müssten jährlich 2,5 Prozent aller Gebäude saniert werden.“
Ein Anruf beim Umweltbundesamt. Hermann Kessler leitet die Abteilung Ressourcenschonung. Rohstoffe sind sein Fachgebiet. „Jedes Gebäude, das ich saniere und nicht rückbaue und wieder aufbaue, ist natürlich ein Gewinn, energetisch ein Gewinn, aber auch rohstofflich ein Gewinn“, sagt er.

Wir sind von Baumaterial umgeben – im Bestand

Sanieren. Bestand nutzen. Das ist ein ganz zentrales Stichwort im Pfeiler Ökologie. Denn in jedem Gebäude steckt sogenannte graue Energie. Das heißt, die Rohstoffe und der Aufwand, es überhaupt zu errichten. Die Masse an grauer Energie weltweit nennt man auch das „anthropogene Lager“, erklärt Hermann Kessler.
„Jährlich haben wir eine Menge von 820 Millionen Tonnen an Material, die wir verstärkt in die Technosphäre geben, als das wir sie abziehen aus der Technosphäre. Das heißt, unser anthropogenes Lager, das wächst unaufhörlich“, erklärt Hermann Kessler.
Im Grunde sind wir also von Baumaterial umgeben. Jede Stadt kann man sich als großen Baumarkt vorstellen. Wenn wir schon abreißen, sollten wir das Material wenigstens recyceln – sagt William Gillet.
„Wenn man ein Material neu produziert, entstehen nämlich jede Menge Emissionen. Vor allem wenn man an China denkt, wo die Energie größtenteils aus Kohle gewonnen wird“, erzählt er.

Sanieren statt neu bauen

Gillet ist Direktor des Energieprogramms bei der EASAC, einem Zusammenschluss nationaler Wissenschaftsakademien in der EU, der Schweiz und Norwegen. In Deutschland gehört die Leopoldina in Halle dazu. Die EASAC hat im Sommer 2021 etwas Ähnliches geraten wie das Umweltbundesamt:
Sanieren statt abreißen und neu bauen. Aktuell werden nur bis zu 1,5 Prozent des Bestands in Europa saniert. Die Rate muss sich verdoppeln oder noch besser verdreifachen, sagt William Gillet. Sonst droht, dass uns über kurz oder lang die Rohstoffe ausgehen.

„Die Menschen im Meer“ ist ein Hörspiel für Kinder von Marei Obladen aus dem Jahr 1983. Zwei benachbarte Inseln liegen friedlich nebeneinander, bis der König der großen Insel entscheidet, dass sie noch größer werden muss. Ein Damm soll es möglich machen. Doch eines Tages kommt der Bau ins Stocken.

„Warum geht es nicht vorwärts? Was ist das für ein Schlendrian? – Majestät. – Ich dulde das nicht, Zimmermann. – Majestät. – Woran fehlt es, am Arbeitswillen, am Fleiß? Am Gehorsam? – An Erde, Majestät. – An was? – An Erde, Majestät. – Erde? – Wir haben alle Erde, alles Geröll von den Hängen geholt, es ist nichts mehr da.“

Der König klaut die Erde für seinen Bau einfach von der kleinen Insel. Seine wächst, die andere schrumpft.

Rohstoffknappheit durch Mangel an Recyclingverfahren

Rohstoffknappheit ist heute weltweit ein Thema. Sie betrifft Holz, Kunststoffe und Sand. Wüstensand lässt sich übrigens nicht verbauen, weil seine Körnung zu rund ist. Also wird woanders abgebaut.
Hermann Kessler vom Umweltbundesamt spricht von einer regelrechten globalen Sandmafia. Singapur hat seine Fläche vergrößert durch Sand, der aus Indonesien oder Malaysien geholt wurde, zum Teil illegal. 2008 wurde in Jamaika ein ganzer Strand geklaut. In Deutschland haben wir das Problem in dem Maße noch nicht.
„Wir haben genügend Kies, wir haben genügend Sand, wir haben genügend Holz. Eigentlich haben wir von allem genug, und gebaut haben wir auch schon genügend. Jede Rohstoffentnahme, jede Aufbereitung, ob das Holz ist, aber vor allem, was Kies und Sand angeht, ist natürlich ein Eingriff in den Naturhaushalt, in die Umwelt“, sagt Hermann Kessler.

Pfeiler zwei: Soziokulturelles
Ein Fertigmöbelhersteller hat mal gefragt, ob wir noch wohnen oder schon leben.

Nachhaltig bauen heißt, auf langfristige Wertschätzung setzen

Ein Wintermorgen im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Eine Schneeballschlacht vor einer Schule. Daneben steht ein Gebäude in Holzbaukonstruktion. Entworfen hat es der Architekt Tom Kaden.
„Viele fragen: Wo ist hier das Holzhaus? Weil man sieht es ja von außen nicht. Das war aber hier zugegebenermaßen an diesem Ort mitten im Prenzlauer Berg, in dieser verdichteten Gründerzeitsituation auch eine gestalterische Entscheidung. Wenn wir reingehen würden, würden wir zumindest die Decken sehen. Die Decken sind holzsichtig geblieben“, erklärt er.
Das Gebäude ist eine hybride Konstruktion aus Holz, Stahl und Beton. So eine Mischbauweise spart CO2. Aber auch das Nutzungskonzept ist interessant.

Der Bauherr, diese Stiftung, hat damals diese wunderbare Idee gehabt, nicht nur das Gebäude aus Holz zu bauen, sondern auch zu sagen: Wir wollen diese Lücke nicht mit einer, ich sag mal etwas zugespitzt, teuren Wohnbebauung zu realisieren, sondern sie wollten in diese Fuge eine kleine Stadt bringen. Also klar: Café, das ist obligatorisch, aber es gibt eine Hebamme, es gibt einen Kinderladen, eine Studenten-WG, es gibt einen Kinderarzt, Ergotherapie, Physiotherapie… und erst in den oberen Bereichen gibt es einige Wohnungen. Also wirklich eine kleine, gemischte Stadt. Und Sie haben ja gesehen: Das Tor steht immer offen.

Tom Kaden

Neue Bauweisen: Konzepte für sozialen Zusammenhalt

Tom Kaden und sein Team haben für dieses Haus Preise gewonnen. Soziokulturelles als Pfeiler der Nachhaltigkeit im Bauen. Das heißt im Prinzip, dass ein Gebäude für eine große Nutzerzufriedenheit sorgt, dass die Bewohner sich darin wohlfühlen. Wohngesundheit ist da ein Stichwort, viel Licht, frische Luft, geringe Schadstoffbelastung im Innenraum.
Ein weiterer Punkt ist der kulturelle Wert. Kann man sich mit einem Gebäude identifizieren? Ästhetisch, aber auch emotional? Fördert es sozialen Zusammenhalt? Denn nur dann wird die Gesellschaft es auch pflegen und lange erhalten. So zumindest die Idee.
Blick auf das Modellprojekt Haus der Statistik in Berlin
Architekt Tom Kaden ist "sehr glücklich darüber", dass das ehemalige Haus der Statistik am Berliner Alexanderplatz nicht abgerissen wird.© imago images / Pemax
Das Büro Kaden+ sitzt am Alexanderplatz, in einem denkmalgeschützten Hochhaus aus DDR-Zeiten. Vom 17. Stock aus hat man einen Panoramablick über Berlin. Und auf das ehemalige Haus der Statistik direkt gegenüber. “Alles Andersplatz” steht in Großbuchstaben an einer Fassade. Entkernt und nackt wartet es auf seine Sanierung. Das Ensemble aus den 60er-Jahren wurde nämlich vorm Abriss bewahrt.

Die Ostmoderne erhalten, Geschichte bewahren

Tom Kaden findet das gut. „Unbedingt, wir schauen ja gerade auch auf eine wichtige Region Ostberlins, die für mich – ich weiß, da gibt es unterschiedliche Lehrmeinungen dazu – Ausdruck einer gewissen Ostmoderne war. Ich bin auch östlich sozialisiert, komme aus dem Land Sachsen, aus dem Erzgebirge, und habe dazu also noch mal eine ganz andere Verbindung“, sagt er.
„Ich halte das auch in Teilen für ein Stück Baukultur, die unbedingt erhalten werden muss. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass auch diese Struktur, auf die wir gerade schauen, eben nicht abgerissen, sondern weitergebaut wird. Und eben auch mit einer besonderen öffentlichen, halböffentlichen Nutzung, das ist mir auch sehr wichtig zu sagen. Denn der Plan war hier, sag ich mal, teurer Wohnungsbau.“
Blutet Architekten und Architektinnen eigentlich das Herz, wenn sie nicht neu bauen können, sondern sanieren müssen? Nicht, dass er wüsste, sagt Tom Kaden. Nachhaltigkeit ist im Bewusstsein angekommen.

Abriss ist Teil der Wegwerfgesellschaft

„Wir leben in einer gnadenlosen Wegwerfgesellschaft, und das betrifft Architektur, Gebäude genauso wie Kleidung, wie Elektrogeräte et cetera. Das ist ein Teil dieses gigantischen Wahnsinns, in dem wir uns bewegen“, kritisiert er.
„Kooyanisqatsi“, ein Kultfilm von 1982, ist unter anderem berühmt geworden durch die Musik von Philip Glass. Der Film ist eine einzige lange Aneinanderreihung von Bildern. Häuser, Städte, Maschinen. Die vom Menschen gebaute Umwelt.
In einer Sequenz sieht man die Sprengung eines Gebäudekomplexes in St. Louis in den USA. Ein riesiger Sozialbau namens Pruitt Igoe. Pilzartig umwabern Schuttwolken die menschenleeren, kollabierenden Häuserblöcke.
Pruitt Igoe wurde Mitte der 50er-Jahre gebaut und galt als perfekter Sozialbau. Überwiegend schwarze Bewohner sollten sich darin wohlfühlen. Es dauerte kaum eine Dekade, bis die Gebäude verkommen und kaputt waren. Der Komplex wurde international zum Symbol für Kriminalität, Armut, Segregation. Keine 20 Jahre später begann sein Abriss. Vor gut zehn Jahren hat ein Dokumentarfilm mit den Vorurteilen aufgeräumt, die damals entstanden.
Nicht die Anwohner waren schuld am Verfall von Pruitt Igoe. Ein zentraler Grund war, dass einer der Hauptarbeitgeber in St. Louis wegzog. Die Arbeitskräfte zogen mit, die Stadt leerte sich und damit auch Pruitt Igoe. Der Staat hatte den Bau gefördert, aber die Instandhaltung der Gebäude sollte durch Mieten getragen werden. Und die brachen nach und nach weg. Eine Fehlkalkulation der Politik.

Zahl der Sozialwohnungen nimmt ab

Und wie sieht es in Deutschland mit dem sozialen Wohnungsbau aus? Nicht gut: Wohnungen für Menschen mit geringerem Einkommen werden immer weniger. Denn es werden nicht so viele nachgebaut, wie aus der Sozialbindung fallen. Die läuft hierzulande nach circa 20 bis 25 Jahren aus.
Konkret heißt das: Bauherren nutzen die staatliche Förderung, die sie für Sozialbauten bekommen, und freuen sich auf den Profit, der nach ein bis zwei Dekaden winkt. Spätestens dann dürfen sie die Miete dem Spiegel anpassen.
„Und wir kommen zur Wirtschaftspresseschau. Die Zeitungen befassen sich mit dem vorzeitigen Ende der Förderung für energieeffiziente Gebäude durch die staatliche Förderbank KfW“, heißt es in den Nachrichten vor einigen Wochen. „Das ‚Handelsblatt‘ schreibt: Die Entscheidung ist ein Debakel.“

Ende der KfW-Förderung für energieeffiziente Neubauten

Anfang Januar 2022 schlägt die Baubranche Alarm. Ein weiterer Zuschuss fällt weg: staatliche Fördergelder für Baumaßnahmen zur Energieeinsparung. Das wird vor allem Sozialwohnungen treffen, heißt es. Denn die Bauherren hätten schon mit den Zuschüssen kalkuliert.
Wenn die aber wegfallen, muss das Geld aus der Miete zurückgeholt werden. Entweder drohen also höhere Mieten oder geringere Energieeffizienzstandards – was wiederum Heizkosten steigert.
Die neue Regierung. Ja, natürlich haben wir eine Erwartungshaltung in dieser Mischung, dieser relativ neuen Mischung“, sagt Tom Kaden. Kaden+ sind auch im sozialen Wohnungsbau unterwegs. Am liebsten auch hier mit Holz. Aber das ist wie alle anderen Baustoffe teurer geworden.

Steigende Baupreise wirken sich auf Mieten aus

„Teil der Preiskatastrophe war natürlich der starke Export nach Nordamerika, nach China. Natürlich ist es eine Herausforderung, wenn die Berliner Wohnungsgesellschaft sagt, wir werden dieses Gebäude dort bauen in Adlershof mit Ihnen, Sie wissen aber wir haben die Nettokaltmiete kalt 6,30 Euro. Das ist bei den heutigen Baupreisen kaum erzielbar“, erklärt Tom Kaden.
„Also da erwarten wir uns auch ein hohes Maß, das hört der eine oder die andere nicht so gerne, an staatlichem Eingriff. Weil, dieses Feld komplett dem sogenannten freien Markt zu überlassen, wird nicht funktionieren.“

Pfeiler drei: Ökonomie
Wir müssen sparen. Rohstoffe, Energie, CO2. Effizient planen. Keinen Mist bauen.

Eine Hausbegehung in der Uckermark in Brandenburg. Das Gebäude ist über 100 Jahre alt und steht seit mindestens zehn Jahren leer. Die Fenster sind eingeschlagen, das Dach ist kaputt. Die Besitzer wollen sanieren.

Nachhaltig Bauen für Portemonnaie und Klima

Elke Hähnel ist Bauingenieurin und auf Denkmalschutz spezialisiert. Außerdem ist sie Energieeffizienzberaterin. Das heißt, sie versucht, durch nachhaltige Technik die Kosten für Strom, Heizung und Wasser gering zu halten. Fotovoltaik, Wärmepumpen, Zisternen. Das macht sie für ihre Bauherren und fürs Klima.

Weil, ich bin auch mit Leib und Seele Oma und denke natürlich an meine Kinder und meine Enkel. Also jeder Bauherr ist eigentlich daran interessiert, auch nachhaltig zu bauen, weil es seine Betriebskosten sind. Ich sehe es immer als meine Aufgabe auch an, darauf hinzuweisen, denn ich kann ja ein schönes Haus bauen, wie gesagt, die Baukosten stehen fest, aber die Betriebskosten nachher: Ich möchte das ja immer bezahlen können und nicht frieren.

Elke Hähnel

Das ist einer der Schwerpunkte im Pfeiler Ökonomie. Geringe Lebenszykluskosten. Dass also Heizen und Instandhalten nicht zu teuer wird. Dafür gibt es Zuschüsse, was das Sanieren attraktiver gemacht hat.
„Doch, also durch diese Förderung von der Altbausubstanz achten die Leute noch mehr auf Erhalt“, sagt Elke Hähnel. Sie hat ihr Büro mitten in der Uckermark. Die Region hat 2020 den stärksten Preisanstieg im ländlichen Raum verzeichnet. Satte 48 Prozent mehr als im Vorjahr kostete eine Immobilie.

Gerangel um die Mangelware Baugrund

Zum Teil hat das mit der Stadtflucht zu tun, die die Corona Pandemie ausgelöst hat. Aber auch damit, dass Baugrundstücke einfach Mangelware sind. Und je weniger es gibt, desto mehr steigt der Wert der Grundstücke, auf dem Land genauso wie in den Städten.
„Im Moment zahlen wir in München für das Grundstück 5000 Euro pro Quadratmeter zu bebauende Fläche, in Hamburg 3000, in Leipzig 1000. Und in Berlin bis zu 2000 und 3000 pro Quadratmeter“, sagt Christoph Gröner, einer der größten Bauunternehmer hierzulande, letztes Jahr im Deutschlandfunk Kultur. Geschätztes Privatvermögen: 80 Millionen Euro.
Neben effizienter Planung steckt in dem Pfeiler noch ein anderer Faktor: nämlich, wie Wirtschaft und Politik zusammenspielen.
Menschen protestieren in Berlin für beszahlbares Wohnen.
Demonstration gegen den "Mietenwahnsinn" in Berlin: Bezahlbares Wohnen ist gerade beim Neubau eine Herausforderung. © picture alliance / dpa / Geisler-Fotopress
„Wenn Sie das Angebot, wie die rot-rot-grüne Regierung hier in Berlin, so verknappen, wie sie es jetzt in den letzten vier Jahren getan haben, sind tatsächlich in dieser Zeit die Preise für die Grundstücke mehr als verdoppelt“, sagt der Bauunternehmer.
Berlin hat das Angebot allerdings nicht wirklich „verknappt“, sondern verpachtet landeseigene Grundstücke, meistens für rund 100 Jahre. Nur eben nicht an Investoren wie Gröner, sondern an soziale Träger. Wie letztes Jahr, als die Stadt 40 Grundstücke zur Bebauung freigegeben hat. Entstehen sollen Kitas oder betreutes Wohnen.
Gröner hätte dort einen Neubau hingesetzt, wo er die Miete frei festlegen darf. „Natürlich können Sie für 3,50 Euro weitermachen wie in Ostdeutschland. Und natürlich können Sie dann die Kohleöfen drin lassen, und natürlich können Sie dann die alten abgewrackten Gasheizungen weiterlaufen lassen“, sagt er.

Gerade der bezahlbare Wohnraum fehlt

Das Problem an Neubauten ist, dass sie den Mietendurchschnitt nach oben treiben, weil sie an keinen Mietspiegel gebunden sind. Auch Menschen mit durchschnittlichem Einkommen haben deswegen immer mehr Schwierigkeiten, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Die Lösung der Regierung heißt: Noch mehr Bauen.
Unternehmer wie Gröner fordern, die Kommunen müssten mehr Grundstücke freigeben, weil bei größerem Angebot der Preis sinken würde – und damit die Miete. Aber viele Baugrundstücke sind in Privatbesitz, und selbst die Kommunen kommen nicht dran. Enkelgrundstücke nennt man solche Flächen. Die Eigentümer lassen sie einfach liegen, weil ihr Wert ohnehin steigt.
Die Folge: Die Branche weicht aus. Und schafft Neubaugebiete, wo sie vielleicht nicht hingehören.
„Der Negativpreis ‚Dinosaurier des Jahres‘ des Naturschutzbundes Deutschland geht in diesem Jahr an die Stadt Emden. NABU-Präsident Krüger sagte, Emden erhalte den Preis für ein Baugebiet, dass stellvertretend für die Naturzerstörung durch Bodenversiegelung in ganz Deutschland stehe“, lautet eine Nachricht im vergangenen Jahr.

Flächenversiegelung durch Bauen steigert Flutgefahren

Bodenversiegelung. Auf zubetoniertem Untergrund kann Wasser nicht versickern. Das hat übrigens auch die Flutkatastrophe 2021 verschärft. Neubaugebiete entstehen auch oft dort, wo keiner hinwill. Eine kürzlich erschienene Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass in vielen Landkreisen zwischen 2016 und 2020 das Drei- bis Vierfache an Bedarf gebaut wurde.
Nachhaltiger wäre es da, Leerstand auf dem Land zu sanieren. Gerade unter Jüngeren scheint das ein Trend zu sein: der Stadt den Rücken kehren und draußen eine Existenz aufbauen. Unterstützt wird das unter anderem vom Netzwerk Zukunftsorte. Ein Verein, der vor allem in Brandenburg unterwegs ist. Das Konzept: digitales Arbeiten, Kontakt zur Natur, Regionalentwicklung unterstützen.
„Und so Ressourcen nutzen, die es schon gibt, wie eben Leerstand“, erklärt Uleshka Asher vom Netzwerk Zukunftsorte. Sie berät Neuankömmlinge, aber auch Gemeinden in der Nutzung leerstehender Gebäude. Dazu gehört vor allem, Wissen zu teilen.

Zukunftsorte im Leerstand statt im Neubau

„Gerade hier beim Umnutzen und Wiederbeleben von Leerstand, da spielt der Wissensaustausch und so ein Wissenstransfer natürlich eine riesige Rolle. Also die neugewonnene Expertise in eine ganze Region zu tragen und nicht immer wieder das Rad neu zu erfinden, sondern aufeinander aufzubauen“, sagt sie.
Dazu entwickelt das Netzwerk Zukunftsorte gerade eine große digitale Wissensplattform. Mit Videos, Podcasts, Artikeln. Das Thema nachhaltiges Sanieren ist auch dabei.
Doch: Auf dem Zettel steht noch unsere Ausgangsfrage. Mehr Nachhaltigkeit im Bau, wie kann das also gehen? Bestand sanieren ist ein zentraler Punkt. Dazu müssen wir erst mal das Baurecht reformieren, weg vom Bau- hin zum Umbaurecht.
Das fordert Lamia Messari-Becker, Bauingenieurin und Professorin für Gebäudetechnologie an der Universität Siegen. Denn noch ist ein Neubau leichter umzusetzen als ein Umbau. Und sie hat noch mehr Ideen. „Wir können heute so bauen, dass die Grundrisse flexibel sind, dass man einfach entsprechend der Lebensphase plant und auch benützt“, sagt sie.

Modulares Bauen und flexible Grundrisse

Aus zwei Wohnungen sollte sich in Zukunft eine große machen lassen und umgekehrt. Und die Bauweise sollte sich grundsätzlich ändern. Beton, Stahl, Holz sind heutzutage oft mit einer zweiten Schicht aus Gipsplatten, Wärmedämmung und Schaumstoffen verklebt.

Diese Elemente, diese Schichten, die werden oft irreversibel miteinander verbunden. Das halte ich persönlich für nicht mehr zeitgemäß. Es wäre gut, wenn wir beispielsweise Decken, Wände, Bauteile so konzipieren, dass wir sie woanders wiederverwenden können.

Lamia Messari-Becker

Modulares bauen. Stecksysteme. Bauteile vermieten, statt zu verkaufen. Messari-Becker hat auch die Idee vom Gebäuderessourcenpass mit auf den Weg gebracht, der im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.
In Zukunft wird für jedes Gebäude vermerkt sein, was wo verbaut wurde. Das hilft beim Recycling, wenn es zum Abriss kommen sollte. Einen weiteren Vorschlag hat der Geschäftsführer des Zentralverbands Deutsche Bauindustrie, Felix Pakleppa: CO2 und Transportwege zu reduzieren, indem wir weniger importieren.
“Da muss es, glaube ich, einen Bewusstseinswandel geben, dass wenn wir bei der Küche heute immer sagen, wir wollen mit regionalen Produkten kochen, dann sollten wir auch mit regionalen Produkten bauen. Und natürlich mit mehr Recyclingprodukten, die schon da sind“, fordert er.

Stadt der Zukunft: begrünt, aufgestockt, sozial durchmischt

Stellen wir uns die Stadt der Zukunft vor. Wo wir heute ein Flachdach sehen, wäre aufgestockt. Leerstand und Dachböden wären belebt. Die Häuser begrünt, als Ausgleich zur Versiegelung.
Und das Soziale? Die Kosten für Sanierungen würden umverteilt, sodass auch Haushalte mit geringerem Einkommen energiesparend und gesund wohnen könnten. Es gäbe eine Verlängerung der Mietbindung für Sozialbauten, und niemand würde an den Stadtrand verdrängt. Doch ohne das Zutun der Politik wird es nichts mit der Nachhaltigkeit im Bausektor, sagt Felix Pakleppa. Denn neue Nachhaltigkeitsziele machen das Bauen erst mal teurer.

Das wird, glaube ich, nur gelingen, wenn die beteiligten Ressorts, das Bauministerium, das Umweltministerium, aber auch das Wirtschafts- und Klimaministerium, das neue, wirklich Hand in Hand arbeiten und diese Ziele gut miteinander koordinieren und abstimmen.

Felix Pakleppa

Damit nicht zu viel und nicht zu wenig gebaut wird. Am richtigen Ort und nachhaltig. Die Regierung Scholz hat eine “neue Wohngemeinnützigkeit” angekündigt. Ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum”. Alles bleibt anders. Darauf können wir bauen.

Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Giuseppe Maio
Technik: Ralf Perz
Sprecherin: Nina Weniger
Sprecher: Mirko Böttcher

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