Wirrwarr im Bildungssystem

Der Bachelor zu Babylon

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Eine Frau steht vor einer Mauer und drückt ihr Gesicht in ein offenes Buch. Die Szene hat etwas verzweifeltes.
Wer kann da noch den Durchblick behalten? - Die Zahl der akademischen Abschlüsse wächst und wächst. © Unsplash / Siora Photography
Ein Kommentar von Christian Füller |
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18.000 Wege führen in Deutschland mittlerweile zu akademischen Ehren. Auch die Bolognareform hat zu dieser großen Verwirrung beigetragen, meint Bildungsexperte Christian Füller. Und das Chaos wird größer: Titel wie "Bachelor Professional" sollen hinzukommen.
Zum Beispiel Leon, der 17-Jährige ist ein begnadeter Fußballer, aber ein ziemlich mieser Schüler. Er quält sich nun bereits im vierten Jahr der Fachoberschule. Die dauert eigentlich nur zwei Jahre, aber Leon wiederholt so zielsicher jeden Jahrgang wie er in der Landesliga Tore schießt. Trotzdem will Leon unbedingt studieren.
Im "Schlau", der Schülerberatung der Stadt Nürnberg, versuchen ihn die Mitarbeiter nun vorsichtig über den Dschungel namens Bildungssystem aufzuklären. Das Problem ist nämlich: Leon stehen mit dem Abitur viele Wege offen. Er kann mit einer Berufsausbildung weiter machen. Oder er wählt eines der unzähligen Studienangebote. Oder er biegt in das relativ junge duale Studium ein, das viele noch gar nicht kennen. Experten nennen Leons Stadium inzwischen eine "biografisch vulnerable Phase".

Schule ist zu einem Wirrwarr geworden

Der junge Kerl aus Nürnberg ist kein einsamer Verirrter, er steht für eine ganze Generation, die sich praktisch ohne Navi durch das deutsche Bildungssystem schlagen muss. Das ist seit Pisa und Bologna ziemlich kompliziert geworden. Die berühmte Schulstudie hat eine Vielzahl von Sekundarschulen in Deutschland entstehen lassen. Sind es momentan 13 oder 15? Oft wissen selbst Bildungsforscher nicht, wie viele Sekundarschulen die Republik hat. Schule ist zu einem babylonischen Wirrwarr geworden.
An den Unis ist es noch schlimmer. Zwar hat die Bolognareform Studiengänge geschaffen, die in drei oder vier Jahren gut zu absolvieren sind, zugleich ist die Zahl der Studiengänge aber explodiert: Der Zählerstand weist derzeit 18.000 Wege zu akademischen Ehren auf. Achtzehntausend! Wundert sich noch jemand, dass viele Abiturienten und Abiturientinnen zunächst mal ein Auslandsjahr einlegen, ehe sie sich ins Labyrinth wagen?

Gärtner wird "Bachelor Professional in Pflanzentechnologie"

Doch die Chaos-Strategie der Bildungspolitik geht munter weiter. Nun wird die berufliche Bildung durch die Mangel gedreht, die mit 330 Lehrberufen übersichtlich war – bisher. Auch Berufe sollen irgendwann in Bachelor umgetauft werden, und zwar in "Bachelor professional".
Dass Bachelor der erste akademische Abschluss ist, wissen schon die wenigsten. Und nun sollen zu den 8800 Bachelorvarianten an Hochschulen noch weitere hinzukommen. Ein Gärtner etwa kann sich nach zwei Fortbildungen "Bachelor Professional in Pflanzentechnologie" nennen. Du liebe Güte!
Was diese Umbenennung soll, ist schon klar. Die Minister wollen Schülern und Schülerinnen suggerieren, dass der Berufsbachelor genauso viel Wert ist wie der von der Uni. Das Stück, das da aufgeführt wird, ist uralt: Es heißt Gleichwertigkeit beruflicher und allgemeiner Bildung – und ist eine ewige Täuschung. Dem Ansturm aufs Studium ist mit neuen Etiketten jedenfalls nicht beizukommen.
Was die Umbenennung tatsächlich bewirken würde, liegt auf der Hand: Das Bildungssystem wäre noch komplizierter. Man kann nur hoffen, dass das Parlament die große "Bätschelerei" ablehnen wird.

Eine Schule für Alle

Wilhelm von Humboldt wird zwar regelmäßig als großer Bildungsreformer gefeiert, aber seine Idee "Eine Schule für Alle" hat hierzulande immer wenig Anklang gefunden. Dabei ist sie ebenso einfach wie überzeugend: Schule soll sich nicht im Dutzend in die Breite aufgliedern, sondern längs – in Etappen, zu deren Ende man die allgemeine Schule verlassen kann: mit dem Hauptschul- oder dem mittleren Abschluss oder eben mit dem Abi.
Die Deutschen müssen ihr Lernsystem – das prinzipiell gut ist! – vereinfachen. Man kann von den Bundesländern verlangen, dass eine Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg das gleiche bedeutet wie im Saarland, in Berlin oder Schleswig-Holstein. Kurz: Kulturhoheit darf nicht zu Kleinstaaterei verkommen. Sonst kann sie, nein: muss sie weg.

Christian Füller, 52, ist Buchautor (unter anderem "Die Revolution missbraucht ihre Kinder", "Die gute Schule") und Journalist mit dem Schwerpunkt Bildung. Er schreibt für "Der Freitag", "FAZ", "Welt am Sonntag" und bloggt als Pisaversteher.

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