Willi Winkler: "Herbstlicht"

Mit schmerzenden Füßen auf Goethes Spuren

05:52 Minuten
Cover des Buches "Herbstlicht" von Willi Winkler. Wir schauen von oben auf einen Feldweg. Die umstehenden Felder leuchten in Herbstfarben. Ebenfalls im Bild sind hohe Bäume wie Zypressen zu sehen, sie lassen an Italien denken.
© Rowohlt Verlag

Willi Winkler

HerbstlichtRowohlt Berlin, Berlin 2022

254 Seiten

23,00 Euro

Von Maike Albath · 24.12.2022
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Berühmte Vorbilder für dieses Unterfangen gibt es viele, jetzt ist der Journalist Willi Winkler nach Italien gewandert. Sein Reisebericht ist ein faszinierender Weg durch die Jahrhunderte, auch wenn überall die Zumutungen der Gegenwart lauern.
Klassischer geht es kaum: Ein Mann setzt sich in Bewegung und macht sich auf in Richtung Süden. Ach, genau wie Goethe, der sich im Herbst 1786 per Postkutsche binnen fünf Tagen auf den Brenner und von dort nach Italien verfrachten ließ und im Nachgang seine berühmte „Italienische Reise“ verfasste?
Nicht ganz, denn Willi Winkler geht allen Ernstes zu Fuß bis nach Mailand und schildert anschließend seine Abenteuer. „Herbstlicht. Eine Wanderung nach Italien“ heißt sein kurzweiliger Rapport. Er will Goethes Route und den alten Pilgerwegen folgen.

Mit geistigem Gepäck gut gerüstet

Für den 1957 geborenen Journalisten, der sich mental am liebsten im 18. Jahrhundert bewegt, gilt das Credo des großen Fußgängers Johann Gottfried Seume von 1803: „Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft.“ Mit geistigem Gepäck gut gerüstet, tritt Winkler genau wie Goethe seine Reise im Herbst an. Er startet in Wittenberg, und dort kommt ihm natürlich als erstes Luther in den Sinn: Unterwegs nach Rom habe dieser im Schnitt 28 Kilometer pro Tag zurückgelegt.

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Winkler selbst läuft häufig noch mehr, mitunter auch unfreiwillig: Mülldeponien, Ausfallstraßen, Einkaufszentren, Abholmärkte und Autobahnzubringer müssen umrundet und überwunden und falsche Wege wieder zurückgegangen werden.
Das Prinzip des Umwegs beherzigt Willi Winkler auch auf erzählerischer Ebene: Quicklebendig springt er von Jahrhundert zu Jahrhundert und von Schauplatz zu Schauplatz, hält eben noch bei Luther inne, zitiert den 2016 verstorbenen schwedischen Lyriker und Romancier Lars Gustafsson mit einem Gedicht über die Stille der Welt vor Bach, katapultiert sich an den Hof von Neapel in die Gesellschaft des englischen Gesandten Sir William Hamilton, auf den Goethe ein klein bisschen neidisch war, landet im Park von Dessau und dann wieder in der Gegenwart.

Die Zumutungen der Gegenwart

Mit Wanderstöcken bewaffnet, nimmt er Tag für Tag ein neues Ziel in den Blick, beschreibt die Beschaffenheit des Bodens und die meteorologischen Verhältnisse, besucht Abraumhalden ebenso wie Klöster. Auch über den körperlichen Zustand wird ehrlich Auskunft gegeben: Mal schmerzen die Füße, mal zwickt die Schulter. Aber vor allem Süddeutschland wartet mit tröstlichen Bildungserlebnissen auf.
Etliche Kirchen, Schweinsbraten und Landschaften entschädigen den Wanderer, der Erfurt, Eisfeld, Hirschaid und Nürnberg hinter sich gelassen hat, Nördlingen, Ulm und Otterswang durchquert und bis an den Bodensee nach Lindau, Hohenems und schließlich Vaduz gelangt. Er bewältigt die Alpen und schafft es tatsächlich nach Chiavenna und von dort über Lecco bis nach Gorgonzola.
Der Reiz des Reiseberichts ergibt sich aus dem Kontrast von Winklers Bildungsfundus und den Zumutungen der Gegenwart. Man fühlt sich gut unterhalten und auf angemessene Weise belehrt. In Italien bläst dann ein eisiger Wind, und hier berichtet Winkler von dem irrsinnigen Plan eines gewissen Pietro Caminada, die Alpen mit einem Hydrauliksystem per Schiff zu überwinden.
An den Ufern des Flusses Adda durchquert Willi Winkler liebliche Gärten. Die Großstadt Mailand allerdings ist ein Schock nach so viel Gemächlichkeit; außerdem streikt sein Körper. So ist das, wenn sich alte Männer auf die Wanderschaft begeben.
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